Querschnitt des Diskurses

„Staging Gender. Reflexionen aus Theorie und Praxis der performativen Künste“ vom transcript Verlag

Irene Lehmann, Katharina Rost und Rainer Simon vereinen in ihrem Sammelband künstlerische, praktische und wissenschaftliche Perspektiven und zeigen den aktuellen Gender-Diskurs in den performativen Künsten auf.

Bielefeld, 20/12/2019

Kaum ein Thema ist derzeit im Diskurs in und um Theater brisanter und allgegenwärtiger als der Gender-Diskurs. Ausgehend von einschneidenden Entwicklungen wie #MeToo und der Gründung des Vereins „Pro Quote Bühne“ werden sowohl im institutionellen Rahmen des Theaters als auch vor allem in der performativen Praxis selbst vermehrt traditionelle Geschlechterbilder hinterfragt und nach einem radikalen Umdenken gestrebt.

„Staging Gender. Reflexionen aus Theorie und Praxis der performativen Künste“ ist ein Sammelband, der Meinungen aus unterschiedlicher Perspektive rund um den Gender-Diskurs vereint. Ausgangslage für die Neupublikation aus der Reihe „Theater“ vom transcript Verlag ist ein Workshop an der FAU Erlangen-Nürnberg, der im Mai 2018 WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und ProduzentInnen aus verschiedenen Bereichen der performativen Künste versammelte und einen Dialog über Struktur und Ästhetik und die Verhandlung von Gender eröffnete.

Die HerausgeberInnen vereinen verschiedene Positionen „vom künstlerischen Essay über Interviews mit PraktikerInnen bis hin zu wissenschaftlichen Beiträgen –, die sich vor allem darin einig sind, dass es aktuell einen sehr großen Diskussions- und Handlungsbedarf hinsichtlich Gender-Fragen in den performativen Künsten gibt“, wie es in der Einleitung des Bandes heißt.

Das Vorhaben und die Ausgangslage des Buches, sowie ein klarer Umriss der verhandelten Themen und Methoden werden in der Einleitung verständlich vermittelt. Weniger nachvollziehbar ist jedoch die festgelegte Reihenfolge der Beiträge. Sie sind weder thematisch zusammengestellt noch nach wissenschaftlichen, künstlerischen und praxisbezogenen Texten getrennt. Die Einzeltexte stehen meist für sich und so ist „Staging Gender“ eher als Nachschlagewerk mit gezielter Themensuche denn als vollständige aufeinander aufbauende Lektüre geeignet.

Die praxisbezogenen Texte, wie zum Beispiel ein Interview mit Annemarie Vannackere, der Leiterin des HAU in Berlin, sind dabei besonders interessant, da sie dort unmittelbar und mit brennender Aktualität Forderungen für den alltäglichen Theaterbetrieb stellen und der theoretische Diskurs somit eindeutige Anwendung und Realität erlangt. Die wissenschaftlichen Texte hingegen verlangen gewisse Vorkenntnisse und theoretische Grundlagen im Kontext von Gender und performativen Künsten. Auch wenn Lea-Sophie Schiel in ihrem Beitrag, in dem sie die Performativitätsbegriffe Judith Butlers und Erika Fischer-Lichtes vergleicht, die Theorien beider Wissenschaftlerinnen kurz skizziert, ist das Kapitel, wie andere auch, doch eher als weiterführende Lektüre zu diesen Grundlagenwerken geeignet.

Aus tänzerischer Perspektive interessant ist Eike Wittrocks Essay, in dem er Pina Bauschs Arbeiten auf deren Queerness untersucht. Fundiert, aber gleichzeitig sehr spannend geschrieben, beäugt er kritisch die Travestie in ihren Choreografien. Er kommt zu dem Schluss, dass sie trotz der Verwendung von Drag nicht queerfeministisch sind, aber dass sie „das Machtregime der Heterosexualität überhaupt erst einmal auf der Bühne analysierbar gemacht haben.“

Allgemein bietet „Staging Gender“ ein breites Spektrum an thematischen Schwerpunkten aus verschiedensten Sparten von Oper bis Performance mit einem Diskurs zur Popmusik und kann somit ideal als gezielt weiterführende Lektüre dienen, sei es in wissenschaftlicher Beschäftigung oder aus praxisbezogenem Interesse heraus.
 

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