Die interesanteste Ballettstadt neben Stuttgart

Pick bloggt Erinnerungen über die Tanzstadt Köln

Eine gute Idee, dass die Tanz- und Filmarchive hier etwas mehr Publikum erreichen wollen! Ich möchte zur Zeit des Intendanten Günter Krämer in Köln gerne folgende Erinnerungen ergänzen.

Köln, 26/09/2019

Eine gute Idee, dass die Tanz- und Filmarchive hier etwas mehr Publikum erreichen wollen! Ich möchte zur Zeit des Intendanten Günter Krämer in Köln gerne folgende Erinnerungen ergänzen. Krämer war es, der den wertvollen Choreografen Jochen Ulrich, der durch seine Zeit an der Oper unkündbar war, in neue Bahnen schickte. Also clever, wie Krämer war, entließ er die Kompanie und Jochen in die freie Szene, die es allerdings noch nicht in der Form wie heute gab. Es wurde ein Vertrag mit Jochen ausgeklügelt, der eine Subvention aus dem Opernbudget für zwei oder drei Jahre enthielt. Mit dem Ergebnis, dass Jochen und seine außerordentlichen TänzerInnen (es waren mindestens zwanzig) pleite waren, denn keiner wusste, wie man mit diesen (wahrscheinlich viel zu knappen) Summen umgeht. Noch einige Jahre werkelte Jochen mit einem internationalen Verbund im Grenzdreieck Aachen (D), Liege (B) und Heerlen (NL) herum, folgte aber dann einem Angebot an das Theater Innsbruck und wurde wieder der, den wir aus der Domstadt kannten. Danach zog es ihn nach Linz an der blauen Donau, bis er die Augen für immer schloss. Viel zu jung war er!

Ich wollte aber noch etwas zurückgreifen und über die damals interessanteste Ballettstadt neben Stuttgart in Westdeutschland sagen. Mit dem Neubau des Opernhauses am Jaques Offenbach Platz in Köln hatte der Intendant Oscar Fritz Schuh sich in den Kopf gesetzt mit dem Ballett etwas Wichtiges zu machen und holte 1959 Aurel von Milloss – einen international anerkannten Choreografen. In dieser Zeit kam z. B. Maurice Bejart als Gast und schuf „Die Reise“ mit Musique concrète von Pierre Henry. Eine Sensation! Aber auch Bartoks „Wunderbarer Mandarin“, den Milloss mit den Tilly Söffing und Lothar Höfgen besetzte, der dann nach Brüssel ging zu Béjart. Und Tilly ging später nach Düsseldorf zu Erich Walter und beide trafen sich in Florenz wieder, wo sie mit diesem Stück beim Maggio Musicale Festival in Florenz eingeladen wurden.

Warum Milloss Köln verließ, kann ich nicht sagen, es folgte ihm von 1963 bis 1966 Todd Bolender, der vom New York City Ballet kam. Seine Choreografien gingen gewöhnlich in Richtung Balanchine, was recht gut ankam. Sein bestes Stück „Souvenirs“ war aber kaum zu überbieten. Es spielt in den 20er Jahren – evtl. in Berlin in einer Hotel-Lounge – und Tilly Söffing konnte nochmal einen draufsetzen als Diva im Leopard-Pelzmantel. Sie hauchte jeden Mann an wie ein Löwe bei der Brunft. Außer in diesem Stück wurde viel auf Spitze getanzt, wenn ich recht erinnere sehr musikalisch wie Cranko, der als Gast kam, mit „L'Estro Armonico“.

Gise Furtwängler, die in Münster sensationelle Kritiken bekam, vor allem für ihr Stück „‘adame Miroir“ nach einem Text von Jean Genet mit Tilly Söffing und Heiner Schunke wurde nach drei Jahren seine Nachfolgerin. Sie lud Birgit Cullberg aus Stockholm ein, mit dem Meisterwerk „Das Mondrentier“ mit nordischen Folkloreanklängen im Repertoire. Furtwänglers Stücke kamen gut an, aber man wollte im Opernhaus Abendfüller sehen, was sich bis heute kaum geändert hat. Auch das wurde dann in Köln probiert, mit diesem oder jenem Tschaikowsky-Abend, vor allem in den Spielzeiten bei Peter Appel, dem neuen Direktor, der kein Choreograf war, aber ein vorzüglicher Lehrer und Trainer: Das „Dornröschen“ brachte volle Häuser und hier möchte ich an Helga Held erinnern, jahrelang erste Solistin, eine Ballerina aus Berlin. Sie war eigentlich ein Zirkuskind im wahrsten Sinne des Wortes. Sie war höchst ehrgeizig und von Natur aus jemand, der die Bühnenbretter brauchte. Sie hatte mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Es gelang ihr erst, als sie nicht mehr tanzte.

Kurt Peters war 1967-1971 gemeinsam mit Peter Appel Direktor des Instituts für Bühnentanz in Köln. Besonders schön war, dass die StudentInnen in den Räumen des Instituts das Archiv benutzten. Was aber sehr wichtig war in diesen Jahren: es gab in Köln eine Reihe von Damen und Herren, die außerordentlich interessiert waren am Tanz, vorne weg Heinz Laurenzen, der die Sommerakademie des Tanzes erfand als Leiter der Musikschule. Er brachte es jedes Jahr fertig, Stars aus New York, Paris, London oder auch Monte Carlo dorthin zu holen. Es gab viele andere, die nicht direkt mit Tanz verbunden waren und immer in der ersten Reihe der Oper saßen und Einfluss auf die lokale Kultur hatten, ohne dass ich damals wusste, wer es war, wie z. B. der Medien- und Musiksoziologe Prof. Alphons Silbermann, denn man auch im Pausengespräch nicht übersehen konnte. Sie waren in der Nachkriegszeit froh, wieder gepflegte Kultur, Schönheit und eventuell auch leise Erotik zu genießen.

In der Zeit, als die 1968er in Berlin versuchten den Ballettdirektor Gert Reinholm abzusägen, entstand in Köln neben der Ballettdirektion 1971 ein Tanz-Forum unter Führung von Helmut Baumann, der Assistent von Peter Appel gewesen war. Er hatte ein Stück gemacht mit absurden Texten von Jean Tardieu, was genau wie dessen Texte ein herrliches Meisterwerk wurde. Diese neue Linie hatte keine große Bühne in der Oper, aber es war klar, dass dies wohl der neue Trend sein würde und Helmut verschwand nach zwei Jahren mit seinem Lebensgefährten Jürg Burth, ebenfalls ein begabter vielseitiger Tanz- und Theatermensch, nach Berlin. Dort fingen sie an, Musicals zu inszenieren und Helmut ist der einzige Tänzer, der es geschafft hat, in diesem Genre solche Erfolge zu haben. Er wurde Intendant vom Theater des Westens, bis nach 14 Jahren das Land Berlin kein Geld mehr hatte für ein Repertoire-Theater dieser Muse, mal abgesehen vom Friedrichstadt-Palast. Jochen Ulrich wurde 1979 der alleinige Direktor des Tanz-Forums, das es zuerst in die Oper schaffte und dann schlussendlich eingespart wurde – siehe oben!

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