„Love me more” von Saar Magal. Tanz: Ensemble.

Sam Smith als Messias

Crossover-Projekt „Love me more” frei nach Oscar Wildes „The Picture of Dorian Gray” am Schauspiel Köln

Saar Magal erinnert das Publikum mit poetischen Bildern an ihre Vergänglichkeit. Mehrere (ältere) Personen verlassen frühzeitig die Vorstellung.

Köln, 18/10/2022

Mit seinem ich-bezogenen Monolog definiert Alexander Angeletta das bisher unerforschte Tanzgenres des Egodance. Es charakterisiert sich in erster Linie durch eine selbstverliebte Ausstrahlung gepaart mit routiniertem Muskelspiel mit dem Ziel das Gegenüber gekonnt in den Bann zu ziehen. Außerdem erfordert der Egodance eine hohe Kondition, bietet keine Pausen. Und die perfide Technik, dabei auch noch sympathisch zu wirken, beherrschen nur die Besten.

Für das Crossover-Projekt „Love me more“ greift die Choreografin und Regisseurin Saar Magal als Inspiration Wildes´ Klassiker auf, um den heutigen kapitalistischen Narzissmus aufzuschlüsseln. Nun steht er auf der Bühne, der moderne Dorian Gray. Vereint mit dem gleichen Willen des Roman-Dorians sein Umfeld von seiner Makellosigkeit zu überzeugen, unterscheidet sich lediglich deren taktisches Vorgehen; seit der Buchveröffentlichung 1890 hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung der Körperlichkeit des priviligierten Körpers verändert. Stark kontrastiert vom früheren Ideal eines zurückhaltenden, schlaksigen Körpers eilt Angelettas Körper durch das Fitnessstudio-Bühnenbild, um an den einzelnen Geräten seine angepriesenen Fähigkeiten eines aktiven, eloquenten und trainierten Männerkörpers unter Beweis zu stellen. Der Unterhaltungsfaktor seines Egodance schützt ihn vor der aufkommenden Frage, was er denn eigentlich nicht könne, welche sich dem Publikum aufdrängt, aber nicht ausgesprochen wird. Vermutlich auch aus Sorge ihn nicht als Opfer des Systems entblößen zu wollen. Denn wer genau hinschaut, erkennt hinter der Fassade eine verunsicherte Persönlichkeit, die sich danach sehnt von anderen geliebt zu werden. Die Beobachtung enthüllt damit die Hauptcharakteristik des Egodance: ein selbstverliebtes Einsamkeits-Solo.

Die Probenphase gestaltet sich als Experimentierwerkstatt für die neun Schauspieler*innen und Tänzer*innen. Ohne streng an ihrem Konzept festhalten zu müssen, ermöglicht es Magal in diesem kollaborativen Umfeld den individuellen Impulsen des Ensembles zu folgen. Dieser Prozess spiegelt sich auch in der Inszenierung wider. Der Abend gestaltet sich als bildgewaltige Collage, der dramaturgische Entscheidungen zum Verhängnis wird. Die aneinandergereihten Sequenzen entwickeln aufgrund inhaltlich leerer Übergänge und Umbaupausen keine Sogkraft. Trotzdem gelingt es bei einigen Einaktern eine in sich geschlossene, intensive Wirkung herzustellen.

18 rote, zunächst meditativ schwingende, Boxsäcke geraten einmal angestoßen zu einem unsicheren Parcours, der die verführerische Beautyshow des Ensembles gefährdet. Entscheidet sich die Kostümbildnerin Slavna Martinovic bei der Darstellung von Schönheit mit dem roten bodenlangen Samtkleid für ein Symbol der Weiblichkeit, wählt sie für die Darstellung von Macht einen blauen Anzug. Die Videosequenz mit Körpern vor Urinalen bestätigt: Erfolg, Reichtum, Macht ist Männersache. Im blauen Kostüm mimen fünf männlich gelesene Körper unter missgünstiger Konkurrenz die Besteigung der Karriereleiter. Der typische Antrieb „höher, schneller, weiter“ wird mit der Darstellungsart ad absurdum geführt, weil sich die fünf Personen einerseits mit lateralen Bewegungsmöglichkeiten nur sehr langsam fortbewegen können und andererseits durch die perspektivische Kippung nicht nach oben, sondern wie Babys, auf das Publikum zu krabbeln. Und überhaupt: Wohin soll´s denn gehen? Gibt es ein Endziel oder gilt es einfach nur besser zu sein als die anderen? Woher kommt dieser ständige Optimierungswille? Eine Antwort findet sich an der Poledance-Stange. Während sich Jemima Rose Dean voller Kontrolle um die Stange windet, berichtet sie von einer disziplinierten Kindheit. Durch Drill wird in der Erziehung dem menschlichen Körper schon indoktriniert nur durch harte Arbeit etwas wert zu sein. Hat sich der trainierte Körper zum neuen natürlichen Zustand des Menschen entwickelt?

Am Ende, einem kitschigen Epilog gleich, tritt das Ensemble, wieder in rote Samtkleider gehüllt, vor das Publikum und erinnert an gefallenen Diven, die mit dem Song „Love me more“ von Sam Smith nach Zuneigung betteln. Allerdings bekommt mit der Videoprojektion von Julian Pache im Hintergrund die Szene eine berührende Tiefe. Zwei Personen, die sich zwar gegenseitig begehren wollen, aber aufgrund einer trennenden Plexiglasscheibe auf sich selbst zurückgeworfen sind. Müssen wir uns nur einfach selbst mehr lieben?

„Love me more” versucht sich von jeglichen Obsessionen wie Optimierungswille, Schönheitswahn und Selbstverliebtheit zu befreien, indem sie während des Abends entlarvt werden. Doch reicht das aus? Das Stück regt zwar eindeutig zum Nachdenken an, aber die fehlende Dekonstruktion birgt auch die Gefahr von falschen Schlüssen. Sind die frühzeitig gegangenen Zuschauer*innen etwa direkt ins Fitnessstudio?

 

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