„Tanz in den Tag“ von Thales Weilinger

„Tanz in den Tag“ von Thales Weilinger

Nachhaltiges Kuratieren

Festival Pelzverkehr 2019

In Klagenfurt etabliert sich eine regional orientierte zeitgenössische Tanzszene. Zum vierten Mal findet 2019 das Festival „Pelzverkehr“ statt. Ein Bericht.

Klagenfurt, 23/09/2019

Von Franz Anton Cramer

Ein steter Strom von Passanten bewegt sich unter reinblauem Himmel vom Bauernmarkt an der Benediktinerkirche in die Einkaufsstraßen der historischen Innenstadt. Dabei halten etliche inne, wenn sie den großzügigen Neuen Platz überqueren. Denn vor dem Rathaus hat sich rund um ein kleines Podium eine Gruppe Bewegungsbegeisterter zusammengefunden und macht „Tanz in den Tag“. Unter der freundlichen Anleitung des Klagenfurter Tänzers Thales Weilinger gibt es Improvisation, Rundtanz und Rhythmen für jeden. Mancher gesellt sich spontan dazu, die meisten beobachten mit Abstand. Der Workshop findet täglich von 10 bis 11 Uhr statt und bringt das Festival für Tanz und Performance mit dem eigentümlichen Namen „Pelzverkehr“ aus den Spielstätten hinaus auf die Straße.

Bereits zum vierten Mal, und damit eindeutig der Versuchsphase entwachsen, kann das „Tanzamt Klagenfurt“ als Veranstalter sein Programm realisieren. Das ist nicht selbstverständlich in einer Stadt, deren Einwohnerzahl knapp über 100.000 liegt. Aber die Intendantin Ingrid Türk-Chlapek hat mit langem Atem dafür gearbeitet, in Klagenfurt eine „Community“ zu etablieren und aktuelle Positionen in Tanz und Performance nicht nur auf dem Kuratoren-Markt einzukaufen, sondern sie auch vor Ort zu fördern. Natürlich sind unter den neun gezeigten Produktionen auch Gastspiele. Allerdings nur solche, die auf die besondere geografische Lage Klagenfurts Bezug nehmen. Die Grenzen zu Slowenien und Italien nämlich sind jeweils nur wenige Kilometer entfernt, das Bundesland Kärnten gehört gleichsam zu einem Dreiländereck. Regelmäßig besucht Türk-Chlapek die Festivals der Region, etwa in Bassano del Grappa, Ljubljana, Venedig oder Murska Sobota.

Konzertbewegung
Aus Italien eingeladen war die sensationelle Arbeit „This is your skin“ der Gruppe um Irene Russolillo und Spartaco Cortesi. Das Stück für drei Tänzerinnen und acht Mikrofone trägt den Untertitel „Choreografisches Konzert“. Und tatsächlich ringen sich die drei aus ihren bizarren, unablässig getriebenen und eigentümlich widersprüchlichen Bewegungsströmen viermal in unterschiedlicher Besetzung an die Mikrofone und tragen Songs vor – an der Grenze zum Textverständnis, begleitet von einem elektronischen Soundtrack, der changiert zwischen Begleitchor und Leadsänger. Die drei Frauen wirken wie falsch programmierte Avatare aus einem Computerspiel – Lara Croft bei schlechter Datenverbindung gleichsam. Abgehackt und stotternd ziehen sie prozessionsähnlich durch den Bühnenraum, die Augen weit aufgerissen, die Hände immer wieder fahrig an die Stirn, auf die Haut, vor die Augen gelegt, bisweilen verknäult, dann wieder vereinzelt und torkelnd. Ihr Duktus ist einzigartig, dieses Bewegungs-Konzert nimmt geradezu den Atem.

Mit Steckschaum und Tinte
Die Mehrzahl der gezeigten Arbeiten war aber weniger spektakulär angelegt und richtete sich in intimeren Räumen ein, etwa die irische Künstlerin Asher O’Gorman. Sie zeigte im winzigen „Raum für Fotografie“, einer privaten Galerie unweit des Klagenfurter Bahnhofs, eine hochspannende Studie zum Thema Bewegung und Malerei, etwas sperrig „chromatographychoreography“ betitelt. „Meine Performance geht noch circa 24 Stunden weiter“, sagt sie nach der Aufführung. Dabei arbeitet sie mit Steckschaum – einem Requisit von Floristen –, den sie mit farbigen Tinten tränkt. Mit genau dosiertem Einsatz ihres Körpergewichtes lässt sie die Tinte aus den Schaumquadern wieder hinausrinnen auf große Bogen Büttenpapiers. So entstehen tachistische Bilder, die sich im Trocknungsprozess fortwährend verändern. „Wenn man mit solchen Partnern arbeitet“, so O’Gorman, „weiß man nie, was passiert. Die Materialien reagieren immer anders. Sie sind deshalb Teil der Performance, nicht nur Requisiten!“ Es ist eine eindrucksvolle Studie im Geist des New Materialism, jener Schule, welche die Welt nicht mehr als Gegensatz zwischen menschlichem Subjekt und dinglichem Objekt denkt, sondern als ständige Interaktion zwischen gleichberechtigten Akteuren.

In diesem Sinne war auch eine Doppel-Ausstellung im Museum Moderner Kunst Kärnten und dem Klagenfurter Fußballstadion zu verstehen. „TOUCH WOOD“ und „FOR FOREST“ widmen sich „der ungebrochenen Anziehungskraft der Natur“. Eine choreografische Führung von Anna Wieser ist Teil von „Pelzverkehr“, und zwar einmal für Erwachsene und einmal für Jugendliche. Überhaupt galt ein Schwerpunkt dieser vierten Ausgabe Tanzstücken für junges Publikum. Insgesamt vier Produktionen standen auf dem Programm, teils von Klagenfurter Künstler*innen entwickelt.

In Zusammenarbeit mit TanzRaumK, einem Verein zur Förderung des zeitgenössischen Tanzes in Klagenfurt, entstand als Auftragsarbeit an vier junge TänzerchoreografInnen mit lokalem Bezug das Projekt „Kill your darlings“. Sophia Hörmann, Leonie Humitsch, Anja Kolmanics und Thales Weilinger bearbeiteten gegenseitig Sequenzen aus Tanzsoli der anderen. Es ging darum, das eigene Material anderen zu überlassen und daraus Neues zu entwickeln, oder zumindest neue Lesarten zu entdecken. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Trends zur Auseinandersetzung mit historischen Positionen und dem so genannten Tanzerbe stand hier zur Debatte, inwieweit auch die eigenen Tanzarbeiten überhaupt reproduzierbar sind.

Nachhaltiges Kuratieren
Ingrid Türk-Chlapek hat vor Jahren beschlossen, in der Klagenfurter Region mit Blick auf den zeitgenössischen Tanz nicht die Metropole zu imitieren, sondern eine spezifische regionale Politik zu entwickeln, die Kräfte bündelt und Potential sichtbar macht. Zu dieser Initiative gehört die Gründung des „Tanzamt Klagenfurt Celovec“ (der slowenische Name der Stadt – Kärnten hat einen erheblichen Anteil slowenischsprachiger Bevölkerung), des Programms „Stadttänzer’in Klagenfurt“ und eben des Festivals „Pelzverkehr“. Es ist gewissermaßen Modell eines neuen, selbstbestimmten und wenn man so will nachhaltigen Kuratierens.
 

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