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Köln
"NUR ICH TANZE SO!"
Kölner Tanzarchiv veröffentlicht Neuauflage von Valeska Gerts "Ich bin eine Hexe"
Sie war die Begründerin der Tanzpantomime. Sie prägte Genres wie die Tanzsatire oder den abstrakten Tanz. Valeska Gert war eine der wichtigsten Tänzerinnen des 20. Jahrhunderts, eine revolutionäre Avantgardistin. Sie provozierte, sie polarisierte, sie begeisterte. Ihr beeindruckendes Leben, geprägt von der Katastrophe zweier Weltkriege, ist in der überarbeiteten Neuauflage ihrer Memoiren "Ich bin eine Hexe. Kaleidoskop meines Lebens" in Form einer unterhaltsamen Erzählung nachlesbar.
Bereits im Alter von 39 Jahren hielt Valeska Gert zum ersten Mal ihr künstlerisches Leben in "Mein Weg" fest. Elf Jahre später folgte "Die Bettlerbar von New York", in dem sie ausführlich ihre Erlebnisse im amerikanischen Exil beschreibt. In „Ich bin eine Hexe“, das erstmals 1968, als sie 76 Jahre alt war, veröffentlicht wurde, blickt sie intensiv auf alle ihre Lebensabschnitte zurück. Die Erzählungen erstrecken sich von ihrer jungen Kindheit bis zu den Jahren nach ihrer Wiederkehr aus den Vereinigten Staaten. Allerdings fällt der Teil, in dem sie ihre erfolgreiche Tänzerinnen-Karriere in Europa beschreibt, vergleichsweise kurz aus und wird auch eher nebenbei erzählt.
Valeska Gerts Leben war von viel Unruhe und Gegenwind geprägt. Sie wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf und kam eher durch Zufall über die Schauspielerei zum Tanz. Eine jahrelange technische Ausbildung hatte sie nicht, doch ihr einzigartiges Minenspiel und der Bruch mit Genrekonventionen verhalfen ihr binnen kürzester Zeit zu großem Erfolg. Sie arbeitete mit vielen Größen der Kunstszene zusammen (beinahe beiläufig lässt sie Namen wie Brecht, Falckenberg oder Duncan fallen). Sie tourte durch Europa und war trotz oder gerade wegen ihrer polarisierenden Kunst sehr gefragt.
Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung musste sie 1938 in die USA emigrieren, wo sie ihr berühmtes Kabarett "Beggar Bar" eröffnete. Die Zeit im Exil war hart, sie hatte stets mit Rückschlägen und Anfeindungen zu kämpfen und so war sie 1947 eine der ersten RückkehrerInnen nach Berlin. Zurück in Deutschland eröffnete sie die Kabaretts "Hexenküche" in Berlin und den "Ziegenstall" in Kampen auf Sylt, spielte in internationalen Filmen, machte Musik und trat auch weiterhin in Lokalen auf. Sie lebte ein modernes Leben, war zweimal verheiratet und hatte einen Liebhaber. Kinder hatte sie nie.
Valeska Gert schreibt über ihr Leben, als sei es ein Roman. Die Episoden aus ihrem Leben – selbst die aus ihrer Kindheit – sind lebendig erzählt, teils mit Dialog und anschaulich beschrieben. Sie beschönigt nichts, ist selbstkritisch und ehrlich zu den LeserInnen und zu sich selbst. Sie steht offen dazu, dass sie immer selbstverliebt war, ein schwieriger Mensch, und das lässt sie nicht etwa unsympathisch wirken, sondern einfach nur menschlich. Sie ist sich ihrer zentralen Rolle für den Tanz im 20. Jahrhundert bewusst und bedauert deshalb, dass ihr Name aufgrund ihrer Biografie heute nicht mehr so präsent ist wie der ihrer KollegInnen. "Meine Tänze haben die Tänzer der ganzen Welt beeinflusst", schreibt sie am Ende des letzten Kapitels. "Sie wissen es nicht."
Im neuen Nachwort fasst Tanzwissenschaftler und Kunsthistoriker Frank-Manuel Peter Valeska Gerts Leben auf wenigen Seiten noch einmal zusammen. Er betont, dass Gerts Schilderungen, so absurd sie teilweise klingen mögen, stets der Wahrheit entsprechen und belegbar sind. Er schließt mit einer Skizze über den großen Einfluss ihrer Kunst in der heutigen Forschung.
"Ich bin eine Hexe" ist alles andere als die trockene subjektive Darstellung einer Biografie. Valeska Gert schreibt lebendig, humorvoll, sarkastisch, detailreich, anschaulich, sie schmückt angemessen aus und lässt stets die Reflexion ihrer älteren Ichs in ihre Beschreibungen einfließen. Geschrieben wie ein unterhaltsamer Roman mit einem Lebensinhalt, der aus einem Roman stammen könnte, ist "Ich bin eine Hexe" eine absolute Empfehlung für jede/n TanzfreundIn.
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