„It’s me!“
Ausstellung zu Selbstinszenierung im Tanz
Genussvoll lässt sich hier der Frage nachgehen, mit welchem Ziel wir eigentlich das Ich (im Tanz) inszenieren. Und „wir“ ist so gemeint: Die von Thomas Thorausch ziemlich hintergründig kuratierte Ausstellung bringt alte Fotos historischer Tanz-Stars aus dem Archiv mit TikTok-Videos von Nobodys zusammen. Das aber, wiederum wörtlichlich gemeint, nicht auf den ersten Blick.
Dieser erste Blick, er kann direkt ganz in die Tiefe der Ausstellung gezogen werden, wo durch eine offene Tür im hintersten Raum das Flimmern eines Filmes auf großer Leinwand lockt. Oder aber man bleibt mit dem Blick direkt vor Ort, am Anfang der Ausstellung. Auch dort werden die Besucher*innen direkt eingefangen. Es ist der offene Blick Eline Larrorys. Die Tänzerin steigt in dem Kurzfilm „Contresense“ aus der Pariser U-Bahn, schaut den Betrachter direkt in die Augen und beginnt mit wilder Grimasse einen kurzen ausgelassenen Tanz, der sie bis rauf auf die Straße führt. Auch am Ende: wieder der direkte Blick, die Einladung, die Provokation, die Einladung zur Komplizenschaft.
Das Besondere ist dabei die clevere Präsentation: Hier sind keine großen Screens installiert. Alle Videos (bis auf den Film im hinteren Raum) werden auf smartphonegroßen Bildschirmen präsentiert. Das verbindet sich natürlich direkt mit dem TikTok-Hochkant-Format und kommentiert damit wortlos den Weg heute verbreiteter Selbstinszenierung via Tanz. Diese Videos sind aber nicht etwa überpräsent, wie oft im Alltag wahrgenommen. Die Displays sind so positioniert, dass erst auf dem Rückweg in Richtung Ausgang die Videos sichtbar werden.
Offene und versteckte Zitate
„Ich ist ein anderer.“ Rimbauds Zitat an der Wand. Neben weiteren. Zwischendrin Binärcode. Nullen, Einsen. Als könne man durch objektive Analyse einer faktischen Wahrheit hinter den Fotos habhaft werden. Und dazu, äußerst sparsam und dadurch desto ästhetischer arrangiert, ein paar Fotos bekannter Tänzerinnen. Josephine Baker, Anita Berber, Anna Pawlowa als der ewige sterbende Schwan. Und ganz hinten, fast einsam, eine späte Aufnahme von Valeska Gert, auf Sylt, aufgenommen 1976.
Die TikTok-Videos laufen nicht isoliert von den historischen Aufnahmen. Eine PoC-Frau inszeniert sich selbst als Josephine Baker und hält nonchalant ganz nebenbei eine Bananenstaude in die Kamera. Eine andere Frau inszeniert sich für Halloween (!) wie Anita Berber in rotem Kleid, wie sie von Otto Dix portraitiert worden war.
Und plötzlich schaut man ganz anders auf vermeintliche oder eventuelle Schnappschüsse. Das Ich, es will wahrgenommen werden. Ich weiß, dass du mich siehst. Dieser geleitete Blick, will er enthüllen, preisgeben oder gerade durch das Lenken in Wahrheit verhüllen?
Diese Fragen entstehen aus der offenen Ausrichtung der Ausstellung. Entgegen dem aktuellen Trend vieler Museen, gezeigten Werken „erläuternde“ Texte beizugeben, wird hier nichts erklärt. Gar nichts. Keins der Fotos oder Videos gibt etwas Konkretes vor, keine Denkrichtung. Stattdessen bietet die Ausstellung einen offenen Denkraum, Raum für Assoziationen. Der eigene Auftritt, er fällt danach irgendwie anders aus, bewusster.
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