Eröffnung der Ballettfestwoche in München

„Gods and Dogs“ von Jiri Kylián und Jerome Robbins "Goldberg-Variationen“

München, 23/04/2012

Klassische Ballette wie „Dornröschen“, „Nußknacker“ und „Schwanensee“ gehören zwar immer noch zum Standard-Repertoire des Bayerischen Staatsballetts. Aber seine Stärke ist längst Neoklassik und moderner Tanz – wie gerade jetzt wieder der Ballettwochenauftakt im Münchner Nationaltheater bewies. Getanzt wurden „Gods and Dogs“ von 2008 des tschechischen Modern-Dance-Meisters Jiri Kylián und die 1971 von Jerome Robbins (1918-98) in feinste Neoklassik übersetzten Bach'schen „Goldberg-Variationen“. Und wie getanzt wurde! In diesem neoklassischen Robbins sind die Staatsballett-Tänzer einfach „zuhause“: anmutig in der Geste, präzise in der schnellen Fußarbeit. Genau das war auch Vorbedingung des Robbins-Trusts, der – entsprechend Robbins' berüchtigtem Perfektionismus – seine Ballette nur an Ensembles von technisch-tänzerisch hohem Niveau vergibt. Da kommt es einer Auszeichnung gleich, dass die Münchner nun als erstes „fremdes“ Ensemble dieses 1971 ausschließlich für das illustre New York City Ballet kreierte Werk tanzen dürfen. Aber ganz abgesehen von der Tanzqualität: Noch in der Vorstellung selbst hatte man Zweifel. Würden diese 30 Variationen, samt Aria und Reprise, also achtzig Minuten reiner abstrakter Tanz, nicht spätestens in der Hälfte der Zeit langweilen? Ganz und gar nicht, zumindest nicht für Zuschauer, die an tänzerischer Linie, an Schritten und Raumformationen interessiert sind: Robbins hat choreografisch subtilst in Klangfarben, Stimmungen, Tempi und Rhythmen der Bach-Musik hineingelauscht: Den Tanz-Reigen, zupackend unterstützt von Elena Mednik am Flügel, eröffnet ein einzelnes Paar in Kostümen (Joe Eula) aus der Zeit Bachs, beide mit gemessen barocken Tanzschritten und Armgesten. Es folgen – jetzt Männer und Frauen in der „Neoklassik-Uniform“: schlichte Tanztrikots und locker schwingende Tuniken – Sequenzen mit Pas de trois, große Gruppe,drei Paare, vier Männer, mehrere Pas de deux und Soli für die Solisten. Das fließt alles so in der Musik dahin: mal allegro-lebhaft, gleich darauf in gelassen höfischem Tanz-Schreiten.

Aus Bachs Variationskunst scheint Robbins seine eigene geschöpft zu haben. Er mischt unerwartet neoklassische Vokabeln mit schwungvoll jazzigen Armen und Schlitterschritten, mit Folkore-Hüpfern und grazil-barocken Einsprengseln. Und tüftelt immer neue Tänzer-Formationen in den Raum. Diese sieht man natürlich am besten von Balkon und Rängen aus. Gegen Ende, wenn alle Tänzer barocke Mode tragen, erlaubt Robbins auch sparsam Virtuoso-Stückchen aus klassischer Ballett-Vergangenheit: komplizierte Pirouetten und Sprungmanegen, die Lukas Slavicky und Tigran Mikayelyan kraftvoll-elegant servieren. Wenn auch abstrakt, so wirkt dieses Robbins-Ballett doch entfernt wie ein heiter entspanntes Fest einer kultivierten tanzfreudigen Gesellschaft. Auf jeden Fall ist es ein so ausgefeiltes Ensemble-Stück (mit insgesamt 32 Tänzern), das auch dem Gruppentänzer einmal Gelegenheit bietet, sich zu profilieren.

Nach der Pause Kyliáns „Gods and Dogs“ („Götter und Hunde“), ebenfalls ein abstraktes Stück, aber – wie Kyliáns eigenes Gesamtkonzept es beabsichtigt – zugleich lesbar als eine Art mystisches Tanzgedicht über den Menschen als zwittriges Geschöpf zwischen Göttlichem und Animalischem: Hoch über der dunklen Bühne hechelt in verschwommener Projektion (Daniel Bisig/Tatsuo Unemi) ein Wolfshund auf uns zu. Das Ineinander von Beethovens Streichquartett op. 18 und zeitgenössischen geräuschigen Klängen von Dirk Haubrich schafft eine irisierend doppeldeutige Atmosphäre. Und offensichtlich inspiriert durch ägyptische Gott-Tier-Gestalten hat sich der geniale Bewegungserfinder Kylián wieder alles Mögliche einfallen lassen. Die Tänzer begegnen sich in tierhaft geschmeidiger Ungezügeltheit zu Geschlechterkampf und Liebesbalzen. Und ihre Körper verhaken und verflechten sich dabei zu ungewöhnlichen bizarren Doppel-Wesen.

Der neoklassische Robbins und der moderne Kylián an einem Abend, das ist fast ein Kontrastprogramm. Eines haben sie dennoch gemeinsam: In ihrer abstrakten choreografischen Form pulsiert immer auch eine lebendige Menschlichkeit. – Man sollte sich den Abend ansehen.

Weitere Vorstellungen 26. 4., 30. 5., 8. und 23. 6., 2. 7.

 

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