Spurensuche im Sakralen
Stefano Giannettis „Ritus“ als Uraufführung am Anhaltischen Theater in Dessau
„Tanzt! Tanzt! Tanzt!“ mit Arbeiten von Stefano Giannetti, Nunzio Impellizzeri und Yaron Shamir
Dreimal Tanz mit drei Uraufführungen. Der Dessauer Ballettdirektor Stefano Giannetti hat die beiden Choreografen Nunzio Impellizzeri und Yaron Shamir eingeladen, um zusammen einen dreiteiligen Abend unterschiedlicher Tanzstücke für das Publikum der der Bauhausstadt zu entwickeln. Seit seinem Amtsantritt hatte hier vor allem Giannetti selbst gewirkt, etwa in „Ritus“, „Sacre“, doch nun soll sein „erstklassiges Ballettensemble, klein aber fein“ (so Giannetti im Programmheft) mal mit anderen Choreografen zusammenfinden.
Nunzio Impellizzeri : „Flam.Me.Um“
Den Anfang macht der Italiener Nunzio Impellizzeri mit „Flam.Me.Um“. Der Titel verweist zum einen auf den antik-römischen Brautschleier, als auch das Weiße im Inneren einer Orange. Und orange ist zunächst auch die dominierende Farbe der aufgeschlitzten Kostüme, der zehn Tänzer*innen. Zunächst hinter Gaze posieren einige Tänzerinnen, kleiden sich an, um dann um den großen Kreis der Drehbühne eine Art Fest zu feiern. Im Hintergrund fährt derweil eine leuchtende Gelenkskulptur als bewegliche Linie herunter, die sowohl Form als auch Farbe ändern kann. Impellezzeri setzt auf weiche Bewegungen, einen dauernden Flow, fluide und ohne klare Setzungen.
Musikalisch ist es eine bunte Mischung, mal Pop, mal Tango, mal Streicher und Klavier. Es gibt Gruppennummern, Paarbegegnungen und hier und da auch Soli. Immer wieder versammeln sich die Nicht-Tanzenden um den Kreis, sehen den anderen zu, wenn sie etwa in einem Sextett das Publikum mit ihren entblößten Rücken entzücken oder einen Ball über die Bühne rollen. Am Ende kommen dann alle zusammen nach vorne, posieren wie vor einem Spiegel und werfen Küsse ins Publikum. So hübsch das alles daher kommt, es fehlt eine dramaturgische Bearbeitung des Materials. Lediglich Anfang und Ende sind klare Bilder, der Rest ist diffus und vor allem ziellos: Das Fließen zerfließt – 40 Minuten lang.
Yaron Shamir: „Nightingale“
Auf klare Gegensätze im Goth-Style setzt der zweite Teil des Abends. Der israelische Choreograf Yaron Shamir schickt in „Nightingale“ acht Tänzerinnen in einen Zwischenraum zwischen Gefecht und Gericht. Schon in der Anfangsszene thronen drei schwarz-rot gewandete Protagonist*innen wie Hunde an der Kette in starkem Gegenlicht, während vorne eine Ballerina ihre Spitzenpirouetten dreht. Ein Tribunal. Die Bedrohung ist offensichtlich, und natürlich kommt es bald zur Konfrontation, welche die zarte Kunst verschwinden lässt, zugunsten rabiater ausgreifender Choreografie. Das achtköpfige Ensemble stürmt von hinten durch einen Kettenvorhang auf die Bühne. Teuflische Figuren, rasant und voller Energie, mal in großen Gruppen, mal in kleinen Konstellationen. Immer wieder aber tauchen auch die zarten Tanzwesen auf, die sich behaupten müssen gegen diese rot-schwarze mephistophelische Welle, werden davon getragen, umschwärmt und, ja, auch begehrt. Dabei verlieren die kleinen Teufel*innen fast ihre gesamte Kleidung, tanzen nur noch in schwarzen Tops und Shorts gegen Ende. In die Bewegungen mischen sich auch schon mal Hip-Hop-Moves.
Dazu hat Sandrow M einen dunklen Wave-Soundtrack geschaffen, in dem dieses Ringen seinen Platz finden kann. Am Ende dann wartet ein Thron auf die Mephistos, wer wird in einnehmen? Es ist überraschendere Weise der Spitzentanz. Nightingale verweist also nicht ohne Grund auf die Trilogie der „Hunger Games“, wo es um den Widerstand gegen ein faschistisches Regime geht, mit eisernem Vorhang und der doppelten Diktaturgeschichte in Dessau spannt das Werk einen assoziativen Bogen der Unterdrückung und des Widerstands – und das ganz ohne platte Politisierung. Ein kraftvoller Vorstoß, der in seinen 30 Minuten Lust auf mehr macht.
Stefano Giannetti: „Hybrid“
Den Schlusspunkt mit seiner Company choreografiert Giannetti selbst. Grundlage ist ein pulsierend elektronischer Soundtrack von Alva Noto, der mit „Hybr:ID I“ das titelgebende 25-minütige Stück beisteuert. In grau befleckten, flirrenden Kostümen, die alles ein wenig wie digital verschwommen wirken lassen, gibt es hier Zeitgenössisches auf Spitze. Am Anfang pulsiert es ordentlich, zwei Tänzer*innen stehen wie verwachsen auf der Bühne, schälen sich auseinander heraus.
Die Bewegungen der Pas-de-Deux und Gruppentänze haben robotische Anwandlungen, aber im Grunde wird hier ziemlich klassisch getanzt. Es bilden sich Gruppen, aber nie lange. Die Musik gibt den Takt vor, und dazu kommen große Projektionen von ineinander schmelzenden Tänzer*innen, die Guido Petzold beigesteuert hat. Sie führen als zweite Ebene den Tanz auch auf eine inhaltliche Ebene, denn all die permutierenden Bewegungen spiegeln sich in den Animationen. Mit 25 Minuten ist dieser Abschluss der kürzeste Teil.
So liefert „Tanzt! Tanzt! Tanzt!“ drei ganz unterschiedliche Handschriften und drei Arten, mit Tanz umzugehen. Das zwölfköpfige Ballettensemble (hier verstärkt um drei Tänzer*innen), das ja alle drei Stücke gleichzeitig erarbeiten musste, hat hier seine Vielseitigkeit und Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.
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