„Make it Count“ von und mit Matteo Haitzmann

Vollkommen im Moment

Matteo Haitzmann mit „Make it Count“ auf der CPA

Er nutzt das Leiden als performatives Werkzeug. Und alles nur für das Publikum. Im Interview mit Sophie Switenko verrät Matteo Haitzmann, was seine Seilspring-Performance mit Empathie zu tun hat und was er über Fehlerkultur gelernt hat.

Salzburg, 05/12/2025

Ausgestattet mit Diktiergerät und Videokamera dokumentiere ich die Räume der Choreographic Platform Austria und konzentriere mich dabei auf die Klänge des Festivals. Zwischen schabenden Geräuschen auf Böden, atmenden Körpern und rhythmischen Schritten hat sich mir dabei ein Stück besonders aufgedrängt: die Arbeit von Matteo Haitzmann, die exemplarisch zeigt, wie eng Körper und Sound miteinander verwoben sind. Ich habe das Gespräch mit Matteo Haitzmann gesucht, um einen Einblick in sein Schaffen zu bekommen. 

 

Welche Rolle spielen Sounddesign und Musik bei der Entwicklung deiner Performances? 

Eine sehr große Rolle. Ich sehe mich an erste Stelle als Musiker und dann als Performer. Ich denke eigentlich eher immer in Kompositionen als in Choreografie. Auch bei diesem Stück, „Make it Count“, passiert die Choreografie aus der Komposition heraus. Es sind also komponierte Pattern. Und dann schaut man, was der Körper macht. Auch wenn ich als Tänzer und Performer schon sehr lang arbeite: Was mir persönlich eine gewisse Sicherheit gibt, ist, dass ich ein Selbstverständnis als Musiker habe.

Der Titel „Make it Count“: Wie kam es dazu? 

Lustigerweise kam die Phrase von einer App, mit der ich viel trainiert habe, als ich angefangen habe, zu springen. Dabei habe ich noch nicht an das Stück gedacht. Da hat die digitale Person immer im letzten Intervall in einer ganz nervigen Art und Weise „Make it count! It’s the last round!“ gesagt, und so kam das rein. Mein Wunsch ist, dass jede Performance wirklich zählt, auch schon im Kreieren. Das Stück selbst ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen, weil es sehr high-performative und körperlich ist. Man schaut eine Stunde lang zu, wie dieser Körper sich wirklich verausgabt. Somit spielt der Aspekt eines Erschöpfungs-Voyeurismus‘ eine Rolle. Die Kehrseite ist, dass man eine performende Person (körperlich) leiden sieht, die damit Empathie erzeugt.

Gibt es, bis auf die Erzeugung von Empathie, sonstige emotionale Intentionen hinter der Performance? 

Wenn man auf der Bühne ist, dann ist es schon ständig eine Frage von Intentionen, aber auch von Außenwahrnehmung: Schafft man es, das ‘outside eye’ abzustellen? Für mich ist es sehr wichtig, wirklich im Moment zu sein, statt auf meine Wirkung auf das Publikum zu achten. Da ist tatsächlich Erschöpfung ein gutes Hilfsmittel, weil man dann schließlich diesen Punkt erreicht, wo man so müde ist, dass man sich nicht mehr darum kümmern kann, was die anderen Leute denken. Man gerät schließlich in einen Durchhalte-Modus. Das führt dann zu einer Art Durchlässigkeit oder Transparenz von der Person auf der Bühne. Ich finde, eine zu große Selbstwahrnehmung von einer performenden Person auf der Bühne sieht man immer. Somit bieten sich Ausdauer und Erschöpfung als ein gutes Werkzeug dafür an, zu sehen, ob die performende Person vollkommen im Moment ist.

In deinen Arbeiten tauchen oft Themen wie Empathie und Einsamkeit auf. Besonders fiel mir der Aspekt der Einsamkeit bei „Make it Count“ auf, da ihr zu dritt auf der Bühne seid, aber vereinzelt auf Podesten steht. War das Absicht?

Das kommt aus der Entwicklung des Stücks. Zuerst kam mein Podest, da ich eine Möglichkeit gebraucht habe, den Boden, wo ich springe, zu mikrofonieren. Somit kam die logische Entscheidung, dass ich nicht allein auf einem Podest sein möchte. Das hat sich dann weiterentwickelt: Es ist ein Gemeinsames, aber gleichzeitig auch das Einzelne. Danach haben wir damit begonnen, mit den Lichtern zu spielen und dieses Inselgefühl zu verstärken. Ich glaube, das ist im Prozess vom Kreieren stets so: Man kommt auf eine Idee und dann positioniert man sie und sieht, erst im Nachhinein, Bedeutung darin. Die Kernideen von Stücken kommen oft genau so, aus einer Notwendigkeit heraus.

Du arbeitest als Geiger und Komponist. War es eine bewusste Entscheidung keine Geige für die Aufführung zu benutzen? 

Am Anfang war die Idee, dass Geige drinbleibt – wir haben auch damit geprobt. Dennoch ist Geige in einer Performance für mich ein schwieriges Thema, weil es eine gewisse Körperlichkeit hat: Ich sitze aufrecht da und bin dadurch plötzlich Musiker. Es gibt bestimmt Geigenspielende, die gut hin- und herreißen können. Bei mir entsteht ein ganz anderer Fokus. Ich sende weniger raus. Musik bedeutet für mich, beim Klang zu bleiben und bei mir zu sein, statt ständig zwischen Performance und Öffnung zum Publikum zu wechseln. Dieser Wechsel fällt mir schwer – ich habe bis jetzt noch keine Lösung dafür gefunden. Vor allem bei ‘Make it Count’ ging es wirklich darum, Material zu reduzieren und dadurch wird es stärker. Das hatte keinen Sinn, das noch aufzublasen.

Wie siehst Du die Entwicklung von experimentellen Konzertformaten in der Tanz- und Musikszene?

Man sieht nicht so viel von dieser Art. Das hat einen spezifischen Grund: Für Performancefestivals ist es zu musikzentriert und für Musikfestivals zu performativ. Es passiert schon in Performance viel mit Live-Musik, aber dann oftmals eher aus einem Autodidakten-Setting heraus. Bei „Make it Count“ haben wir schon wirklich diesen Anspruch von Live-Musik. Es erfüllt Konzertkriterien auf einem sehr präzisen Level. Und das kommt gar nicht so viel von mir als springende Person, sondern von den zwei großartigen Musikern, die das mit mir machen. Diese Verschränkung von Konzertformaten gibt es generell wenig, was superschade ist. Außerdem gibt es eine Überausbildung in Musik. Ich kenne so viele Kolleg*innen, die deswegen keine Arbeit haben. Es sollte in der künstlerischen Ausbildung größtenteils darum gehen, dass Leute ihre künstlerische Sprache finden, und nicht indoktriniert werden. Daher glaube ich, dass dieses Format unterrepräsentiert ist, und die Festivals sich dem Feld aktiv öffnen sollten.

Welche Herausforderungen gab es bei „Make it Count“? 

Ganz viele. Ich hatte überlegt, eine sprachliche Ebene reinzugeben oder eine Art Hüpfhypnose zu etablieren. Ich sehe es auch als einen wesentlichen Teil vom Prozess, dass man viel an Material ausprobiert. Die Schwierigkeit ist, dass man dann doch wieder zu diesem ganz destillierten Material zurückgeht, obwohl man es mit möglichst vielen Facetten füllen möchte. Aber meiner Meinung nach ist das äußerst wichtig, genau da durchzugehen. Das ist nur möglich, wenn man viel Zeit hat, was meistens wegen Förderstruktur und Geld nicht der Fall ist. Und natürlich eine ganz große Herausforderung war, das muskulär aufzubauen. Dass man die richtige Muskulatur stärkt und man dem Körper nicht wehtut. Da gibt es also viele Aspekte, die oftmals einem Kurator nicht bewusst sind, wie viel Arbeit das eigentlich ist.

Du arbeitest häufig mit anderen Künstler*innen, wie zum Beispiel Lukas Froschauer zusammen. War eine gemeinsame künstlerische Sprache schon immer da, oder musstet ihr sozusagen darauf hinarbeiten? 

Es ist ein Antasten. Man ist ein bisschen aufgeregt, weil man ein gutes Umfeld bieten möchte und man sich somit natürlich fragt: „Oh Gott, was denken die Leute?“ Das wird jetzt zum Glück bisschen weniger. Und man spürt wirklich immer, ob das Interesse ehrlich ist und ob die Person, mit der man arbeitet, hinter der Idee steht. Was auch nicht jederzeit der Fall sein muss, denn manchmal besteht die gleiche Ästhetik oder Intention dahinter einfach nicht. Und diese haben wir, Lukas und ich, aber schon sehr, weil wir beide eine ganz große Liebe für Renaissance-Musik haben. So eine Sache verbindet schon auch oft, weil wir über experimentelle Klangsuche mit Podest reden können, aber gleichzeitig kann man auch Referenzen von einer Bach-Kantate verwenden. Vor allem bei der Tongestaltung. Ich liebe es, einen Klang zu nehmen, der eher an eine andere Ästhetik wie zum Beispiel die frühe Renaissance erinnert, und diesen dann aber in eine zeitgenössische Sache zu positionieren. Da haben wir einfach eine sehr ähnliche Sprache.

Wie gehst du mit Lampenfieber um?

Lampenfieber habe ich tatsächlich fast nie. Wenn ich merke, dass ich aufgeregt bin, freue ich mich eher darüber. Das ist eine Art Energie. Und wenn ich es in meinem Bauch spüre, dann sehe ich das als einen Treibstoff. Vor jeder Show gibt es den Moment, wo ich mich hinsetze, durchatme und mich auf das Gefühl konzentriere und schaue, dass dieses Gefühl sich in Treibstoff verwandelt. Das ist etwas, was mich ermutigt. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel öffentlich Bach spielen müsste, würde ich sterben vor lauter Aufregung. Da reproduziert man ein berühmtes Stück und es gibt so viel Meinung dazu. Es gibt auch bei meinen Stücken viel Meinung, aber bis jetzt war es zum Glück immer so, dass, wenn es auf die Bühne kam, ich damit zufrieden war. Gegen Kritik bin ich nicht immun. Mir ist sehr wichtig, was die Leute denken. Trotzdem gibt es einen Teil von mir, der dann differenzieren kann und sich damit abfinden kann, dass es nicht jedem gefällt. Und wahrscheinlich hilft auch das Älterwerden, was mich denken lässt: „Dann passiert halt ein Fehler.“

 

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation von tanznetz mit Studierenden der Paris Lodron Universität in Salzburg unter der Leitung von Dr. Miriam Althammer und der Choreographic Platform Austria.

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