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Tanzplattform Sachsen 2013
Wunder brauchen etwas länger. Eigentlich war Hermann Heisigs „Timing“ schon vor zwei jahren angekündigt vom Spector Verlag, doch jetzt ist es tatsächlich da. Heisig nimmt darin ist eine Bestandsaufnahme des bisherigen Schaffens vor. Es ist die Dokumentation eines Weges und seiner Begegnungen in Leipzig, Berlin und darüber hinaus. Wir treffen auf Weggefährten wie Anna Zett und Marina Quesada auf Diana Wesser, Nuno Lucas und Elpida Orfanidou und auf seine Arbeiten, aber vor allem auch auf sein Leben. Er selbst versteht sich mit seinem schlaksigen, für den Tanz eher ungeeigneten Körper und seinem Hang zur Anarchie als lustigen Performer, auch auf die Gefahr hin durch den Einsatz von Komik nicht ganz ernst genommen zu werden.
Das Buch ist ein großes Fotoalbum, dass die wichtigsten Stationen wie die Geburt 1981, das Aufwachsen im Vor-Wende Leipzig, der Erweckungsmoment beim Tanzsolo auf der Euro-Scene 1997 in Leipzig, das spätere Tanzstudium in Berlin (wo er seine treue Wegbegleiterin Anne Zacho Søgaard kennen und lieben lernte) und dann seine Projekte an verschiedenen Orten. Immer wieder kommt er nach Leipzig zurück, das mittlerweile wieder Lebens- und Arbeitsmittelpunkt ist.
Foto-Dialoge zwischen Performer und Dramaturg
Immer wieder unterbrochen wird diese wohl kurartierte Bildersammlung aus Szenenbildern und privaten Schnappschüssen durch Intervieweinschübe mit dem Dramaturgen Igor Dobričič. Sie führen über die 240 Seiten ein nicht enden wollendes Gespräch voller Anekdoten und Erinnerungsspiltter. Dobričič pickt sich einzelne Bilder heraus, die dann mit Heisig dialogisch ergründet werden und tief eintauchen in das Private, etwa des Verhältnis zu seinem Vater Johannes Heisig, dem bekannten Maler, seiner Mutter Christabel Heisig, die als Lektorin arbeitet und die ersten Freundschaften des jungen Hermanns: „Für den Hintergrund, aus dem ich kam, war Tanz ein kaum definiertes Gebiet.“ Auch später finden immer wieder Eindrücke aus dem privaten Fotoalben der Familie Heisig in den Band und zeichnen das Bild eines Menschens, der Kunst und Leben kaum zu trennen vermag. Immer wieder überlagern sich auch die Kommentarebenen im Buch selbst, setzen sich Bilder und Text in überraschende Verbindungen.
Dabei folgen die Fotos nicht unbedingt der scheinbar strengen Chronologie, sondern immer wieder gibt es verblüffend paralleles aus verschiedenen Jahrzehnten. Die Fotos werden besser, den ersten Bühnenversuchen, festgehalten als Schnappschuss folgen professionelle Bühnenfotografien, doch auch hier mischt der Band mit spontanen Aufnahmen jenseits der reinen Bühne. Mittlerweile lebt der 42jährige mit seiner wieder in Leipzig, doch seine Stationen in Berlin, Frankreich, Italien oder anderen Residenz- und Arbeitsorten zeichnen das Bild eines wahren Nomaden. Und seine Bilder von der riesigen Berliner WG in der Schönhauser Allee, wo es 140 Quadratmeter mit Ofenheizung für 626 D-Mark im Monat gab, sind zugleich beredte Zeugen des Wandels der Zeiten. Ein Werkverzeichnis rundet das Ganze ab.
Ein erfrischende, großformatige und kurzweilige Bestandsaufnahme eines bisweilen doch etwas ausufernden Werks und Lebens, das beides noch mit vielen Überraschungen aufwarten dürfte.
Hermann Heisig: Timing, Spector Books, 240 Seiten, 32,00 Euro
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