Tiefgang – Vielfalt – Höhenflug
Das 7. Gibanica-Festival in Slowenien wirkt unangestrengt souverän.
Gibanica 2025 und Moving Balkans Contemporary Dance Platform in Slowenien und Kroatien
Das „Kleine Theater“ im Creative Center Krušče ist wirklich sehr klein. Hinter der von Hand aufgezogenen Falttür liegt eine winzige Küche mit Boiler, Spüle, Kochplatte, Waschmaschine, Tisch. Das Handgemenge mit dem Alltag als Hausfrau und Mutter, den Ansprüchen und Erwartungen der Familie, der Gesellschaft, bewältigt die Tänzerin/Choreographin Katja Legin in „A House A Home“ mit hastigen, abrupten Bewegungen, begleitet von einem Soundtrack aus ihrem Leben: „Teo, don’t run on the stairs. It’s a scenography for my show.“ Das Stück lässt das Publikum am Leben von Katja Legin, Mann Tomi Janežič, einem sehr erfolgreichen Theaterregisseur, und zwei Kindern in Krušče, einem winzigen Flecken, eine Autostunde von Ljubljana entfernt, teilhaben. Die zum Auftakt der 12. Tanzbiennale am 6. Mai in die saftig grüne Landschaft angereiste Gesellschaft saß bei Suppe und Teigtaschen im „Wohnzimmer“, bestaunte die umgebaute Scheune, genoss die Einladung „Feel at home“. Einfach loslegen und machen, das gehört zum Überlebensprinzip der slowenischen Tanzszene.
„Gibanica 2025“, organisiert von der Contemporary Dance Association Slovenia, bot bis zum 10. Mai von morgens bis abends das volle Programm: Acht Aufführungen, die von Nika Arhar (Kritikerin/Theaterwissenschaftlerin/Publizistin) und Ingrida Gerbutavičiute (Intendantin tanzhaus nrw) aus 51 eingereichten Produktionen ausgewählt, und zwei Performances, die von den Gewinnern des „Gibanica Award 2023“ nach dem Carte blanche-Prinzip vergeben worden waren. Dass die Tänzer*innen/Choreograf*innen mit wenig Geld auskommen müssen, war den Stücken anzusehen: einfache Ausstattung und Kostüme, die Hälfte Soli. Texte, Bilder, Filmausschnitte, Material, wenig Tanz bestimmten die Auswahl.
Als die dreiköpfige internationale Jury und das Publikum die acht Stunden lange Performance „Agmysterium (The Fourth Time)“ von Klemen Kovačič zum Gewinner kürte, die er zum Abschluss seines Theaterstudiums entwickelt hatte, gab es unter den Tänzer*innen/Choreograf*innen doch lange Gesichter. Zeigte sich da die Ungleichzeitigkeit der tänzerisch-künstlerischen Entwicklungen in der zeitgenössischen europäischen Tanzszene? Ein Generationenbruch? Fragen für intensive Gespräche am Abend.
Ein Tag war der Situation der internationalen Tanzszene und der vor Ort und den neuen Herausforderungen gewidmet. Die stark vertretene französische Delegation berichtete von der reichhaltigen Struktur der mit Millionen geförderten, über das ganze Land verstreuten zeitgenössischen Tanzszene. Einfach Wahnsinn, was möglich ist, wenn ... Nur in kleinen Schritten bewegt sich hingegen Rok Vevar (Autor/Tanzhistoriker), der 2011 das Temporary Slovene Dance Archive gründete, das er mittlerweile aus seiner Wohnung in mehreren Schränken des Museums für zeitgenössische Kunst Metelkova in Ljubljana unterbringen konnte. Ein Anfang. In der Ausstellung „Dancing, Resisting, (Un)Working“ zeigte sich, wie politisch die (jugoslawische) Tanzgeschichte war, heute ist. Es gibt viel zu entdecken, kennenzulernen und auszuprobieren. Und das gilt nicht nur für das köstliche Dessert namens Gibanica.
Der Kampf um Produktionsgelder, Studios, bessere Arbeitsbedingungen, Ausbildungsmöglichkeiten, sprich um die kulturpolitische Anerkennung/Förderung des zeitgenössischen Tanzes, ist auf dem Balkan in vollem Gange. Eine kleine Gruppe von kampferprobten Optimist*innen hatte sich zusammengetan, Anträge gestellt, geredet, ohne Ende gezoomt und tatsächlich die 1. Tanzplattform „Moving Balkans“ am 10. Mai abends in Ljubljana eröffnet. Über alle politischen Grenzen hinweg tanzen, allen politischen Widerständen trotzen, wollen die 12 Partnerorganisationen aus Bulgarien, Serbien, Slowenien, Kroatien, Albanien, Griechenland, Nordmazedonien, der Türkei, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo und Rumänien, um die Geschichte und Kultur des Balkans wieder zu beleben. „Uns verbindet“, sagte ein Teilnehmer, „das mediterrane Lebensgefühl, unsere Lebenskultur.“ Die 12 haben schließlich vielen und selbst der EU (auch dem Goethe-Institut!) Förderung für ihre Vision entlocken können.
Aus 174 Einreichungen wurden zehn Stücke ausgewählt: nüchterne Konzeptkunst, burleske, amüsante Stücke, von Beats getriebene Urban Dance Culture-Versionen. In sechs Pitches stellten Tänzer*innen/Choreograf*innen ihre Arbeit vor, warben um geförderte Residencies, Aufführungsmöglichkeiten und gaben sehr persönliche Einblicke in ihr Wanderleben quer durch Europa. Wenn sie heimkehren, sind sie mit postsozialistischen Gesellschaften konfrontiert, die zwischen gestern und heute irgendwie funktionieren. Garniert mit reichlich Korruption. Schwierig.
In Bussen reisten Tänzer*innen, Choreograf*innen, Journalist*innen, Veranstalter*innen aus vielen Ländern nach Rijeka und Zagreb und rückten in den langen Tagen/Nächten immer näher zusammen. Alter, Gender, Pass, komplett egal. Aufbruchstimmung machte sich breit. Vielleicht erlebten wir die Geburtsstunde einer neuen länderübergreifenden Community. Dafür sei den „Moving Balkans“ Teja, Mirna, Atanas, Iztok und den vielen anderen Dank. 2026 „besetzt“ die Balkan-Tanz-Guerilla Novi Sad.
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