Kollegiale Zärtlichkeit der freelance lover
Sanfte Arbeit/Elsa Artmann mit „Langes Wochenende“ in der Tanzfaktur Köln
von Mareike Lyssy
„Wollen sie das?“, frage ich mich, als sich der Saal langsam füllt. Sollen mich die symmetrischen, pinken und blauen Linien auf dem Boden an eine Turnhalle erinnern? An diesen früher unvermeidlichen Ort, der nach dem Leiden unzähliger Generationen roch? Dessen Boden mit geraden und kreisförmigen Linien beklebt worden war, die man nur teilweise einer Sportart zuordnen konnte?
Dann erscheint das Ensemble uBu auf der Fläche. Sechs Gestalten mit blauer Skimaske, Sporthosen, Trikots mit angenähten Fransen. Sogar eine Leggings mit fußballspielenden Welpen bedeckt die trainierten Waden eines Ensemblemitglieds. Wir sind in einer Turnhalle, da besteht kein Zweifel. Das angekündigte, gemeinsame Träumen wird also sportlich, vielleicht auch anstrengend oder düster, wie Träume es manchmal so an sich haben.
Matratzen, Kissen und Decken werden auf dem Hallenboden verteilt, und das Team des Sportvereins Traum gibt sich dem Schlaf hin. Unisono wird sich von rechts, nach links, auf den Bauch und wieder zurück gedreht. Die Unruhigen unter uns kennen das. Die Bewegungen der Performenden werden energischer, vehementer. Schlafen als Kraftakt. Ist das noch Einschlafkampf oder doch schon bewegtes Träumen?
Akustischer Spieltrieb
„Mutants in Music: III. Dreamteam“ ist der dritte und finale Teil der „Mutants in Music“-Serie. In seinen Konzertperformances setzt sich das Ensemble uBu immer wieder mit Grenzüberschreitungen von tradierten Formaten auseinander, mit Mutationen sozusagen. Mutationen von Klang- und Bewegungswelten. An diesem Abend etwa begleiten sich die Schlafenden gegenseitig auf dem Cello, der Violine, dem Piano, mit Livegesang und aufgenommenen Traumerinnerungen. Mal scheinen die Instrumente die Bewegungen auf der Bühne zu vertonen, dann lösen sich die gespielten Melodien wieder von dem visuellen Spiel. Ein ständiger Wechsel zwischen Instrument, Vertonung und Melodie. Die teilweise erkennbaren, zumeist nur kurz angespielten oder verfremdeten Melodien stammen aus einer öffentlichen „Traum“-Playlist, die in den Wochen zuvor von Ensemble und Publikum gemeinsam befüllt wurde. Inspiration für die letztlich komponierte Klangsammlung ist der Kompositionsstil des Kölner Komponisten Bernd Alois Zimmermann, genauer gesagt, dessen Spieltrieb.
Seinen Spieltrieb lebt das Ensemble uBu an diesem Abend nicht nur musikalisch, sondern auch visuell aus. Ein Kissenberg wird zum Wasserbecken für Kunstspringen, die erwartete Kissenschlacht findet erst als taktierender Zweikampf, dann in Zeitlupe statt, und dann ist da noch der pinke Luftballon an der herabhängenden Kette. Eine Sportschläferin holt weit von hinten aus und versetzt ihm kräftige Tritte. Flüchtig steigt der Ballon in die Luft, bevor die Kette ihn zurückholt. So muss sich Fußballspielen im Traum anfühlen, wo die Gesetze der Physik nicht und wo überhaupt andere Regeln gelten.
Spiele für das Volk
Das Sportmotiv zieht sich an diesem Abend durch. Eine verträumte (oder noch träumende?) Kommentatorin berichtet von wichtigen Spielzügen in der 84. Minute. Da haben Klang- und Bildwelten die Zuschauenden längst vom Zeitgefühl abgelöst, sodass niemand mehr die Minuten zählt. Das gemeinsame Träumen an diesem Abend ist harmlos. Wirr und bizarr, aber nicht bedrohlich. Bernd Alois Zimmermann ohne das zugespitzt Düstere am Ende. Kein Alptraum. Die düsteren Nachrichten, die tagesaktuell unsere Gegenwart fluten, stehen hier nicht zur Debatte. Nicht einmal im Unterbewusstsein, das sich in Träumen Bahn bricht. Höchstens in der Frage, ob man das darf, das Bedrohliche von einer Bühne aussperren, die aktuell selbst Bedrohungen ausgesetzt ist. Das Ensemble uBu entscheidet sich für Ja. Für ein kollektives Träumen als Teamsport. Warum all diese Sportmetaphern? Weil uns der Abend bespaßen und von unseren Sorgen ablenken soll wie ein Fußballspiel? Spiele für das Volk? An diesem Abend geht der Plan auf. Bespaßt und für eine gute Stunde von allem da draußen abgelenkt, verlasse ich die Turnhalle.
Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.
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