Jenny Beyer

Kreativität teilen

Eine neue Art von Zusammenschluss dreier Choreografinnen in Hamburg

„Shared Leadership in Dance“ (SLID) ist ein neues Projekt von Antje Pfundtner, Ursina Tossi und Jenny Beyer, das bald bundesweit Schule machen könnte. Annette Bopp sprach mit den Dreien.

Hamburg, 29/10/2025

Mit SLID brecht Ihr ein neues Kapitel in der Gestaltung der Freien Szene an, was ist darunter konkret zu verstehen? 

Antje Pfundtner: SLID ist ein Commitment zwischen unseren drei Choreografinnen-Teams: Ursina Tossi, Jenny Beyer und Antje Pfundtner in Gesellschaft (APiG). Konkret: ein kollaboratives Modell im zeitgenössischen Tanz, basierend auf Ressourcenteilung – so lautet die offizielle Bezeichnung. Es ist ein innovatives Pilot-Modell zur strukturellen und finanziellen Teilung von Fördergeldern und Ressourcen in der freien Tanzszene Hamburgs, womit wir neue Impulse im zeitgenössischen Tanz setzen wollen. Unser Ziel ist es, nachhaltige Strukturen für künstlerisches Schaffen zu etablieren und Synergien zu ermöglichen, die individuellen Handschriften aber trotzdem zu wahren. Damit reagieren wir auch auf die postpandemische Umstrukturierung der Förderpolitik und setzen auf eine Ethik des Teilens. 

Wie kam es dazu? 

Antje Pfundtner: Wir haben das Gespräch mit der Stadt gesucht, weil wir bereits in Förderungen waren, die außerhalb des herkömmlichen Fördersystems liegen. Und diese Förderungen implizieren dann ein direktes Gespräch mit der Stadt, um gemeinsam zu überlegen, wie es weitergehen kann. APiG war die erste in der Stadt-Land-Bund-Förderung „Tanzpakt“, Jenny die zweite, und wir wussten, dass Ursina in den Startlöchern stand, die nächste zu sein. Und so kamen wir auf die Idee: Warum bündeln wir das nicht und machen etwas Gemeinsames? Es geht um die Frage, wie man die Vereinzelung überwindet, um letztlich für alle in einer Win-Win-Situation zu sein. Und um irgendwann sogar noch mehr Menschen einzubinden. 

Jenny Beyer: Die Kulturbehörde fand das interessant als Modell und forderte uns auf, dazu ein Konzept zu entwickeln. Wir sahen darin sofort die Chance, etwas Neues auszuprobieren. 

Ursina Tossi: Für mich war das noch wesentlich emotionaler. So lange als freie Künstlerin zu arbeiten, ist schön, sonst würden wir es nicht machen, aber es ist auch belastend und herausfordernd. Ich hatte oft das Gefühl, mit großen Entscheidungen sehr alleine zu sein und wünschte mir mehr Austausch. Den gibt es bisher aus zeitlichen und strukturellen Gründen nur sehr begrenzt. SLID wirkte als Idee für mich deshalb sehr entspannend. Wir können hier etwas gemeinsam tragen und zusammen Verantwortung übernehmen. Für Künstler*innen, die gerade erst anfangen, sich in dem Feld zu verorten, mag das weniger interessant sein, weil sie erstmal herausfinden wollen: Wer bin ich? Wie grenze ich mich ab von anderen? Wir drei wissen das schon lange, wir kennen und schätzen uns persönlich und unsere jeweilige Arbeit. Natürlich hätten wir eine größere Summe zur Verfügung, wenn wir die Tanzpakt-Anträge alleine gestellt hätten. Aber es geht eben nicht nur ums Geld und um das individuelle Überleben als Künstlerin. Mir war es wichtiger, mit den Kolleginnen zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Uns geht es mehr um das Interesse, die Neugierde auf die andere Person als Künstlerin. Und es geht um den Austausch dessen, was uns alle beschäftigt: Wie gehe ich mit einer Führungsrolle um, wenn ich ein größeres Ensemble habe? Welche Ansprüche werden an mich gestellt? Das alles teilen zu können, ist entlastend. 

Antje Pfundtner: Das ging mir ähnlich. Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten, und dieses Älterwerden beschäftigt uns. Mit APiG und den Tischgesellschaften, die ich mit Anne Kersting zusammen initiiere, arbeiteten wir ohnehin an der Frage, wie wir Kolleg*innen und Menschen aus anderen Berufsfeldern einbinden und uns mit anderen vernetzen können. Man spricht ja immer so schnell von Selbstermächtigung der Szene. Hier wird es jetzt konkret, weil sich drei Teams zusammenschließen und sich wirklich selbst ermächtigen, um Teilung in die Praxis zu übersetzen. Jenny und ich hatten die Möglichkeit, das auf einem Tanzpakt-Treffen vorzustellen. Es machte ganz schnell die Runde und warf bundesweit die Frage auf: Warum gibt es solche Modelle nicht schon länger? Das machen wir auch! So könnte sich daraus eine Kraft entwickeln, die weit über uns drei hinausreicht. Wir werden viele „Wir“ sein! 

 

Ein neues Stück mit und für junge Menschen

In Hamburg konkretisiert sich SLID jetzt schon bald: Am 30. Oktober habt Ihr mit einem gemeinsamen Stück Premiere am Jungen Schauspielhaus. Wie kam es dazu? 

Antje Pfundtner: Das Junge Schauspielhaus hat mich angefragt, ob ich Interesse hätte, innerhalb ihres Projekts „SchauSpielRaum“ ein Stück mit Jugendlichen für junges Publikum zu machen. Davon habe ich Ursina und Jenny erzählt, und sofort stellte sich die Frage: Warum kommen wir da nicht gleich zu dritt? Für das Haus war das zunächst unerwartet, und trotz des grundsätzlichen Interesses kam natürlich auch die Sprache auf das Geld, denn es gab ein Budget, aber natürlich nicht für drei. Da wir selber zwar eine Art Überbrückungs- oder Startgeld für SLiD von der Stadt bekommen hatten, das aber nicht ganz ausgereicht hätte, um jeweils eine eigene Bühnenproduktion zu stemmen, schlugen wir dem Jungen Schauspielhaus vor, dass wir die Produktion kofinanzieren. Das so anbieten zu können, hat einen ganz anderen Freiraum geschaffen und uns ermöglicht, das Projekt zu vergrößern und zu teilen.  

Jenny Beyer: So konnten wir in der Größe unserer Teams arbeiten. Wir haben dann überlegt, welches Thema wir nehmen könnten. Ursina beschäftigt sich gerade mit Berührung, darum wird sich auch ihr nächstes eigenes Stück drehen. Ich habe selbst auch schon dazu gearbeitet, und Antje hat etwas zum Thema Scham gemacht, ebenfalls unter Einbeziehung von Berührung. Daraufhin haben wir im Juli zu einer Veranstaltung hier in unserem gemeinsamen Studio Alte Post eingeladen, wo wir das Thema weiterbearbeitet haben. Da ging es um Fragen wie: Was berührt Menschen? Was fasst sie an? Wo können Berührungspunkte genutzt, vermehrt, kenntlich gemacht oder gar verbunden werden? Wie können wir uns durchlässiger machen? Wie um Berührung und Nähe bitten? Wie sie geben, aber auch: Wie sie annehmen? Auf dieser Basis haben wir das gemeinsame Stück „Fühler (12+)“ entwickelt, das jetzt am 30. Oktober in Hamburg Premiere haben wird. 

Wie ist das konkret abgelaufen? Wie habt Ihr die Arbeit strukturiert? 

Jenny Beyer: Der Auftrag lautet, ein Stück für und mit jungen Menschen zu machen. Wir hatten eine Audition, und jede von uns hat ca. zehn junge Menschen zwischen 14 und 21 gesucht. Ich arbeite mit den 14- bis 16-Jährigen, Antje mit den 16- bis 18-Jährigen und Ursina mit den 18- bis 21-Jährigen. Wir hielten diese Teilung für sinnvoll, um beim sensiblen Thema Berührung den altersentsprechend unterschiedlichen Bedürfnissen und Erfahrungen gerecht zu werden.

 

Die eigene Arbeit kommt trotzdem nicht zu kurz

Macht Ihr trotzdem noch eigene Stücke alleine? 

Ursina Tossi: Ja natürlich! Ich werde am 18. Februar 2026 auf Kampnagel und später am 6. Juli in Köln mein neues Stück „E(r)den“ zeigen. Es hat einen Bezug zum Garten Eden und beschäftigt sich mit der Frage: Was erdet uns? Es ist das letzte Stück meiner Konzeptionsförderung und wird wiederum eine integrierte Audiodeskription haben, eine autonome Soundebene im Stück, die Bewegung mit Worten und Geräuschen der Körper, Kostüme und Choreografien beschreibt. Und es finden Touch-Labs, statt. Das sind zweistündige Workshops mit Publikum, in denen wir verschiedene Berührungspraktiken ausprobieren. Die Informationen aus den Labs fließen bei „E(r)den“ mit ein. Und das Buch „Philosophie des Tanzens“, das Maximilian Probst und ich geschrieben und herausgegeben haben, ist gerade im Mairisch Verlag erschienen. Das war auch ein Herzensprojekt. 

Durch SLID stehen wir nicht mehr so sehr unter Produktionsdruck. Ich habe in den vergangenen Jahren oft mehr als zwei Stücke im Jahr gemacht: Auftragsarbeiten und eine eigene Arbeit in Koproduktion mit Kampnagel und der Tanzfaktur Köln. Das zehrt mit der Zeit an der Kraft. Mit SLID eine andere Ökonomie zu entwickeln, bedeutet auch eine Möglichkeit, diesen Produktionsdruck zu verlangsamen und sich Themen anders zuzuwenden, anders mit Ressourcen umzugehen. 

Antje Pfundtner: Unsere APiG-Premiere muss erst noch geplant werden, wir haben noch keine Bühne dafür, da sich Kampnagel, unser langjähriger Koproduktionspartner, zu dem Zeitpunkt im Umbau befindet. Ansonsten bestreiten wir erstmal ein Gastspiel mit unserem letzten Stück „Oh, a Visitor“ in Stuttgart im Theater Rampe und danach eine Auftragsarbeit im Thalia in der Gaußstraße hier in Hamburg. Dafür gibt es auch noch kein Datum. Das nächste Stück wird aber wieder eine Recherche sein, dieses Mal zum Thema Altern. Das ist ein altes-neues Forschungsfeld, das wir breit anlegen. Es passt auch gut zu dem Forschungsfeld von SLID: Wie wollen und können wir in der Szene gemeinsam altern? Wie könnten wir unsere Kapazitäten und Ressourcen dementsprechend anders teilen? Wie können wir Gelder dem Bedarf entsprechend verschieben und an Leute anbinden? Verzicht muss ja nicht unbedingt prekär sein. Verzicht kann auch bedeuten: Kann ich in so einem Modell wie SLID auf die eigene Unsichtbarkeit – wenn ich z. B. mal nicht selbst produziere – vertrauen, weil ich weiß, dass das „Label“ durch die anderen hochgehalten wird? Können wir uns so gegenseitig tragen und ganz neue Freiräume schaffen? Es braucht kleine Modelle wie SLID, um etwas auszuprobieren, was dann wieder auf größere Strukturen zurückwirken kann.

Jenny Beyer: Ich werde am 25. März 2026 eine Premiere haben auf Kampnagel: „Zurück zu Ali“. Im Zusammenhang damit wird es dann auch wieder ab November offene Studios geben. Das Stück ist meinem Großvater gewidmet, der kommunistischer Widerstandskämpfer unter der Nazi-Herrschaft war. Er war hier im KZ Neuengamme inhaftiert. Ich beschäftige mich mit seiner Biografie – als Tänzerin, als Enkelin, als politischer Mensch. Unsere individuelle künstlerische Arbeit und Handschrift ist ja Futter für unser Zusammenkommen. Und davon ausgehend ist ein weiteres Ziel, dass wir zu dritt ein Stück auf Kampnagel machen können, wo wir uns dann die große Bühne der K6 teilen. 

Und wie stehen da die Aktien? 

Jenny Beyer: Kampnagel findet das super! Es muss nur noch das Geld dafür kommen. Kollaboration heißt für uns: voneinander lernen, Strukturen verweben, Interesse füreinander haben, Verantwortung teilen, nicht hierarchisch arbeiten – das betrifft auch die institutionelle Ebene, die wir gerade aufbauen. Wir können uns fragen: Hat SLID eine eigene Handschrift? Wie sähe die aus? Könnten wir gemeinsam choreografieren? Welchen Rahmen brauchen wir dafür? Was Ist SLID in Bezug auf andere Künstler*innen, auf die Szene? Wo laden wir ein? Wo entstehen Orte innerhalb des Systems, wo wir mit anderen Menschen in Begegnung treten? Da liegt viel Zukunft vor uns! 

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