Tanzmesse auf der Kippe
Das Land NRW kappt die Finanzierung
Ein historischer Abriss und ein dringender Appell von Kajo Nelles und Carolelinda Dickey, den ehemaligen Direktor*innen, dieser weltweit einzigartigen Messe
Von Kajo Nelles und Carolelinda Dickey
Die Idee einer Messe ausschließlich für den Tanz wurde Anfang der neunziger Jahre von der Geschäftsführerin der Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz e.V. (GZT-NRW), Anne Neumann-Schultheiß, entwickelt. Sie präsentierte dem Land NRW und der Stadt Essen und später der Landeshauptstadt Düsseldorf ihre Vision einer lebendigen Verbindung zwischen Tanz, Politik und Wirtschaft und betrieb für diese Idee unermüdlich Lobbyarbeit auf künstlerischen und politischen Ebenen. Sie wollte den Tanz der Stadttheater aus dem Elfenbeinturm befördern und gleichzeitig den zeitgenössischen Tanz der freien Szene international vernetzen und weltweite Gastspiele ermöglichen.
Als Beispiel für den Erfolg dieser Lobbyarbeit sei erwähnt, dass in einer der frühesten Editionen der Tanzmesse der NRW Ministerpräsident Wolfgang Clement, einfach so im Aalto-Theater Essen vorbei kam und aus dem Stegreif auf den Treppenstufen eine Rede hielt, in der er das Konzept der Messe für den Tanz lobte. In den ersten fünfzehn Jahren war es selbstverständlich, dass zur Eröffnung der NRW Wirtschaftsminister, Repräsentanten des NRW Kulturministeriums, die Oberbürgermeister*innen sowie die städtischen und Landes-Kulturpolitiker*innen, Kulturdezernenten, Kulturamtsleiter*innen und -mitarbeiter*innen an der Eröffnungsveranstaltung und an den Messerundgängen teilnahmen.
Ein wesentlicher Gedanke war der, dass auch der Tanz in einem Markt agiert und dass die Akteur*innen ein Bewusstsein darüber erlangen müssten, wenn sie neben dem künstlerischen Erfolg auch ökonomisch erfolgreich sein wollten. Wenn den Künstlern bewusst sei, dass sie, genau so wie in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich, den Markmechanismen unterworfen seinen, dann musste Ihnen auch das Instrumentarium in die Hand gegeben werden, um als Subjekt am Markt zu agieren und zu bestehen. Anne Neumann-Schultheiß nahm die Performance Art Markets (Buchungskonferenzen), die jährlich in verschiedenen Regionen der USA stattfinden als Modell. Sie kombinierte dieses Konzept der Performance Art Markets mit den Messen anderer Branchen. Einzigartig war zudem, dass darauf bestanden wurde, dass dem „Tanz“ nicht andere darstellenden Künsten zur Seite gestellt wurden (Performing Arts), da dann, wie man in der Praxis an den deutschen Theatern sehen konnte, der Tanz fast immer das Aschenbrödel der darstellenden Künste bliebe. Zur Emanzipation des Tanzes bedurfte es einer eigenen Messeveranstaltung.
Dieser Vision konnten weitsichtige Landes- und Kommunalpolitiker vieles abgewinnen, zumal die Krise in dem etablierten Kulturbetrieb wegen der andauernden finanziellen Nothaushalte evident war. Immer öfter wurde in den, bis dahin als Drei-Sparten-Häuser betriebenen Theatern, die Sparte Tanz eingespart und abgeschafft. Zeitgleich rückte die freie Tanzszene mit erstaunlich erfolgreichen Low-Budget-Produktionen mehr und mehr ins Zentrum des zeitgenössischen Tanzgeschehens. Die Initiatorin schaffte es mithilfe ihrer ministerialen Kontakte, des Vorstandsvorsitzenden und der Kulturdezernenten der Stadt Essen und später Düsseldorfs, jeweils die Hälfte der Landesförderung im Kultur- und im Wirtschaftsministerium anzusiedeln. Dass das Wirtschaftsministerium eine Tanzveranstaltung mit beträchtlichen Mitteln förderte war in Deutschland ein Novum. Die ehemalige Präsidentin des Vorstandes von APAP, der größten amerikanischen Buchungskonferenzen in New York City, Carolelinda Dickey, wurde als exklusive Beraterin für die Entwicklung einer Messe für den Tanz in Europa (Essen) angeworben.
Das Tanzmesse-Konzept wurde von NRW-Künstler*innen größtenteils angenommen, da sie den Mehrwert, durch die Möglichkeit einer internationalen Vernetzung, für sich selbst erkannten. Die nationale Tanzszene war zunächst durchaus skeptischer eingestellt. Viele deutsche Tanzkünstler*innen kritisierten in den frühen Jahren noch das Konzept der Verbindung von Kunst und Handel als zu kommerziell, da es die etablierte Sicht von Tanzkunst als „rein“ und elitär herausforderte. Das hat sich selbstverständlich längst geändert und es kommen von Jahr zu Jahr mehr nationale und internationale Tanzschaffende.
In den ersten fünfzehn Jahren ihres Bestehen arbeitete das Team der Tanzmesse daher daran, diese Perspektive aufzuweichen und internationale Partnerschaften aufzubauen. Im Laufe der Jahre wurde die Internationale Tanzmesse NRW Deutschlands größtes Tanzereignis und die weltweit führende Messe für zeitgenössischen Tanz.
Die Hauptaufgabe des Tanzmesse-Direktors zusammen mit dem Vorsitzenden des Vorstands, bestand darin, die Finanzen für die nächste Tanzmesse abzusichern. In den ersten zehn Jahren war die Finanzierung einer neuen Edition nie sicher gestellt. Das Team, das immer multinational zusammengestellt war, arbeitete an der Akquirierung der dringend benötigten Finanzpartnerschaften mit mehr als 30 Ländern, einschließlich der Regierungsministerien und der NGOs. Diese Partnerschaften waren genauso wichtig wie die Unterstützung der Stadt und des Landes. Diese Geldgeber sorgten dafür, dass ihre jeweilige Tanzszene repräsentiert werden konnte, durch das Anmieten eines Messestandes und das Budget stellte sicher, dass die Künstler*innen, die eingeladen wurden bei der Tanzmesse aufzutreten, bezahlt wurden. Das Engagement aller führte immer alle zwei Jahre zu einer neuen Tanzmesse.
Jede Edition war ein Kampf – meist ums Budget - bei dem dann wieder Anpassungen vorgenommen wurden, die der Weiterentwicklung des Konzepts dienlich waren. Trotz der Konzeptänderungen wurde das ursprüngliche Konzept von Tanz, Politik und Geschäft immer im Mittelpunkt der Planung und Ausführung gehalten.
Nachdem wir als Gründergeneration nach 20 Jahren aus der Leitung der Tanzmesse ausschieden, übernahmen drei Direktionen jeweils befristet die Leitung der Tanzmesse.
Die Ausgaben 2014 und 2016 unter der Leitung von Felix Wittek rückten den Fokus stärker auf den Austausch- und Vernetzungsgedanken sowie den Ausbau internationaler Kooperationen unter den Teilnehmer*innen. Ebenso wie sein Nachfolger Dieter Jaenicke (Ausgaben 2018 & 2020) setze auch er auf die Beteiligung weiterer Tanzschaffender aus Australien, Südamerika und Afrika. 2020 fand die internationale tanzmesse nrw aufgrund der Corona-Pandemie als eintägiges Online-Event statt. Die Ausgaben 2022-24 fanden unter Leitung von Isa Köhler und Katharina Kucher statt. Sie setzten verstärkt auf Diskurse, auf international gemeinsame Talks und Themen und weichten so die Konkurrenzsituation im Messebereich noch stärker auf. Während alle Direktionen zeitgemäße neue Ideen und eigenes Engagement einbrachten, führte der Mangel an Kontinuität, die durch die Befristung vorgegeben war, zur Erosion des Kernes der Vision. Ohne die Tanzmesse verlöre das NRW Landesbüro Tanz, das Träger dieser global wichtigen Veranstaltung ist, seine Reichweite und Relevanz; ohne das NRW Landesbüro Tanz fehlte der Tanzmesse seine Basis.
Eine Personalunion bei der Leitung des NRW Landesbüro Tanz und der Internationalen Tanzmesse NRW senkte einerseits die Kosten und sorgte andererseits für eine konsequente Führung über Projektgrenzen hinweg (win-win). Der ehrenamtliche Vorstand war zwar engagiert, aber er konnte nicht die notwendige Zeit investieren, wie es ein hauptamtlicher Direktor konnte, und ihm fehlte das Know-how, um diese Kontinuität sicherzustellen.
Als Architekten der grundlegenden Vision der Tanzmesse erkennen wir die aktuellen Finanzierungsherausforderungen an. Diese Herausforderungen sind aber keine Neuerscheinung. Die Bedeutung der Tanzmesse für die internationale Vernetzung und die Emanzipation der Kunstsparte Tanz scheint uns weiterhin aktuell und unverzichtbar. Schon einmal verschwand in Nordrhein-Westfalen ein großes internationales Tanzfestival (Internationale Tanzfestival NRW) zunächst mit vagen Versprechungen und dann mit wenig Aufsehen. Arbeiten wir alle daran, dass der Tanzmesse nicht das gleiche Schicksal droht! Denn auf der Website der Tanzmesse nrw sind aktuell zahlreiche Posts zu finden, in denen die Tanzszene weltweit die Relevanz dieser Veranstaltung bekräftigt. In dieser Form zwischen Messe, Ideenmarkt, Vernetzungs- und Kooperationstreffen hat die internationale tanzmesse nrw bekanntlich international ein Alleinstellungsmerkmal. Es wäre ein Armutszeugnis, wenn das Tanzland Nordrhein-Westfalen diese relevante Veranstaltung freiwillig aufgäbe.
Als ehemalige Leiter*innen der Internationalen Tanzmesse NRW rufen wir daher das Kulturministerium auf, eine unabhängige Arbeitsgruppe zu bilden, um die Zukunft der Tanzmesse neu zu formulieren und ihre Rolle für den internationalen Austausch im Tanzland NRW sicher zu stellen. Denn diese Messe weltweit aus dem Tanzkalender der internationalen Tanzszene zu streichen wäre für alle ein Desaster. Hier präsentierten sich Hunderte vom Kompanien von Südamerika über Asien bis Afrika, Hunderttausende von Besuchern kamen mit Tanz aus aller Welt in Berührung und vor allem starteten hier unzählige internationale Tanzkarrieren und Kooperationen. Wenn das Kulturministerium nichts mehr geben kann, dann sollte diese Messe mit zusätzlichen Geldgeber*innen auf Bundes- und EU-Ebene finanziert werden wie es auch bei der Tanztriennale (dem ehemaligen Tanzkongress) oder den Tanzplattformen der Fall ist. Das zu verlieren, was wir alle gemeinsam über drei Jahrzehnte ausgebaut haben, geht zumindest nicht!
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