„Metamorphose“ von Saburo Teshigawara

„Leben ist Balance in Bewegung“

„Verwandlung – Teshigawara“ am Theater Basel

Der Titel nimmt nicht etwa Bezug auf Kafka, sondern auf den Titel des ersten Stücks. Und auf Teshigawaras Arbeits- und Denkweise: Der Tanz und das Leben befinden sich in einem stetigen Fluss der Veränderung.

Basel, 24/03/2024

Der 70-jährige Teshigawara verblüfft mit jugendlicher Frische, frei von Zwängen und Bisherigem. Er ist nicht nur Choreograf, sondern auch Licht-, Bühnenbild- und Kostümdesigner. Und manchmal auch Komponist. Sein Tanz ist, so die derzeitige künstlerische Direktorin des Ballett Basel Adolphe Binder, sowohl ein körperliches als auch geistiges wie metaphysisches Ereignis. Mit seiner fernöstlich geprägten Kunst versucht er, Universelles zu schaffen. Die permanente Verwandlung von Körper, Geist und Seele ist für Saburo Teshigawara ein wesentlicher Bestandteil des Lebens: „Das Leben ist Balance in Bewegung“.

Lebenskraft Metamorphose

Das erste Stück des Zweiakters, „Metamorphose“, entstand 2014 für die Göteborgs Operans Danskompani und wurde für das Ballett Basel neu einstudiert. Es wirkt im Wesentlichen durchkomponiert. Dafür stehen in erster Linie die Musikkomposition von Tim Wright und das überraschende Bühnenbild: Zu lauter elektronischer Tanzmusik drehen sich skulpturhafte Gestänge in Form von Schlaufen und Kreiseln über die sonst karge, quadratisch beleuchtete Bühne. Eindringlich ist diese Lichtregie, die momentweise einzelne Figuren oder Gesichter ausleuchtet. Die Tänzerinnen und Tänzer in einheitlichen, hautfarbenen und enganliegenden Kostümen liegen erst in Knäueln zusammengerollt auf der Bühne, bevor sie sich voneinander lösen. Unter Zuckungen erheben sie sich und bewegen sich spastisch wie Kreaturen in einer utopischen Welt. Was soll aus diesen schlangenähnlichen Wesen werden? Veränderung ist für Teshigawara eine Lebenskraft: „Metamorphose ist ein qualitativer Übergang durch Bewegung. Es ist eine Verwandlung der Existenz“.

Ungewohnte Stille

Die bewegte Szenerie wechselt abrupt zu reiner Ruhe, die Tanzenden fallen zu Boden und bleiben regungslos liegen. Kein Ton, keine Bewegung – einfach ungewohnte Stille.

Stille und Stillstand wechseln sich immer wieder ab mit Aufflackern und Unterbrüchen. Urplötzliche Veränderungen in Dynamik, Licht und Ton machen das Geschehen dramatisch.

In einem ruhigen Moment verharren die hellen Tanzenden im hohen Schulterstand, während der Chor des Theater Basel in schwarzen Kleidern und mit teilweise verhüllten Gesichtern Chormusik von Olivier Messiaen und Maurice Ravel singt. Der Chor ist großartig eingesetzt und verleiht dem Stück eine ergreifende Tiefe.

Teshigawaras Bewegungsmuster sind dominiert von starken, weit schwingenden Armbewegungen und vielen Drehungen. Einige der Figuren erinnern an Tai-Chi, die jahrhundertealte, meditative Bewegungskunst, bei der Körperspannung, Achtsamkeit und Atmung im Mittelpunkt stehen. Im Gegenspiel dazu ertönt Wrights Technomusik gegen Schluss bis fast an die Schmerzgrenzen des Publikums.

Zögern und Zweifeln

Teshigawara lässt als Choreograf den Tanzenden viel Spielraum. „Die Tänzer*innen kreieren das Werk, ich helfe ihnen nur dabei“, meint er in einem Interview. Seine Methode, die Tanzenden in den Entstehungsprozess einzubeziehen, ist auch in unserem Kulturkreis vor allem bei zeitgenössischen Tanzschaffenden seit Längerem angekommen. Bei ihm ist speziell eine große Offenheit spürbar, diese hat aber auch etwas Fragmentarisches an sich.

„Like a Human“ heißt die Uraufführung des Abends; sie wurde für und mit dem Ensemble vom Ballett Basel kreiert. Hier kommt Teshigawaras Arbeitsweise deutlicher zum Vorschein als in „Metamorphose“. Seine Neugier auf Neues ist eine Herausforderung an die Tanzenden. Zögern und Zweifeln sind bei ihm nichts Negatives, im Gegenteil, sie gehören zum künstlerischen Prozess. Ohne sie gibt es kein Weiterkommen. Die Tänzer*innen, die erstmals mit ihm zusammenarbeiten, müssen auf einiges gefasst sein. Es gibt keine Choreografie oder vorgegebene Schritte. Die Bewegungen sollen nicht aus dem „Erlernten“ kommen, sondern gelebt sein. Körper und Tanzbewegungen verändern sich stetig, so Teshigawara. In diesem Zustand, den er „Gleichgewichtszustand im Leben“ nennt, setzt er die Tänzer*innen einem offenen Probenprozess aus.

Human Beings aus dem Hier und Jetzt

Das Stück ist sparsam gebaut, es kommt ohne Bühnenbild und eigene Musikkomposition aus. Die Bühne ist rot ausgeleuchtet, die Kostüme sind bunt verspielte Straßenkleider, die Bewegungen zarter, die Auswahl der Musik – eine Liste von Barock bis Mozart – gedämpfter. Die Bewegungen sind in weiten Teilen dem ersten Stück ähnlich: keine Sprünge, dafür wieder weitschwingende Arme und Drehungen. „Like a human“ bleibt abstrakt und ist mehr eine Art Essay denn ein fertiges Stück. Die einzelnen Tänzer*innen scheinen keinen Bezug zueinander zu haben. Verrenkungen und kleine Gesten lassen poetisches Gespür erahnen. Manchmal verspielt, manchmal traurig oder zweifelnd, sind sie auf der Suche nach sich selbst, nach dem Sinn des Lebens. Human Beings eben, Menschen, jedoch aus dem Hier und Jetzt und nicht aus Galaxien wie „Metamorphose“.

Trippelndes Erkunden

Auffallend sind die häufigen kleinen, raschen Schritte. Die Füße stecken in weichen schwarzen Schuhen, Schläppchen gleich, in denen sich leicht auf Fußballen gehen und drehen lässt. Frauen in weiten Röcken und Männer in Anzügen erkunden trippelnd und tänzelnd ihren „Gleichgewichtszustand“.

Das Stück ist nicht kohärent, es könnte jederzeit aufhören, aber auch endlos weitergehen. „Like a Human“ erzeugt weniger Spannung und Abwechslung. Es ist die dritte Zusammenarbeit innerhalb von zehn Jahren zwischen Binder und Teshigawara.

„Verwandlung – Teshigawara“ ist ein eindrücklicher Abend (wenn auch nicht für alle gleich euphorisch erlebbar), und ist für die meisten ein visueller, künstlerischer und spiritueller Genuss geworden.

Teshigawaras Kunstwelt oder gar Weltkunst ist manchmal bizarr und nicht leicht verständlich. Er hat ein verlässliches, enges Team von Mitarbeitenden um sich geschart. Allen voran wird er von seiner choreografischen Mitarbeiterin Rihoko Sato unterstützt, mit der er seit über 30 Jahren zusammenarbeitet und demnächst als Tanzpartnerin im Duett „Tristan und Isolde“ im Rahmen des Schweizer Tanzfestival Steps auftreten wird.

 

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