„Memoryhouse“ von Maciej Kuźmiński 

Im grauen Tunnel der Erinnerungen

Maciej Kuźmiński choreografiert mit dem Ensemble Tanz Linz die Uraufführung „Memoryhouse“

„Mit Every Minute Motherland“ sind viele im vergangenen Jahr auf ihn aufmerksam geworden. Jetzt zeigt der polnische Choreograf, das er noch viel mehr kann als nur Schmerz.

Linz, 12/02/2024

Liz King hatte schon immer einen Riecher für spannende kreative Tänzerinnen und Tänzer. Die in den 1970er Jahren nach Österreich eingewanderte englische Künstlerin gründete 1982 das Tanztheater Wien, eines der ersten freien Ensembles in den 1980er Jahren, ohne die beiden Tänzer*innen Esther Linley und Harmen Tromp undenkbar. Später waren es dann unter anderen Christian Camus, Daphne Strothmann, Michael Dolan, Esther Balfe, Mani Obeya. Viel später, 2007, tanzte ein gewisser Maciej Kuźmiński in ihrer burgenländischen Produktion von „Romeo und Julia“ die männliche Hauptrolle, Claire Granier war Julia.

Persönliche Prägungen

Unmittelbar nach dieser Erfahrung hat Kuźmiński zu choreografieren begonnnen. 2024 ist er laut Roma Janus, der künstlerischen Leiterin von Tanz Linz, der meistbeschäftigte Choreograf Polens. Ausgebildet am englischen Trinity Laban Conservatory, hat Maciej Kuźmiński seine eigene Tanz-Methode entwickelte, die er teilweise auch für das Training, vor allem aber für das Kreieren nutzt und Dynamic Phrasing nennt. Dynamik bestimmt den Verlauf des Abends, es ist allerdings keine zur Schau gestellte Könnerschaft, die aus den zahlreichen Soli und Duetten herausbricht, auch herausrinnt oder gar herausgezogen wird, sondern es wirkt vielmehr so als fordern persönliche Prägungen, Erlebnisfetzen unterschiedlicher Herkunft der ganz in grau übermalten menschlichen Figuren aus deren Innersten ihren Weg nach Außen: die Physis als variables Transportmittel für Erfahrenes. Prägungen, die wie eine belastende Macht ausbrechen, alte Geschichten, Erinnerungen.

Ensembleszenen als Skulpturenfeld

Mit der Uraufführung „Memoryhouse“ ist das 16-köpfige Ensemble Tanz Linz dieses Mal ins Schauspielhaus gesiedelt. Auf der wesentlich kleineren Bühne als im Musiktheater, aber größer als die dortige zweite, die kleine BlackBox, die auch für Tanz verwendet wird, dominiert nun eine Betonrolle, ein grauer Tunnel den Raum. Die ehemalige Erich Wonder-Studierende Gabriela Neubauer hat das Riesen-Rohr (auch das Kostümbild) entworfen, das in Bewegung ist, sich dreht, nahezu 80 Minuten lang. Selten nur wird angehalten, um etwa eine in völligem Stillstand große Ensembleszene zu zeigen, einem Skulpturenfeld gleich, und so fließen Szenen in der dunkel gehaltenen, nüchternen Einsamkeit mit nur mancher Unterbrechung aus dem Drehmoment heraus. Da entstehen ständig veränderte Bildkonstellationen, die Maciej Kuźmiński mit intensiver choreografischer Sprache verändert. Einzelne Gestalten stoßen ihre „Erzählung“ mit nahezu symbolisch krachenden, abgezirkelten, abgebrochenen Gesten und Körperwindungen aus sich heraus, gleich Bildhauer*innen an sich selbst. Musik ist das dramaturgische Echo, das der ehemalige Tänzer Hodai Iriarte Kaperotxipi, zum Sounddesigner übergewechselt, gestaltet hat. Er greift nach großen Namen wie John Adams, Philipp Glass, Max Richter und Chopin und spült Zuschnitte aus ihrem Oeuvre sorgsam in einen Sog erzeugenden Trichter, der die Zuschauenden nahezu bis zum Schluss erreicht und den Maciej Kuźmiński immer wieder punktgenau, auch mit Licht (gemeinsam mit Roland Wagenhuber) zu akzentuieren versteht.

Ent-emotionalisiertes Menschenbild

Man mag mitunter an die im eigenen Hinterkopf auftauchende Ästhetik vergangenen Tanztheaters des ehemaligen Ostens denken; aber Schmerztheater findet in „Memoryhouse“ eben so wenig statt wie Groteske. Es ist ein ent-emotionalisiertes Menschenbild, auch eine Reaktion auf die Zeit der sinnlosen Kriege, deren Zeugen wir alle sind. Die mythologischen Ansprüche, die auch vom Dramaturgen Paul Bargetto gestellt werden, konnte die Autorin nicht erkennen, aber das Herausarbeiten der Materialität von ureigenster dringlicher Bewegung sehr wohl. Maciej Kuźmiński „Memoryhouse“ erzielt seine Wirkung durch das tanztechnisch und gestalterisch kreative, starke Ensemble von Tanz Linz.

 

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