„Well Done“ von Nadav Zelner, Tanz: Ensemble 

Da brennt die Hütte

Der neue dreiteilige Tanzabend „Young Lovers“ am Mannheimer Nationaltheater

Das Publikum ist begeistert von der Magie des ersten Kusses, den „kleinen Leute“ unter sich und irrwitziger, zitatenreicher Ironie

Mannheim, 16/04/2023

Für eine einzige Produktion in der laufenden Spielzeit darf die Tanzsparte des Nationaltheaters die renovierungsbedingte Ausweichspielstätte im Alten Kino Franklin nutzen. Diese Gelegenheit für professionelle Produktionsbedingungen (die im hauseigenen „Tanzhaus“ nur bedingt vorhanden sind) wollte Tanzchef Stephan Thoss so richtig auskosten – mit drei prominenten geladenen Gästen. Erstmals war dafür in Mannheim auch ein Stück von Marco Goecke geplant. Aber die Hundekot-Attacke gegen eine unliebsame Kritikerin machte den international gefragten Ausnahmechoreografen quasi über Nacht zu einer öffentlichen Persona non grata. Thoss setze das geplante Stück „Woke up Blind“ sofort ab – mit dem unschlagbaren Argument, dass die Debatte um den Choreografen in jedem Fall den Diskurs über die künstlerische Qualität seines Stücks heillos überschatten würde.

Stattdessen stampfte der Ballettchef in nur acht Wochen eigenhändig eine neue Choreografie aus dem Boden – bereits rein unter Zeitgesichtspunkten eine beachtliche Leistung. „A Good Day“ ist allerdings weit mehr als ein Lückenbüßer geworden. Es wirft ein treffendes Schlaglicht auf die „Young Lovers“, denen der neue Tanzabend seinen Titel verdankt. Hier behält die Magie des ersten Kusses ihren berührenden Zauber – auch wenn die jungen Leute von heute in perfekt gestylter, Social Media tauglicher Ästhetik daherkommen. Der Kuss nimmt tänzerisch die kraftvolle Gestalt von Silvia Cassata an, die durchaus ihre eigenen Entscheidungen fällt. Zwei aus der Zeit gefallene Gestalten in blaugrün karierten Hochwasser-Anzughosen verfolgen unterschiedliche Strategien, um an ihren ersten Kuss zu kommen. Der eine sitzt, einen altmodischen Blumenstrauß in der Hand, ewig lange wartend auf der langen Bank im Hintergrund, der andere versucht es stürmisch und ungeschickt. Darum herum verkörpern fünf Paare die perfekten „Young Lovers“. Auch sie haben Schmetterlinge im Bauch, konkret abzulesen an hübschen Kragendetails ihrer raffinierten schwarzen Unisex-Uniformen.

Um der jungen Liebe 2023 perfekt auf die Bewegungsspur zu kommen, reicht Stephan Thoss der passende aktuelle Soundtrack. Schon scheint es, als würde der raffinierte Mix aus Clubmusic und experimenteller Komposition (Kangding Ray) oder schlichterem Computerbeat (Fugu Vibes) den Paaren direkt in die Körper fahren, direkt tiktok- und instagramfähig. Aber der erste Kuss passiert nicht in einer medialen Vorzeigewelt, sondern mit allen widersprüchlichen Gefühlen im realen Hier und Jetzt – behutsam unterlegt mit einem Violinkonzert von Bach.

Im Mittelteil des langen Tanzabends gab es ein Wiedersehen aus der letzten Spielzeit mit dem vom Publikum gefeierten Trio „The little man“ von Imre und Marne van Opstal. In dieser Choreografie zeigt sich das niederländische Geschwisterpaar auf der Höhe der Zeit: mit der Fähigkeit, individuellen Ausdruck bruchlos mit sozialen Themen zu verknüpfen. Die „kleinen Leute“ proben in einem Verhau aus Sprossenwänden auf berührende Weise Individualität, Gegen- und Miteinander.

Zum Abschluss gab es eine Erstbegegnung mit dem israelischen Choreografen Nadav Zelner, bekannt geworden durch rasante Tanzclips und schnellen Witz in seinen Arbeiten. Auch in „Well Done“ (für das ganze fünfzehnköpfige Ensemble) nimmt er alles nicht so ernst: den eigenen Liebeskummer, den er choreografisch abgearbeitet hat wie die Garstufen eines Steaks und das ironische Schulterklopfen im Titel, auch nicht die golden schimmernden Kostüme, die deutliche Brandspuren zeigen. Überhaupt brennt die Hütte buchstäblich in diesem Stück – speziell in einem Guckkasten-Schaufenster im Hintergrund, wo provokant geraucht wird. Nichts ist vor der Ironie und dem Witz dieses Choreografen sicher, der sich vom Flamenco-Sound den dramatischen Grundton, die wohlbekannten Bewegungsmuster und Posen borgt. Allerdings kann man gelegentlich gar nicht so schnell schauen, wie hier zitiert, relativiert oder ironisch zugespitzt wird – und wie schnell das eine Bild das andere jagt. Passend zum Ort ist das großes Tanzkino – und eine Demonstration der Qualität des Mannheimer Tanzensembles, das ein in jeder Hinsicht forderndes Programm mit Bravour und zur Begeisterung des Publikums absolvierte.

 

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