„Kosmos – schwerelos“ von Stephan Thoss und Andonis Foniadakis, Tanz: Ensemble

Den Gesetzen der Physik ein Schnippchen schlagen

Zum neuen Mannheimer Tanzabend „Kosmos – schwerelos“ im Tanzhaus Käfertal

Die Erdanziehung lässt sich überwinden, indem man einfach vermeintliche Grenzen niederreißt.

Mannheim, 05/02/2023

Stephan Thoss, Leiter der Mannheimer Tanzsparte, hätte es sich leichter machen und einfach die Arbeit „Speed“ aus der letzten Spielzeit wieder aufnehmen können. Schließlich wurden die beiden Stücke „Kosmos“ von Andonis Foniadakis und sein eigenes „Short Play“ nur dreimal im Schauspielhaus gezeigt, bevor das Nationaltheater nicht nur die Spielzeit beendet, sondern die Türen des Theaters gleich für eine jahrelange Renovierung geschlossen hat. Die Tanzsparte muss sich nun vorrangig mit dem Käfertaler Tanzhaus als Ausweichspielstätte begnügen.

Hier bietet Thoss dem äußerst publikumswirksamen Stück „Kosmos“ noch einmal eine Bühne, kleiner zwar, aber dadurch ist das Publikum eben auch viel dichter dran. So wurde die tänzerische Rasanz des Stücks, das der griechische Erfolgschoreograf ursprünglich für Les Ballets Jazz de Montréal 2014 kreiert hat, auf sehr direkte Weise spürbar und sorgte bei der Wiederaufnahme für begeisterten Schlussapplaus.

Dem schnellen Zeitgeist auf der Spur sausen die zehn Mannheimer Tänzerinnen und Tänzer in lockeren blauen Anzügen im Sog eines Bewegungswirbels über die Tanzfläche, den Radius von Arm- und Beinbewegungen maximal ausnutzend. Der Komponist des Abends, dessen von unbarmherzigen Percussions geprägter Soundtrack die Beteiligten quasi über die Bühne peitscht, sorgt für einen phantastisch-versöhnlichen Abschluss. Zum überraschenden Ende verwandelt Julien Taride – der auch als Bühnenbilder und Videographer tätig ist – die Tänzer*innen in geheimnisvolle Pixel-Gestalten.

Stephan Thoss hat diesem Bühnen-Schwergewicht für diesen Tanzabend ein neues, eigenes Stück mit sichtbarem Bezug zu „Kosmos“ vorangestellt. Schon die Grundfarben Schwarz und Blau schaffen eine optische Verbindung. In dem gleichen, mit schwarzen Stellwänden eingerahmten Bühnenraum lässt Thoss seine Tänzer*innen mit der Schwerkraft spielen – ganz anders als sein griechischer Kollege. „Tanz ist ein Telegramm der Erde an den Himmel mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft“, hat Fred Astaire formuliert. Der Choreograf verlässt sich in diesem Punkt aber lieber auf die Auslotung der Erdanziehung mit Hilfe seiner sprudelnden Kreativität; dabei spielt er mit fantastischen Möglichkeiten, die Erdenschwere kurzzeitig zu bändigen.

Zu Anfang steht ein geheimnisvolles Duo zweier blauer Fantasiegestalten in gerupftem Gefieder; später wird ein Paar im fantastischen Blumenkostüm dazukommen. Ansonsten tragen Herren wie Damen des Ensembles schwarze, weitschwingende Faltenröcke mit unterschiedlich akzentuierten Oberteilen zu artigen Flechtfrisuren – ein schönes Spiel mit Erwartungen an das Aussehen von (menschlichen?) Wesen im Allgemeinen und Gender im Speziellen. Hier wird keine Geschichte erzählt, sondern es geht um Bewegung pur, und die wird erst einmal ermöglicht und begrenzt durch das Zusammenspiel individueller Bewegungskompetenz mit den Gesetzen der Physik.

Dabei wird überdeutlich, dass man der Schwerkraft nicht entkommt, sondern sich ihr im Gegenteil willig ergeben muss, um ihr dann doch das eine oder andere Schnippchen zu schlagen. Dabei lässt sich Thoss wie gewöhnlich intensiv von der Musik leiten: Die ungewöhnliche Auswahl kombiniert ein Klavierkonzert von Bach mit einer Arbeit der experimentellen Musikerin Anne Gosfield und einem Streichquartett des norwegischen Komponisten Kjell Mǿrk Karlsen.

 

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