„Wetland“ von Katharina Senzenberger

Was vom Kapitalismus übrig bleibt

„Wetland“ von Katharina Senzenberger

Nach der gefeierten Uraufführung im tanzhaus nrw im letzten November unterwässern die Kompliz*innen erneut die porösen Relationen unserer Zeit, diesmal im Rahmen des Festivals tanz nrw aktuell.

Düsseldorf, 14/05/2023

Von Swantje Kawecki

 

 

Es ist fast Mitte Mai, doch die Sonne und die warmen Temperaturen lassen noch auf sich warten. Tatsächlich regnet es seit einigen Tagen und auch heute, als ich mich auf den Weg nach Düsseldorf zum tanzhaus nrw mache, um „Wetland“ von Katharina Senzenberger anzuschauen, regnet es aus grauen Wolken auf die asphaltierten Straßen.

Dem Wetter zum Trotz kündigen Biergärten ihre Saisoneröffnung an, Clubs, Festivals und Event-Orte werben mit zahlreichen Veranstaltungen, und die Farben in Schaufenstern werden wieder bunter und die Klamotten kürzer. Lange dauert es nicht mehr, bis sich Menschengruppen in Parks, an Seen oder in Schwimmbädern versammeln, um die leeren Vitamin D-Speicher aufzufüllen.

Bevor es so weit ist, bevor wir unsere vom Winter eingehüllten Körper wieder zeigen können, gilt es diese natürlich in Form zu bringen: „Beach Body, please!“ Wenn ich durch Köln laufe, sehe ich sie überall – die Werbung der Fitnessstudios, die mit ihren Summer-Specials neue Mitglieder werben möchten. Dabei werden nicht nur günstige Preise versprochen, sondern auch ein Körper wie auf den Plakaten abgebildet.

Je nach binärem Geschlecht mit mehr oder weniger Muskulatur und Kurven, dort wo sie hinzugehören scheinen, natürlich unbehaart. Zusätzlich sind die abgebildeten Körper kein bisschen verschwitzt und die Gesichter schauen mir verführerisch, selbstbewusst und manchmal lächelnd entgegen. Selbstverständlich lassen sich die passenden Ernährungstipps ganz leicht in den Magazinen neben den Supermarktkassen finden. „Sex sells“ – das gilt nach wie vor.

Was bräuchte ich also alles, um den abgebildeten glücklichen Beach Body-Look zu verkörpern? Eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio meiner Wahl, dazu die passende Kleidung und Schuhe, einen Smoothie-Maker für die große Bandbreite an gesunden Smoothies und Shakes für zwischendurch, Tools für eine der zahlreichen Varianten der Körperenthaarung, Cremes, Peelings und Lotions für die Hautpflege und bestimmt noch vieles mehr. Das verlangt finanzielle Einsatzbereitschaft, die dafür notwendigen, zeitlichen und emotionalen Ressourcen habe ich bis hier hin noch gar nicht mit eingerechnet.

Jetzt stellt euch vor: Ihr würdet euch in euren Körpern wohl fühlen! Euch stark, schön, selbstbewusst, sexy fühlen. Euch verletzlich, emotional, weich, und rund fühlen. Eure Zuneigung, Liebe, Ängste, Unsicherheiten und Wünsche offen kommunizieren können. Das Wissen innehaben, dass die Menschen um euch herum da sind, um euch darin zu bestätigen und zu unterstützen. Wie lange würde es dauern, bis sich der Untergrund unseres kapitalistischen Systems aufweichen würde und es nichts mehr hätte, auf das es sich stützen können würde?

Nach meinem Erlebnis in „Wetland“, einem feucht-queeren Ort, blicke ich dem Moment euphorisch entgegen, in dem sich unsere doch so festgefahrenen Denkweisen auflösen. 60 Minuten lang wurde ich bei dieser Performance von Katharina Senzenberger und Kompliz*innen in ihre Realität mitgenommen – bestehend aus Body Positivity, dem Zelebrieren von Pleasure, gegenseitigem Empowerment und dem sich immer wieder neu Begegnen.

Die vor mir liegende Bühne erinnert an einen weißen Swimmingpool, mit etwa 40 cm hohen Kanten zu beiden Seiten und an der Bühnenrückwand. An der Vorderseite liegt die Plane eingerollt zusammen und bildet eine kleine Hürde. Die Performenden kommen von hinten die Ränge des Publikums hinuntergelaufen und setzen sich mit dem Rücken zu uns gewandt, die Beine auf eine Seite angewinkelt und die Hände nach rechts und links ausgestreckt auf den Boden. Alle tragen weiße Sportschuhe, weiße Socken und eine weiße Unterhose. Der Blick auf die freien Rücken strahlt bereits Stärke und Selbstvertrauen aus. Langsam bewegen sich die Hände auf die eigenen Hüften zu, streichen den Oberkörper entlang, über den Nacken in die Haare und wieder nach unten. Ein Liebkosen des eigenen Körpers beginnt.

Einzeln nacheinander stehen die fünf Performenden im Fokus, postieren ihre Körper, erhalten Zuspruch durch die anderen, untermalt durch die Wahl der Musik. Mal allein, mal zu zweit, mal zu dritt oder auch alle zusammen. Über die Performance hinweg treffen sie sich in unterschiedlichen Konstellationen. In einem Moment hypnotisierend langsam, mit Feingefühl und einer greifbaren Intensität, im nächsten Moment zu lauter Musik, sich selbst und sich gegenseitig zelebrierend, mit einem Gefühl von Befreiung. Sie wirken schön, stark, unantastbar. Ihre Freude und Energie sind ansteckend.

Mit einsetzendem Sprühregen wird die Bühne zur Rutschlandschaft. Über den Boden kreiselnd, schlitternd, gleitend bewegen sich die Körper aufeinander zu, miteinander und lassen die Wassertropfen in alle Richtungen fliegen. Es gibt in diesem Moment keine Scham. Intimität ist über die heterosexuelle Norm nicht nur erlaubt, sondern die Norm selbst. Alles darf sein und ist richtig. Muskeln sind keine männlichen Attribute, Kurven keine weiblichen. Binäres Denken wird ausgehebelt und aufgelöst, bis wir alle einfach Menschen mit Gefühlen, Körpern und Bedürfnissen sind.

Das Lied „L‘Amour toujours“ von Gigi D‘Agostino, was so viel bedeutet wie „Liebe immer“, ist in der letzten Szene zu hören, in der Katharina Senzenberger und Kompliz*innen in verschiedenen Figuren durch das Wasser rutschen. Sie strahlen so viel Freude, Euphorie und Gemeinschaft aus, dass ich am liebsten mitmachen möchte. Das Lied mit seinem positiven Rhythmus, seinen Lyrics wie „I fly with you“ machen es schwer, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Mein Körper will sich mitbewegen, mittanzen, mitrutschen. Die in der Performance demonstrierte Idee eines Körpers frei von heteronormativen Zuschreibungen mitfeiern und Teil der Euphorie und der sich von Stigma befreiten Realität sein.

Eine Realität, in der jeder Körper gefeiert wird und wir die Werbung für die perfekten Beach Bodies nicht mehr zu sehen bekommen, wenn wir im Frühling durch die Stadt spazieren.

 

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Zentrum für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit Tanzwissenschaft-Studierenden und dem Festival tanz nrw. Mit dem gemeinsamen Projekt möchten die Institutionen – zumindest temporär – eine Lücke schließen in der überregionalen Kulturberichterstattung über die freie Tanzszene in NRW.

 

 

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