„A voice of A generation“ von Artmann&Dovoisins

„I (probably) feel what you’re feeling“

„A voice of A generation“ von Artmann&Dovoisins in der Brotfabrik Bonn

Text und Tanz stehen in semantischer Beziehung zueinander und kreieren einen selbstironischen und unterhaltsamen Abend, der das tänzerische Selbst im Neoliberalismus verhandelt.

Bonn, 12/05/2023

Von Tamora Dinklage

 

„Ein Tanzstück für die Tanzszene“, schlussfolgert am Ende des Stücks die Person, die in meinem Publikumsumkreis am lautesten gelacht hat. Was in der bildenden Kunst etablierte Praxis ist – seine eigene Szene und deren Markt durch die Kunst selbst zu kommentieren und zu kritisieren – schafft das Ensemble Artmann&Duvoisin durch ihr 2022 uraufgeführtes Stück nun für die zeitgenössische Tanzszene. Trotz der vielen tanzspezifischen Zitate scheint das Stück „A voice of A generation“ in der Brotfabrik Bonn nicht nur mit dem Insiderwissen von Tanzschaffenden zu funktionieren. Das verrät der laute und langanhaltende Applaus. Dafür liefert der selbstironisch kluge Text, der sich über die 75 Minuten erstreckt, auch für nicht-Tanzschaffende genügend Identifikationsfläche.

Im – für die zeitgenössische Tanzszene Deutschlands „authentischen“ – Denglisch sprechen und singen die fünf Tänzer*innen fast pausenlos. Dabei wird viel Vokabular aus somatischen Praktiken und der Tanzvermittlung zitiert. Mal chorisch, mal alleine, mal harmonisch und ein anderes Mal sympathisch schief, mal Songtexte zitierend, dann wieder dekonstruierend oder neu erfindend, baut sich ein Sprachteppich auf, der durch Annie Blochs Musik am Keyboard unterstützt wird.

Bei der Aufführung im Rahmen des Festivals tanz nrw aktuell kommt dabei erstmals die Performer*in Laura Levita Valyte hinzu, um den akustischen Text in Gebärdensprache – in das Bühnengeschehen eingeflochten – zu übersetzen. Für die Masse an inhaltstragendem Text wird sie von einer Dolmetscherin in der ersten Publikumsreihe unterstützt.

Denn meistens stehen Text und Tanz in semantischer Beziehung zueinander: In einem Moment singt Diana Treder „I just lay here“, während sie scheinbar mühelos in einer Plank verharrt. Ein anderes Mal sehen wir die fünf Tänzer*innen eifrig eine uns unbekannte Task erfüllen, die dann mit Samuel Duvoisins Worten „I am not in a downward spiral“ nachträglich als downward spiral sichtbar wird. Ihre Sportbekleidung verweist auf Leistungsansprüche, Selbstoptimierung, Konkurrenz („Nur du kannst gewinnen, nur du ganz allein“), Performancedruck und dem Körper als Kapital.

Mit gespreizten Beinen knien drei der Tänzer*innen am Bühnenrand und schauen ins Publikum. Sie lassen uns dabei zuschauen, wie die Nässe ihre Kleider durchweicht, wenn sie aus ihren Sportwasserflaschen trinken und das Wasser an ihren Mundwinkeln herausläuft. Eine Magnesiumtablette wird zum weißen Schaum, der beim Würgen aus dem Mund quillt, während der nach oben gerichtete Blick der Performenden ihr Betrachtet-Werden durch ein imaginiertes, stehendes Gegenüber inszeniert.

Hier funktioniert das Bild vom Körper als Produkt durch ein Zitat aus der Pornografie, an anderer Stelle werden Emotionen als Ware im somatischen Tanz entlarvt („effectively feel your silent cry“, „wir sind im richtigen Moment verletzlich“). Oder es wird auf die Absurdität des Anspruchs hingewiesen, sich die eigene „Authentizität“ als erlernbare und optimierte Fähigkeit anzueignen, die beliebig an- und ausgeschaltet werden kann („ist doch wurscht, merkt doch eh niemand, was in mir vorgeht“).

Selbstkritisch wird auch die eigene Verantwortung als Tanzschaffende untersucht, wenn es darum geht, Beziehungen und Privatleben für die eigene Kunst zu kapitalisieren oder mit den Schwierigkeiten von kollaborativer Arbeit umzugehen – auch für „A voice of A generation“ selbst. Elsa Artmann und Samuel Duvoisin tanzen im gemeinsamen Duo, zitieren bekanntes Tanzvokabular in angedeuteten und ausgeführten Hebungen und reflektieren: „Ich denke, das ist eigentlich gar nicht so schlecht. Deine persönliche Krise passt total gut zu unserem Thema“. Diese Art und Weise, wie das Stück über „Arbeit und Selbst, Erfolgsdruck und Zwängen einer Generation“ erzählt, sei für Daniela Ebert ausschlaggebend gewesen, um „A voice of A generation“ unter den 200 Bewerbungen für das Festival auszusuchen. Das berichtete sie im Vorfeld der Vorstellung.

„I think I might be the voice of my generation. Or, at least, A voice of A generation“ sagt die Schauspielerin Lena Dunham in der Fernsehserie „Girls“. Ähnlich selbstironisch performen das Ensemble um Artmann&Duvoisin ihre künstlerische Verhandlung vom Selbst und Arbeit im Neoliberalismus, ohne sich anzumaßen „the voice“ zu sein.

 

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Zentrum für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit Tanzwissenschaft-Studierenden und dem Festival tanz nrw. Mit dem gemeinsamen Projekt möchten die Institutionen – zumindest temporär – eine Lücke schließen in der überregionalen Kulturberichterstattung über die freie Tanzszene in NRW.

 

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