„Baby I’m Gonna Make You Sweat“ von Hanna Roxane Scherwinski und ihren extrem gefährlichen Kämpfer*innen

Der Kampf um die Show

Performatives Wrestling-Spektakel in der Hamburger Innenstadt

Das Kollektiv um Hanna Roxane Scherwinski hat mit „Baby I’m Gonna Make You Sweat“ eine hochkomische und zugleich subversive Performance auf die Beine gestellt, die durch den Hamburger Stadtraum wandert.

Hamburg, 16/06/2023

Viele Passant*innen, die am Donnerstagnachmittag die berühmte Hamburger Shoppingmeile Mönckebergstraße entlang flaniert sind, werden sich ganz schön gewundert haben, was für ein schräges Spektakel ihnen da ganz unerwartet geboten wurde. Ein blauer Boxring steht dort, dahinter ein ebenfalls blauer Bühnenaufbau mit einer menschgroßen blauen Hand, die sich am DJ-Pult zu schaffen macht. Im Boxring zwei Performer*innen in extravaganten Kostümen, die – angeheizt von einer Moderatorin im dekonstruierten schwarz-weiß-Look à la Schiedsrichterin – miteinander kämpfen. Eine Menschentraube um sie herum, die jubeln, toben oder auch buhen.

All das ist Teil des von Hanna Roxane Scherwinski konzipierten Performance-Ereignisses „Baby I’m Gonna Make You Sweat“, einer Wrestlingshow. Diese Kampfsportart, die sich in ihrer Showhaftigkeit vom Wettbewerbskampfsport abgrenzt, gilt als ein von Männern dominierter Bereich, weshalb die Performance nicht nur ein ironisierendes Re-enactment, sondern auch eine selbstermächtigende Aneignung durch die Performer*innen darstellt. Wie in der Anmoderation der fiktiven Fernsehsendung zu Beginn angesprochen, handelt es sich nämlich um das weltweit erste FLINTA*-Wrestlingteam (FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans*- und agender-Personen).

Die Geschichte des Wrestlings reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert und hat inzwischen eine globale Szene entwickelt. Das Ziel einer Wrestlingshow ist nicht der Wettkampf, sondern die Unterhaltung des Publikums, die neben der mit Improvisationen angereicherten Kampfchoreografie durch eine Soap-artige Storyline erreicht werden soll. Häufig geht es dabei um den Kampf von Gut gegen Böse, wobei der Ausgang der „Geschichte“ zu Beginn schon vorbestimmt ist. In dieser Tradition bewegt sich auch „Baby I’m Gonna Make You Sweat“. Eine hochdramatisierte Story, in der Trainer*in Alpha Titane (Filo Krause) gegen die eigene Schülerin The Glorious G. (Géraldine Schabraque), die sich durch einen Knebelvertrag in den Fängen der „Blauen Hand“ befindet, antritt. Wer verliert, muss Hamburg für immer verlassen.

Und so werfen sich die beiden in drei Runden Wrestlingkampf. Haltegriffe wechseln sich ab mit Sprung- und Drehattacken, die im Sinne der Wirkungsästhetik übergroß ausgeführt werden. Überdimensionierte Requisiten wie eine Zange kommen zum Einsatz, die von der Kommentatorin prompt mit absichtlich plumpen Wortwitzen in ihre Live-Berichterstattung eingewoben wird. In den Pausen kommt überzeichnetes Putzpersonal zum Einsatz und verweist dabei spielerisch und tanzend auf die Hypersexualisierung von Cheerleader*innen in diversen Sportarten. Immer wieder wenden sich die Kämpfer*innen ans Publikum und versuchen mit großen Worten und körperlichen Gesten die Fans auf ihre Seite zu ziehen.  

Einerseits wird das Wrestling dabei mit viel Witz, Ironie und Überspitzung aufs Korn genommen. Anderseits kommt aber auch – und das vor allem in der letzten Runde, wenn sich die Kämpfenden aller Hilfsmittel und Kostüm-Assets entledigen müssen – die Präzision und Körperbeherrschung, die es braucht, um wirkungsvolle Kampfbewegungen auszuführen und sich gleichzeitig nicht zu verletzen, zum Vorschein. So verhält sich „Baby I’m Gonna Make You Sweat“ zwar implizit entlarvend-kritisch gegenüber dem Wrestling, offenbart sich aber zum Schluss, wenn das „Gute“ gesiegt hat und gemeinsam die Utopie eines anti-hierarchischen Wrestlingkollektivs gegründet wird, als subversive Hommage an diese Darstellungsform. Viel wichtiger aber noch: Die immense Spielfreude der Performer*innen überträgt sich auf die Zuschauer*innen und kreiert ein zutiefst unterhaltsames und gemeinschaftliches Ereignis.

Weitere Vorstellungen:
Freitag, 16.06., 17 Uhr – Platz an der S-Bahn Sternschanze  
Samstag, 17.06., 17 Uhr - Alma-Wartenberg-Platz, Altona
Samstag, 01.07., 20 Uhr - neben dem Altonaer Theater
Sonntag, 20.08., MS Dockville Festvial

Weitere Informationen zur Produktion und den Terminen

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