Jan Paul Werge, Ann-Leonie Niss, Larissa Potapov

Jan Paul Werge, Ann-Leonie Niss, Larissa Potapov

„Da hat jeder mal geheult“

Das Choreografinnen-Duo NISS | POTAPOV über ihr Debutstück „But what if you fly?“

Inspiriert durch die Entschleunigung während des Corona-Lockdowns erarbeiteten Ann-Leonie Niss und Larissa Potapov ihre Choreografie, die sich mit persönlichen und äußerlichen Sehnsüchten auseinandersetzt. Am Wochenende ist ihr Duett im Hamburger Lichthof Theater zu sehen.

Hamburg, 30/09/2022

Das Stück beginnt mit einer im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Szene. Gemeinsam atmen die beiden Tänzerinnen ein und werfen sich in eine umeinander wirbelnde, kantige Bewegungsfolge über eine Diagonale des Bühnenbodens, während der sie ihren Atem anhalten. Die Bewegungssequenz wird mehrmals wiederholt und immer weiter angereichert, bis man die Atemnot beinahe selbst spürt. Erst wenn man glaubt, die Tänzerinnen können die Bewegungsfolge unmöglich ohne Zwischenatmen noch weiter verlängern, verlangsamen sie das Spiel und beenden die konzentrierte energetische Anfangsszene.

Die Tänzerinnen, das sind Ann-Leonie Niss und Larissa Potapov, die am Wochenende mit ihrem Stück „But what if you fly?“ im Hamburger Lichthof Theater ihr Debut als Choreografinnen-Duo NISS | POTAPOV feiern. Die beiden verbindet bereits seit 2018 eine enge Zusammenarbeit. Sie sind Mitgründerinnen des rein weiblichen, 11-köpfigen Tänzerinnen-Kollektivs „Kollektiva“, mit dem sie bereits mehrere Stücke choreografiert und diese auf diversen Festivals gezeigt haben. Mit Nana Anine als Dramaturgin und Doria Worden als Technischer Leiterin und Lichtdesignerin sind zwei weitere Mitglieder von „Kollektiva“ am künstlerischen Schaffungsprozess von „But what if you fly?“ beteiligt.

Die Idee, eine Choreografie über Sehnsucht zu machen, entstand bereits in den ersten Monaten des Corona-Lockdowns, erzählen Ann-Leonie Niss, Larissa Potapov und ihr Musiker Jan Paul Werge im Anschluss an die Hauptprobe am Donnerstag. Zum ersten Mal ermöglichte die Zwangsentschleunigung tiefgreifende Überlegungen, was man im Leben eigentlich gerne machen würde, wo man hinmöchte. Jetzt, da die Zeit des strengen Lockdowns schon wieder einige Zeit her ist, fiel es den Künstler*innen viel schwieriger, sich wieder mit den eigenen Sehnsüchten auseinanderzusetzen. „Man ist längst schon wieder in den Hamsterrädern gefangen,“ beschreibt Ann-Leonie Niss die wiedergekehrte ständige Ablenkung durch die Außenwelt. Aus dem Wunsch einfach einmal loszulassen und dem unendlichen Potenzial für Veränderungen, das die Sehnsucht mitbringt, ist übrigens der Stücktitel „But what if you fly?“ entstanden.

Gleichzeitig setzen sich NISS | POTAPOV aber auch mit einer anderen Form der Sehnsucht auseinander, nämlich der, die den Menschen in einer digitalisierten Gesellschaft von außen durch beispielsweise Dating-Apps oder Einkaufswerbung aufgezwungen wird. Besonders offenbart sich dies in einem Moment, in dem Ann-Leonie Niss in stetigem Wechsel zwischen Anziehung und Qual bunt-glitzerndes Konfetti euphorisch in den Mund nimmt, um daraufhin daran zu würgen und beinahe zu ersticken. Im wahrsten Sinne eine toxische „Beziehung“.

Das Sprechen über die persönlichen Sehnsüchte hat den Probenprozess nicht immer einfach gemacht, berichtet Jan Paul Werge, der den Abend in einer Mischung aus atmosphärischer Soundcollage und eigens komponierten Liedern live am Pult begleitet. Welche Sehnsüchte sind teilbar, wie wirbt man dafür und wie lassen sie sich überhaupt proben? „Da hat jeder mal geheult“, gibt Jan Paul Werge zu.

Besonders gut - stellte sich heraus – geht das mit dem Proben der Sehnsucht nicht. Aber sie lässt zu, dass das Stück mit jedem Durchlauf durch weitere Facetten und Bilder angereichert wird, die offen genug sind, dass sie jede*r Zuschauer*in mit eigenen Assoziationen füllen kann. „Diese Offenheit ist das, was ich an Tanz liebe,“ schwärmt Larissa Potapov.

Am 01. Und 02. Oktober laden NISS | POTAPOV zu ihrer spannenden und intensiven tänzerischen Collage über die Sehnsucht ins Lichthof Theater ein.

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