„Neneh Superstar“ von Ramzi Ben Sliman

Die Kompanie von morgen

Familienfilm „Neneh Superstar“ (Frankreich 2022) ab 6. April in den deutschen Kinos

Zentrale und brandaktuelle Fragen wirft der neueste Spielfilm des Pariser Regisseurs Ramzi Ben Sliman zum Thema Diversität in der professionellen Tanzausbildung auf, bleibt dabei aber vor allem in Klischees zum Thema Ballett und einer sprichwörtlichen Zeichnung von „Schwarz und weiß“ haften.

Paris, 28/02/2023

Kaum aktueller hätte die Thematik sein können, die Regisseur und Drehbuchautor Ramzi Ben Sliman („Ma Révolution“, 2016, „Le Jeune Imam“, 2023) in seinem Tanzfilm „Neneh Superstar“ behandelt, der ab 6. April in den deutschen Kinos anläuft: Die Frage nach Tradition und Innovation, nach Diversität und Gleichberechtigung für professionelle Tanzstudierende – im Tanz generell und im Bereich des Balletts besonders, da hier das Thema Tradition einer 350 Jahre alten Kunstform am schwersten wiegt.

Doch auch in benachbarten Sparten wie etwa Film und Sprechtheater ist das Thema Diversität in aller Munde – wie jüngst die Besetzung der ersten Life-Action-Verfilmung des Disney-Klassikers „Arielle, die Meerjungfrau“ (Kinostart ebenfalls 2023) von 1989 durch eine Woman of Colour (Halle Bailey) abermals bezeugt, welche die Gemüter schon Monate vor der Veröffentlichung des Films spaltete.

Eine Verbündete im Geiste ist die Titelfigur von „Neneh Superstar“ – ein 12-jähriges bildhübsches, aufgewecktes schwarzes Mädchen (Oumy Bruni Garrel) mit feuerrotem Wuschelkopf, Baseballjacke und Zahnspange, das unbändige Lust auf das Leben hat, das vor ihm liegt, und in ihrer Freizeit nichts mehr liebt als das Tanzen. Ihr größter Traum ist es daher, professionelle Balletttänzerin zu werden.

Doch in der Welt der weißen Schwäne, des ‚ballet blanc‘, wie es seit der Ballettromanik heißt, kommen speziell Schwarze Tänzerinnen bis heute nur marginal vor – ein genaues Bild eines normierten Körperideals haben Lehrende, ebenso wie Ballettdirektor*innen und das Publikum stets vor Augen.

Dennoch ist es das selbsterklärte Ziel Nenehs eine Ausbildung zur Balletttänzerin zu erhalten und dies, so steht für das Mädchen eines Pariser Vororts fest, nirgendwo sonst, als in einer der renommiertesten, traditionsreichsten und vor allem ältesten Ballettschulen der Welt: der Ballettschule der Pariser Oper. Es überrascht leider kaum, dass die Tanzelevin, welche die Aufnahmeprüfung trotz einiger Einwende der Jury auf Anhieb besteht, nicht nur mit offenen Armen in den ‚heiligen Hallen‘ empfangen wird: Denn, so sah es schon eine enge Freundin von Neneh aus dem Hochhaus-Viertel voraus: „Das ist eine Schule von Prinzessinnen für Prinzessinnen“. Argwöhnisch beachten Neneh ihre Mitschüler*innen, manche Dozierende und vor allem die Direktorin der Ballettschule selbst.

Marianne Belage (darstellerisch toll: Maïwenn) nützt dann auch die erstbeste Gelegenheit dem aus der Reihe tanzenden Neuzuwachs ihrer Akademie mitzuteilen, dass sie strikt gegen deren Aufnahme gewesen sei: „Diversität ist nicht Aufgabe der Pariser Oper“ – so lautet ihr Credo. Die ihr anvertraute Schule stehe in der Tradition des „weißen Balletts“ – ‚Ausreißer‘ fänden hier keinen Platz. Es ginge vor allen Dingen darum „eine ästhetische Einheit“ zu schaffen.

Doch auch ihren Mittänzer*innen ist die mehr als selbstbewusste und keinesfalls auf den Mund gefallene Neneh ein Dorn im Auge – sie passt ebenso wenig in deren Bild, wie in das der allseits zutiefst respektierten Direktorin, wie ein Mädchen Neneh bezüglich einer bevorstehenden Rollenverteilung als ‚Beurteilung‘ mitteilt: „Du hast gut getanzt, aber das Schneewittchen kann nicht schwarz sein“.

Nehmen Bodyshaming – etwa in Form des täglichen Griffs zum Maßband der Dozierenden bei den ihnen anvertrauten minderjährigen Studierenden – und Schikane durch vereinzelt rassistisch eingestellte Dozierende in der Ballettschule zu, führt dies letztlich zur unausweichlichen Eskalation bei Neneh, die nicht gewillt ist, alles mit sich machen und dies klare Mobbing über sich ergehen zu lassen.

Bevor die Direktorin ihre ‚unangepasste‘ Elevin in letzter Konsequenz der Schule verweisen kann, wirft diese selbst das Handtuch und gesteht ihrem Papa, der sie immer nach Kräften unterstützt hat: „Ich kann nicht mehr. Ich will mein altes Leben zurück.“ Nenehs altes Leben, das aus Träumen, Freunden, ihrer Familie und überschäumendem Optimismus bestand – trotz mancher Entbehrungen.

Doch bevor sich Neneh wieder vollends in ihren Alltag einfinden kann, kommt es zum entscheidenden Wendepunkt – die Direktorin, die selbst ein wohlgehütetes Geheimnis mit sich trägt, muss sich eingestehen, dass sie dem Mädchen nähersteht, als ihr liebgewesen wäre und wird von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Immer wieder wird Belage im Film auch vom liberalen Operndirektor dazu gedrängt, sich zu öffnen, Neues zuzulassen und auf Innovation zu setzen: „Ich dachte, du willst die Kompanie von morgen formen?“ Und auch eine Journalistin, die ein Portrait über die ehemalige Primaballerina und amtierende Ballettschulleiterin schreiben möchte, fragt geradeaus: „Wäre es nicht möglich, diese Schule für alle zu öffnen“ – und spricht hiermit auf die Problematik an, dass vor allem Kinder von Eltern aus Leitungsebenen unterrichtet würden, wenige Eleven aber aus sozialschwachen und bildungsfernen Familien stammten – ein Kind also, wie Neneh.

Großes Potential hätte dieser Film zweifellos gehabt, als dass er thematisch exakt den Nerv der Zeit trifft, doch anstelle auf die teils klug aufgeworfenen Fragen mit Tiefgang zu antworten, hält „Neneh Superstar“ ein Klischee nach dem anderen des Balletts und – was unverzeihlicher ist – Schwarzen Menschen gegenüber bereit. Denn vor allem Eines ist Neneh ja an jeder Stelle des Films, ‚unangepasst‘, frech und aufmüpfig, ein ‚Entlein‘, das erst zum Schwan erzogen werden muss.

Von großem Nutzen wäre es dem Regisseur darüber hinaus gewesen, hätte er sich jemanden als künstlerischen Berater oder als Drehbuchautorin an die Seite geholt, die selbst eine tiefergehende Expertise im Bereich des Bühnentanzes mitbringen und somit ein glaubwürdiges und der Realität entsprechendes Bild zu erschaffen in der Lage sind: 12-jährige Mädchen, die bereits bei der Aufnahmeprüfung an der Ballettschule mit mehreren Nurejew-Preisen aufwarten können, Dozierende, die auf ‚tadelhaftes‘ Verhalten ihrer Eleven mit angeordneten „Liegestützen“ reagieren, „wie im Militär“, eine Direktorin, die ihre Traumata an selbstgewählten Opfern schamlos auslässt. Nahezu kein Klischee der Ballettwelt wird in „Neneh Superstar“ ausgelassen, dafür aber einige faktische Unwahrheiten angeführt. Darüber hinaus erfahren die Charaktere selbst – inklusive Neneh und Madame Belage – ausschließlich eine „schwarz- und weiß-Zeichnung“ und bleiben ansonsten größtenteils farblos und flach im Hintergrund zurück.

Diskriminierung wird im Film eher als individuelles Problem dargestellt, womit der Film leider in weiten Teilen eine verpasste Chance ist, sich dem hochgradig aktuellen und komplexen Thema Diversität – und hier in all seiner Vielfalt – in der professionellen Tanzausbildung und im Bühnentanz zu nähern, stellt die im Grunde einzig glaubhafte Seite des Films die Jungdarstellerin Oumy Bruni Garrel selbst dar:

Als Adoptivkind des prominenten Schauspiel- / Regie-(Ex-)paares, Louis Garrel und Valeria Bruni Tedeschi, sah sie sich selbst zeit ihres bisherigen Lebens mit der Frage konfrontiert, ob es nicht ‚besser‘ sei, in einer ‚Welt der Weißen‘ als Weiße zu leben, als ‚Schwarz‘ in der Welt der ‚Reichen und Schönen‘. Auch in diese musste das ursprünglich senegalische Mädchen erst hineinwachsen, ein ‚Schwan‘ unter Schwänen werden, ‚angepasst‘ als Stieftochter des Supermodels Laetitia Casta und als Nichte des damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkosys: die eben selbst nichts anderes repräsentieren als die Welt der ‚Reichen und Schönen‘ – und Oumy Bruni Garell, ein Mädchen mit großem Namen und großer Verantwortung, mittendrin.
 

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