Es ist genau 60 Jahre her, dass Merce Cunningham sein damals wie heute revolutionäres Stück „Story“ erstmals gezeigt hat. Schon damals hatte er es seinen Tänzer*innen freigestellt, wie sie den Rahmen, den er ihnen choreografisch vorgab, konkret ausgestalten wollten. Seinerzeit war es Robert Rauschenberg, der dazu das Bühnenbild mit Objekten aus dem, was er in der Umgebung des Aufführungsortes fand, jeweils neu gestaltete. So wird es auch in der vom Berliner Dance On Ensemble adaptierten Version heute noch gehalten – mit wechselnden, lokal ansässigen Künstler*innen. In der Hamburger Fassung ist das die Malerin Anik Lazar. Sie umrahmt die sechs Tänzer*innen mit großformatigen abstrakten Bildern. Sie zeigen kraftvolle, vielfach in sich verschlungene farbige Knäuel. Eines davon ist auf die Rückseite eines überdimensionalen iPhones projiziert, das auf ein fahrbares Gestell montiert ist. Ein anderes, das größte, wird erst im Lauf der vier Vorstellungen fertigwerden. Anik Lazar malt es während der Aufführung. Der viereckige weiße Tanzteppich erscheint dazu wie ein Spiegel – auf dem die Tänzer*innen ihr ganz eigenes Bild kreieren.
An der Seite der schwarz abgehängten Bühne gibt der Gitarrist Mattef Kuhlmey dem Tanz eine musikalische Basis, es sind einzelne, lang gehaltene Töne auf der E-Gitarre, die sich im Lauf des Stückes in einen immer wieder anders gefärbten, anschwellenden Klangteppich wandeln, während eine digitale Zeituhr läuft. Die Entsprechung dazu sind zwei große Tafeln, auf denen mit Kreide ein Zeitplan eingetragen ist.
Schon 2019 hatten sechs Mitglieder des Berliner Dance On Ensembles, bestehend aus 14 Tänzer*innen zwischen 43 und 77 (!) Jahren, dieses Stück neu einstudiert. Die Basis dafür bildeten eine Filmaufzeichnung, choreografische Notationen, anekdotische Berichte von Zeitzeugen sowie die Zusammenarbeit mit dem Cunningham-Experten Daniel Squire.
Scheinwerfer (Lichtdesign: Patrick Lauckner/Falk Dittrich) tauchen die Szenerie in wechselnde Lichtbäder: rosa, blau, weiß, lila, rot, gelb, grün, während die Tänzer*innen scheinbar zusammenhanglose Soli tanzen. Bei längerem Hinschauen wird deutlich, dass sie doch untereinander in Verbindung stehen: durch ähnliche Bewegungsmuster, Begegnungen, Blickkontakte, Gesten. Zusammengehalten wird das alles durch eine zwingende Präsenz der Tanzenden – einmal mehr offenbart sich hier die hohe Qualität des Ensembles. Und vor allem wird augenfällig, wie wichtig es ist, dass älteren Tänzer*innen mit ihrer Erfahrung und ihrem künstlerischen Wissen eine Bühne gegeben wird. Noch dazu, wenn sie technisch so versiert sind wie diese. Diese „Hamburg Story“ zeigt sich ebenso spannend wie vielfältig in Bewegung und Ausdruck – und so modern, als wäre sie erst gestern aus der Taufe gehoben worden.
Teil zwei dann die „Never Ending (Story)“ von Mathilde Monnier, die an Cunninghams Arbeit anknüpft und den Faden auf ihre Weise weiterspinnt. Die Tänzer*innen tragen jetzt Sneakers (das Cunningham-Stück wird barfuß getanzt) und klopfen mit ihnen lautmalerisch den Sound zu den gleichzeitig gezeigten Bewegungsfolgen auf der Bühne. Der Rhythmus wechselt immer wieder, und irgendwann beginnt einer der Tänzer zu sprechen – er erzählt über seine Beziehung zum Tanz, zu Merce, zum Leben. Eine*r nach der/dem anderen greift das Gesagte auf, entwickelt es weiter, und so entsteht nach und nach eine neue „Story“ auf der Basis der vorigen.
„Making Dances“ ist ein wunderbar leichtes, buntes, und doch nachdenkliches Stück, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist – ebenso wie dem phantastischen Dance On Ensemble. Das Publikum in der Kampnagelfabrik war zu Recht begeistert.
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