„54 Hours Performance“ von Marina Abramović und Billy Zhao

Jetzt geht’s rund. Und gleich nochmal

Ein Blog von Melanie Suchy

„54 Hours Performances“ beim Interdisciplinary Performance Lab, Kuratiert von Marina Abramović und Billy Zhao

Essen, 12/07/2023

Sonntag, 9. Juli, 16.10 Uhr. Träte ich jetzt hinaus in den Regen, der endlich einsetzt, nachdem seit Stunden vorm Unwetter gewarnt wird und die Hitze ofenmäßig die Luft verdickt, dann säße ich gleich im Zug nach Essen und sähe noch die letzte Stunde von 54, sprich „Fiftyfour Hours Performances“ im Museum Folkwang.

Ich war schonmal da, schon zweimal, immer am Ende eines Tages, also von etwa 17 bis 18 Uhr. Da hätte es heute vielleicht mal einen Anfang gebraucht. Oder eben nochmal ein Ende, das, nach dem das alles vorbei ist – falls es sofort vorbei sein kann. Vielleicht wird gefeiert, vielleicht geweint. Sicher auch gelacht. Ich stelle mir einen tollen Moment vor, voll von all dem, etwas Besonderes im Sinne von „ich war dabei“. Aber halt, dieses Ende ist etwas für die Performenden, die 24 Studierenden der Folkwang Universität der Künste, die diese Tage und langen Stunden nicht nur durchgehalten, sondern diese gestaltet haben. Und, umgekehrt, von ihnen gestaltet wurden, irgendwie. That’s the sense. Der Moment ist IHRER. Bravo an alle, jetzt schon, um 16.20 Uhr.

Von hier aus

Es startete am 30. Juni, ging neun Tage lang, jeweils von 12 bis 18 Uhr, außer Montag. Ist ja ein Museum. Was heißt es, das Überdauern, das Andauern, das Zeitverbringen in ein Museum zu tragen? Da gehört es eh hin? Da stört es nicht? Oder doch, indem sich was bewegt, atmet, herumschmiert, geigt, quietscht, lacht, Geschichten vorliest, jazzt, singt, gräbt. Lebendige Menschen.

Die Gastprofessur von Marina Abramović an der Folkwang (wie man hier sagt) hat mehr Früchte getragen, als ich anfangs vermutet hatte. Klar, sie war es, die Presserummel bekam, sie saß auf Podien, sie erzählte unterhaltsam von ihren Performances und Geschichten drumherum, zeigte Filme. Von den Studierenden, die aufgrund ihrer Bewerbungen aus allen Fachbereichen und Studienfächern ausgewählt worden waren für das Projekt, war zu hören, wie ernst sie das Projekt nahmen. Es gipfelte in einem tagelangen Aufenthalt im März in Griechenland mit stundenlangen „Übungen“. Sie gehören zu dem in aller Welt (gemeinsam mit dem Partner Ulay) gesammelten Schatz von Körper-und-Geist-Praktiken der Frau Abramović.

Von der großen Sache im Museum war erst danach die Rede, öffentlich. So entwickelten die Studierenden ihre Performances im Hinblick auf eine tagelange Präsentation. Long durational werde es.

Es dauert

Bei meinem ersten Besuch am 4. Juli hatte ich Zweifel nach der einen Stunde Schlendern durch die Räume. Ist das nicht alles zu sauber, zu museumshaft? Irgendwie bloß schick visuell? Mit Farbkonzept. Im Wiesen-Lichthof vor der Garderobe setzt eine Frau im schwarzen Kleid leicht schwankend die nackten Füße voreinander, dann legt sie sich platt hin aufs Grün. Ihre Augen bedeckt eine Art geschwärzte Schwimmbrille, macht sie vermutlich „blind“ – umgeben von vier Glaswänden. Im anderen Innenhof, dem mit dem Kreuz aus wuchtigen Steinen, wölbt sich ein kreisrundes Berglein Erde, ein paar Meter weiter findet sich das entsprechende runde Loch im Rasen. Da hat jemand gearbeitet. Da: ein Spaten. Sie, auch in Schwarz, legt sich rücklings ins Loch und atmet nur noch. Später freut sich eine Amsel an dem freigelegten Kleingetier in der entblößten Erde.

Im dritten Grasinnenhof schließlich spielt ein Musiker mit einem angetrockneten Blumenkranz auf den blonden Locken Saxophon. Im Stehen. Als Zeichen der Dauer und Wiederholung liegen vier solcher vergilbter Kränze auf dem sommertrockenen Grün nahebei. Von drinnen gibt ihm eine Besucherin per altem Telefon – mit Hörer! – Wünsche nach Stilistiken seiner Improvisation durch. Sie insistiert. Er pustet. Manchmal kommt kein Ton.

Ja: Atmen

Überm Eingang der Hallen mit den übrigen Performances hockt ein junger Mann auf einem langen Regalbrett, die Beine baumeln oder klemmen mit oben, auch er hat einen kleinen Berg neben sich auf der einen Seite, auf der anderen ein Glas. Es ist hellbraune körnige Materie, Tabak. Ins Gefäß wirft er, nach dem Einrollen mit Fingern und Schlecken mit der Zunge, die Zigaretten. Jede eine letzte, laut Titel „The last one“.

Lohnt sich für so einen lauen Scherz so ein Aufwand an Zeit und Überdauerungskraft? Oder ich habe den Sisyphusmoment verpasst, in dem er die Gerollten wieder zerbröselt und alles wieder von vorne beginnt? Jedes Mal zum letzten Mal. Vielleicht hört er ab heute auf zu rauchen und lebt gesünder. Ich erinnere mich an Angie Hiesl, die Kölner Performancekünstlerin, die in „Xmal Mensch Stuhl“ alte Menschen weit oben an Wände setzte. Sie waren enthoben, politisch gemeint. Aber draußen, in Straßen.

Den Prozess des Herstellens von etwas, das sich im Ansammeln oder Mehrwerden über die Zeit zeigt, verfolgen auch andere der Performances. Da gibt es das Kartoffelschälen, das es sogar zum Plakatmotiv gebracht hat: bärtiger Mann vor großen Kartoffeln auf Tisch. Sie erinnern ans Schimpfwort für Deutsche und die Fronarbeit von Personal in Großküchen. Vielleicht geht es ums Versorgen anderer, mit Engelsgeduld. Oder darum, in den Händen Erdfrüchte zu halten. Oder eben nicht kleine Reiskörner zu zählen, wofür Abramović inzwischen auch bekannt ist. Bei aller Ratlosigkeit meinerseits: hat was.

Ansammlung auch hier: In einer aufwändigeren Installation kopiert ein Kollege Kopien von Kopien von Briefen, dazu wird das Vorlesen von Briefen eingespielt und werden handgeschriebene Briefe und Kopiekopien ausgestellt. Die Bewegung: des Performers Weg vom Kopierer zum Großfoto des Bukarester Präsidentenpalastes der Ceaușescus, Ablegen der einzelnen DINA4-Blätter auf Stapel davor. Gehen, legen, schauen, gehen, kopieren und so weiter und so weiter. So jedenfalls meine Vermutung, nachdem ich ein paar Minuten lang zuschaue. Es geht um Familie und Emigration.

Die Musikerin weiter hinten sammelt Haare. Sie spielt einen Ton auf der Geige, rupft ein Haar (Pferd?) ihres Bogens ab, spielt, stimmt, rupft. Manchmal macht sie Musik: wenn sich jemand zu ihr auf den freien Stuhl setzt. Die Haare drapiert sie in einer Reihe an der Wand. Ihr grünes Kleid passt zur grün gestrichenen Wand ihrer Nische.

Harmonie

Eine Tänzerin sammelt Kreise, nein: Arten, Kreise zu malen. Auf großen weißen Papierbögen auf dem Boden, mit schwarzer Wasserfarbe. Tusche? Die schon bemalten Papiere hängen von der Decke. In ihrem roten Kleid wirkt die Tänzerin  malerisch, so vereinzelt zwischen Schwarz und Weiß. Sie selbst ist der Pinsel. Ihre Finger streichen, ihre Handballen, oder sie tupft unendlich viele Punkte an einer kreisförmigen Linie entlang. Um sich selbst herum. Wiederholt sich, im Uhrzeigersinn. Ich habe plötzlich Lust, das auch zu tun.

Hier aber sollen, logischerweise, die Besucher nur zuschauen. Das auffällig Vereinzelte der Dauerperformances brechen aber auffällig viele der Studierenden auf, indem sie zum Mitmachen einladen. Das steht auf den Erklärschildchen neben den Performancestellen in dem Museum. Man möge bitte helfen, die Blätter vom Kopierer auf die Stapel zu tragen.

Hier pausiere ich mit Schreiben. Es geht bald weiter. Einen Gedanken noch: Würde man den insgesamt 23 Performances gerechter, wenn man mal sechs Stunden bliebe und das an mehreren Tagen? Was wäre da zu entdecken? Aber wer hat denn so viel Zeit? Genau darum geht es, oder? Wer hat so viel Zeit? Was ist Zeithaben?

Fortsetzung folgt

Offenlegung: Ich habe momentan einen Lehrauftrag am Institut für Zeitgenössischen Tanz an der Folkwang Universität der Künste inne. Deshalb ist das hier natürlich keine Rezension.

„54 Hours Performance“

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