„Zum Sterben zu schön” von Jo Strømgren, Tanz: Stephanie Carpio (Franz Schubert), Ballett der Oper Graz

Morbide Lust an der Romantik

„Zum Sterben zu schön” von Jo Strømgren als Uraufführung mit dem Ballett der Oper Graz

Woher kommt eigentlich Inspiration? Und was wäre, wenn man Komponisten der Romantik in einem Raum aufeinander treffen lassen würde?

Graz, 17/10/2022

Jo Strømgren versucht erst gar nicht, seine Ideen rein mit den Mitteln des Tanzes umzusetzen. Eine Stimme aus dem Off – es könnte der Choreograf selbst sein – führt in das Stück ein und durch den ganzen Abend. Wir befinden uns im Jahr 2048 in einem verwahrlosten Musiksalon, der von einem kaputten Klavierflügel, dem die Beine fehlen, dominiert wird. An der Seite einige Kästen, Sessel und ein Kanonenofen, in dem später Frederic Chopin einen Teil seiner Noten verbrennen wird. Strømgren, Hauschoreograf des norwegischen Nationalballetts und international tätig, verantwortet durchaus gekonnt in Personalunion Choreografie, Bühne und Text. Die Musikzusammenstellung – allesamt Stücke der vorkommenden Komponisten – wirkt auf den ersten Blick sehr wild, fügt sich aber doch zu einem großen Ganzen.

In diesen Musiksalon dringen zu Beginn Menschen in weißen Schutzanzügen ein. Sie untersuchen diesen Raum und werden vom plötzlichen Auftreten Franz Schuberts (Stephanie Carpio) durch eine Tapetentür überrascht. Schubert ist auf der Suche nach neuer Inspiration – wie alle Komponisten, die noch auftreten werden. 2048 ist es also schon möglich, für Forschungszwecke ins Jenseits zu reisen, um die Musik, die Frage, woher die Inspiration dazu kommt, aber auch das Phänomen Raum zu untersuchen. Strømgren denkt hier „Raum“ in mehreren Dimensionen, nicht nur architektonisch. „Was ist eigentlich Raum? Was passiert in Räumen, die ja doch die meiste Zeit sich selbst überlassen sind? Sind Ablagerungen auf Möbeln und Wänden nur Patina oder doch auch Zeugen von Vergangenem?“ Diese Fragen richtet die Stimme aus dem Off an das Publikum.

Frederic Chopins Impromptu No 4 in cis-Moll wird auf dunkler Bühne getanzt: Nur im Schwarzlicht weiß leuchtende Notenblätter, die in den Händen gehalten werden, sind zu sehen. Die unterhaltsame Choreografie erinnert an eine große Revuenummer mit Federfächern. Als nächstes tritt Carl Maria von Weber (Philipp Imbach) auf, der Mordgedanken gegenüber seinen Konkurrenten hegt, damit er als der Große zurückbleibt. Von diesen Mordgedanken erzählt wiederum die Stimme aus dem Off. Das zwischendurch Chopin (Fabio Agnello) Schubert aus dem Fenster stößt, geht dabei fast unter. Schließlich sind ja schon alle tot und somit unsterblich. In weiterer Folge treten auch noch Robert Schumann (Isabel Edwards) und Bedřich Smetana (Giulio Panzi) auf. Dabei erfährt das Publikum Wissenswertes wie Unterhaltsames zu den einzelnen Komponisten, zu manchem Werk aber auch zu den Todesursachen der Komponisten.

Eine international besetzte Forschungskonferenz will die Frage beantworten, woher denn nun die Inspiration kommt und ob man mit den romantischen Motiven in der Gegenwart noch etwas anfangen kann. Doch schnell artet die Diskussion in ein babylonisches Stimmengewirr aus und wird vertagt. Also auch wieder kein Antwort gefunden. Da nützt es auch nichts zu erfahren, dass oftmals Frauen die Musen gewesen sind. Am Ende ist man nicht unbedingt klüger geworden, aber trotz des eher morbiden Stücktitels auch nicht melancholischer. Vielleicht ein bisschen nachdenklicher …

Choreografisch bedient sich Strømgren, der auch schon für das Wiener Staatsballett gearbeitet hat, sowohl am klassischen als auch zeitgenössischen Tanzvokabular. Die Bewegungen sind raumgreifend mit langen Armen, viel Partnering mit spannenden Hebungen ist zu sehen. Soli, Duos und Trios wechseln sich mit Gruppenszenen ab. Mit den Mitteln des Tanzes versucht er Gedanken und Emotionen der Komponisten darzustellen, die Erzählungen aus dem Off erweisen sich hier als hilfreich. Bregje van Balen hat die Tänzer*innen in schlichte olivgrüne Oberteile und schwarze Hosen gewandet, nur die Komponisten tragen Kleidung ihrer Zeit, wie man sie von Abbildungen kennt.

Mit viel Verve und Lust am Tanzen bestreiten die 18 Tänzer*innen der Oper Graz diesen einstündigen Abend und erhalten dafür heftigen Applaus. Am nächsten Tag stehen sie in einer Nachmittagsvorstellung des Musicals „Anatevka“ auf der Bühne des Grazer Opernhauses. Wie an vielen Mehrspartenhäusern bleibt ihnen der Opern-, Operetten- und Musicaldienst nicht erspart, aber auch dieser Aufgabe widmen sie sich mit großer Lust.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern