„KÖRPER DELUXE“ von Josep Caballero García

Theater als Wohlfühlort

„KÖRPER DELUXE“ von Josep Caballero García auf Kampnagel in Hamburg

Blaue Knete als Mittel der Videoprojektion, Zuschauer*innen auf bequemen Sitzkissen und ein schlafender Hund auf der Bühne. So machen Josep Caballero García und sein Team das Gefühl des selbstgewählten Rückzugs erlebbar.

Hamburg, 02/11/2022

Es ist eine der ungewöhnlichsten Formen der Videoprojektion, die man aktuell im Theater gesehen hat, und gleichzeitig auch eine der intelligentesten. Immer wenn die drei Performer*innen auf der Bühne mit tiefblauer Knete oder Yogamatten hantieren, eröffnet sich ein sich ständig morphendes Bilderkonstrukt aus Live- und aufgezeichneten Körpern, das auf der großen Projektionswand ausgespielt wird. Einmal verteilen die Performer*innen auf dem Bühnenboden eine Fläche aus Knete, während sie von einer Live-Kamera aus Vogelperspektive gefilmt werden. Auf der Projektionsleinwand erscheint nun auf der sich langsam ausbreitenden blauen Fläche nach und nach das vorproduzierte Bild einer schlafenden Person. Einer der Performer*innen legt sich dazu, fast sieht es aus, als hätten sich die beiden Körper im Arm trotz ihrer zeitlichen und räumlichen Distanz zueinander. Später nimmt einer eine Kugel Knete in den Mund, filmt sich dabei mit dem Handy und lässt im Live-Video wieder eine nicht anwesende, ruhende Person in seinem Mund erscheinen.

Das Spiel mit der Videoprojektion, durch das die digitale und die Live-Ebene verschwimmen, besticht als auffälligstes ästhetisches Mittel in der in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Performance „KÖRPER DELUXE“ von Josep Caballero García. Der Choreograf, der sich in seiner Recherche mit queeren Praktiken in Kunst und Gesellschaft auseinandersetzt, lädt in seiner neuen Produktion gemeinsam mit seinem Team in ein Theater als Rückzugsraum ein. Ausgehend von der berühmten Skulptur des „Schlafenden Hermaphroditus“ und der Frage, ob diese symbolhaft für Androgynität stehende Figur freiwillig oder von der Gesellschaft in den Schlaf verdrängt wurde, reist Josep Caballero García gemeinsam mit sieben virtuell eingespielten und zwei mit ihm auf der Bühne stehenden Liveperformer*innen durch die ganz persönlichen Geschichten ihres selbst gestalteten Rückzugs aus der Gesellschaft. Die meist nur sehr kurz angerissenen Erzählungen in Form von Audioeinspielungen oder Tanz kreieren durch ihre persönliche Offenheit und intime Nähe einen utopischen Möglichkeitsraum, einen Safe Space, in dem das Publikum zur Ruhe kommen kann.

Die Zuschauer*innen nehmen auf bequemen Sitzsäcken und Matratzen rund um den Bühnenraum der K4 Platz. Große aufgespannte Tücher, Pflanzen in einer Ecke, das freundliche Spiel einer Ukulele, vor allem aber Labradoodle Toni, der fast performativ alle paar Minuten seinen Platz wechselt, um sich dort wieder gemütlich auf seiner Decke hinzulegen, rufen das Gefühl eines Wohlfühlorts hervor. Dieses Gefühl von Ruhe und Rückzug aus der hektischen Außenwelt wird insbesondere durch den plötzlichen Spannungsabfall nach der tänzerischen Anfangssequenz verstärkt, in der die Performer*innen mit hektisch-pulsierenden Bewegungen durch den Raum kriechen und laufen und dabei ihre Impulse mit rhythmischem Atmen und Pusten stimmlich untermauern. Nach einer langen Ruhephase, in der die Performer*innen luftringend einfach einmal innehalten, eröffnet sich eine organische Komposition aus persönlichen Erzählungen, Slow-Motion-Tanzsequenzen und dem Spiel mit der Videoprojektion. Die virtuellen und die physischen Körper verschmelzen miteinander, tauchen plötzlich auf, um sich dann gleich wieder zurückzuziehen und schließlich – nach einer unglaublich kurzweiligen Stunde – unter Jauchzen und Jubeln unter Yogamatten, hinter Pflanzen oder einer Maske aus Knete vollends verschwinden.   

Was „KÖRPER DELUXE“ besonders gut gelingt, ist die ästhetische Übertragung der Erzählungen von Rückzug und Schlaf auf das Live-Erlebnis der Zuschauer*innen. Angesichts der angenehmen und bequemen Sitzsituation in dieser sogenannten „relaxed performance“ und der dadurch kreierten Atmosphäre, in der die Einladung zum Verweilen und Erleben jeglichen elitären Bildungsanspruch überdeckt, stellt sich die Frage, ob Tanz- und Theaterproduktionen im Sinne der Zugänglichkeit nicht häufiger eine derartige Richtung einschlagen müssten. „KÖRPER DELUXE“ jedenfalls gelingt es, das Theater als Rückzugs- und Wohlfühlort für alle zu begreifen und das kann man Josep Caballero García und seinem Team nicht hoch genug anrechnen.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern