Ismael Ivo, Phoenix, 1985

„Ich glaube an den Körper“

Ein Buch zum Gedenken Ismael Ivos

Johannes Odenthal hat ein Buch über den brasilianischen Tänzer herausgegeben

Als im April 2021 die Nachricht die Runde machte, dass der afro-brasilianische Tänzer und Choreograph Ismael Ivo, der Festivals und Ausbildungsprogramme gestaltete, in Wien, Venedig und Weimar, in Stuttgart und Berlin gearbeitet hat, dass dieser geniale Netzwerker in einem Krankenhaus in Sao Paulo an Covid 19 gestorben war, konnte das niemand so recht glauben. Dieser baumlange, muskulöse Kerl, der so ungestüm, so herausfordernd, so zärtlich mit seinem wichtigsten Instrument, seinem Körper umzugehen verstand, sollte wie so viele einfach diesem Virus erlegen sein?

„Niemand erwartet, dass sich ein Schwarzer Adler auf diese Weise verabschiedet.“ sagte die brasilianische Tanzwissenschaftlerin und Bewegungsforscherin Cassia Navas in einem Interview. Wenn Ivo seine langen Arme ausbreitete, verstand er die gesamte Bühne mühelos zu füllen. Er verzauberte das Publikum durch seine intensive Präsenz. Kaum betrat er den Raum, zog er alle Blicke auf sich und er sollte einfach …

Ja, als Karl Regensburger, Intendant des Festivals ImPulsTanz in Wien, die Nachricht publik machte, stand ihm die Erschütterung ins Gesicht geschrieben. Auch wenn Ivo Europa 2017 verlassen hatte und in seine Heimat Brasilien zurückgekehrt war, standen die beiden doch weiter in engem Kontakt. Ivo hatte Regensburger einst in die Welt des Tanzes mitgenommen, die damals, Anfang der 80er Jahre, als die beiden einander kennenlernten, in Wien keineswegs so populär war wie heute. Das hielt sie nicht ab, 1984 die Internationalen Tanzwochen Wien zu gründen. Daraus entwickelte sich ImPulsTanz, eine besondere Erfolgsgeschichte und – so Regensburger – Wien hat Ivo künstlerisch adoptiert. Er organisierte am 1. August 2021 im Wiener Volkstheater einen Gedenkabend, lud Weggefährten ein. Aber das war ihm nicht genug. Gemeinsam mit Marcel Kaskeline, dem Raumbildner und Lebensgefährten von Ivo, drängte er Johannes Odenthal, noch Programmbeauftragter der Akademie der Künste in Berlin und langjähriger Wegbegleiter Ivos, ein Buch herauszugeben und das möglichst schnell. Odenthal ließ seine Bedenken fallen und sammelte Gespräche, Texte, Dokumente und Fotografien. Die Anstrengungen der drei haben sich gelohnt.

Unterstützt vom Leipziger Verlag Spector Books gelang es in dieser kurzen Zeit ein facettenreiches Bild dieses starken „Ausdruckstänzers“, der keinen Teil seines Körpers außer Acht ließ, zusammenzusetzen. Die großzügig im Buch verteilten Fotografien von Anno Wilms und Dieter Blum und die zum Teil leeren Buchseiten sorgen dafür, dass hier keine dröge Textwüste entstanden ist. Wir sehen Ivo auf der Bühne, im Studio, bei Empfängen, mit Freunden, in seiner Heimat.

In vier Kapiteln blättern 22 Autorinnen und Autoren diesen reichen Lebensweg aus verschiedenen Perspektiven auf, und dank der hervorragenden Gestaltung von Elias Erkan (Spector Books) ist diese Hommage ein vorzügliches Katalogbuch geworden, aus dem die Kraft dieses außergewöhnlichen Tänzers die Leser förmlich anspringt, ja dieser Mann glaubte „an den Körper“.

Der 1955 in einem armen Viertel in Sao Paulo geborene Ivo bahnte sich mit seiner zugewandten, freundlichen Art, seinem Lachen, seiner Kraft und Ausdauer seinen Weg – wohl wissend, dass er als Schwarzer nichts geschenkt kriegte. Die heute so virulenten Diskurse über Rassismus, Kolonialismus beschäftigten ihn schon in den 80 er Jahren. Ivo hat seine Arbeit als Tänzer und Choreograph immer politisch verstanden, ohne Parolen vor sich herzutragen. „Ismael war sich immer bewusst, dass er mit dem Ausstellen des nackten schwarzen Körpers für ein mehrheitlich weißes Publikum eine Provokation bewirkte“, erinnert sich Werner Schretzmeier vom Theaterhaus Stuttgart. Ivo forschte, suchte in alten afroamerikanischen Ritualen und verband sich mit der europäischen Moderne. Er arbeitete mit Johann Kresnik, George Tabori, Marcia Haydée, mit Koffi Kôkô, Uschio Amagatsu und und und. ImPulsTanz Wien, die Biennale de la Danza in Venedig, das Nationaltheater in Weimar und und und. 2017 übernahm Ivo die Direktion der Ballettkompanie am Theatro Municipal de São Paulo und war der erste Schwarze in dieser Position – ein Meilenstein. Er choreografierte, engagierte sich weiter für die Ausbildung von Tänzern, suchte Strukturen aufzubauen, agierte politisch – für den Tanz und für Diversität/Inklusion in Brasilien. Wie muss es ihn getroffen haben, als sein Vertrag 2020 nicht verlängert wurde? Wieder musste Ivo schmerzlich erfahren, dass der Rassismus in Brasilien keineswegs besiegt ist. Andere Möglichkeiten wurden ausgelotet, aber dazu kam es nicht mehr. Das dankenswerter Weise von Marcel Kaskeline, der sich um den Nachlass kümmert, verfasste Werkverzeichnis legt beredt Zeugnis ab von seinem vielseitigen Schaffen und von einem Mann, der sein Leben dem Tanz verschrieben hatte. Es wird hoffentlich für seinen angemessenen Platz in der Tanzgeschichte sorgen.

Als das Buch am 20. Juli im Wiener Volkstheater vorgestellt wurde, waren wieder Weggefährten dabei. Besonders gefeiert wurde der brasilianische Percussionist und Komponist Dudu Tucci. Er hatte vor 40 Jahren nicht nur mit Ivo zusammengearbeitet, sondern nahm ihn 1982 – quasi privat – mit nach (West-)Berlin zum Jazzfest. Der junge, vielversprechende Tänzer betrat zum ersten Mal den alten Kontinent. Vierzehn Jahre später, im Oktober 1996, schlenderten wir beide gemeinsam mit einem kleinen Fernsehteam durch die deutsche Klassikerstadt schlechthin, durch Weimar. Günther Beelitz hatte Ivo, nachdem Stuttgart eine zeitgenössische Companie am Theaterhaus nicht finanzieren wollte, ans Deutsche Nationaltheater geholt. Er engagierte die Tänzerin Riccarda Herre, so wie er es ihr einst versprochen hatte. „Er war unglaublich verbindlich“, erinnert sich Herre. Auch Mara Borba, eine Gefährtin der ersten Stunde, holte Ivo nach Weimar. Dort, erinnert sich Herre, „gab es eine regelrechte Fangemeinde, die nach den Vorstellungen auf Ismael wartete.“ Nicht nur dort.

Johannes Odenthal (Hrsg.). Ismael Ivo – Ich glaube an den Körper. Verlag Spector Books. 2022. ISBN: 978-3-95905-623-6. [D] 32,00 €, [A] 32,90 €, CHF 46,90.

 

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