Amala Dianor: „Siguifin“

Wenn die Pferde mit dem Festival durchgehen

Tanz im August: Tag zwei

Tanz im August geht mit Pferden auf die Straße, auf den Bühnen zeigen derweil Amala Dianor und Frédérick Gravel ihre Arbeiten „Siguifin“ und „Fear & Greed“.

Berlin, 08/08/2022

Es ist ein faszinierender Anblick, wenn durch den Innenhof des Humboldt-Forums plötzlich 15 Tänzerinnen als braune, weiße oder schwarze Pferde toben. Sie scharren mit den Hufen, blasen Luft durch die Nüstern, zucken und schütteln sich oder lehnen ihre Köpfe ganz pferdeartig aneinander, bevor sie wieder als wilde Herde auseinanderpreschen und schließlich gen Ausgang verschwinden, um ihre dreistündige Reittour als „City Horses“ durch das sommerliche Berlin zu machen, die am HAU2, dem Festivalzentrum von Tanz im August, enden wird. Ein immer kleiner werdender Tross folgt dem munteren Haufen bei dieser Intervention, die von Helena Byström und Anna Källblad konzipiert wurde, und neues Publikum findet sich auf der Museumsinsel oder dem Gendarmenmarkt (hier gibt es sogar Zwischenapplaus) zwischen Touristen und Bummlern mehr als genug. Zwar bleibt der politische Anspruch, mit diesem Pferdezug den zumeist männlich besetzen Reiterstandbildern etwas entgegen zu setzen, eher Behauptung denn Tat – selbst der Besuch der Amazonenstatue mit ihrem Kampfbeil auf der Museumsinsel löst keine besonderen performativen Kräfte aus – aber es bleibt dennoch eine unterhaltsame Stadtintervention, die ein gehöriges Maß an Fitness voraussetzt.

Im HAU1 präsentiert der französisch-senegalische Choreograf Amala Dianor seine Produktion „Siguifin“, die er zusammen mit seinen westafrikanischen Kolleg*innen Alioune Diagne, Naomi Fall und Ladji Koné und neun Tänzer*innen erarbeitet hat. Eine deutsche Erstaufführung, Premiere war erst im Februar. Der Titel heißt so viel wie „Magisches Monster“, und das Stück ist eine Art Showcase der beteiligten Künstler*innen, die sich aber bei aller tänzerischer Brillanz auch so manchen satirischen Seitenhieb nicht verkneifen können – was der Produktion sehr gut bekommt.

Kostümbildnerin Laurence Chalou hat für die neun Tänzer*innen weiße Kostüme mit farbigen geometrischen Mustern geschaffen, die entweder traditionelle Zeichnungen aufnehmen oder aber vom Bauhaus inspiriert sein könnten. In dieser Ambiguität der Herkunft steht der ganze Abend, wenn die vier Choreograf*innen traditionelle Gruppentanzweisen mit ausuferndem Breaking oder Körperpercussion kombinieren oder auch kurze lustige Einfälle in Körpersprache verarbeiten.

Star des Abends ist die Tänzerin und Sängerin Rama Koné, die immer wieder wie eine Musicaltänzerin in den rhytmischen Gruppennummern zu Gesang anstimmt, um chorische Widerparts anzuregen, die an die Ursprünge des Gospels erinnern. Doch damit nicht genug: Mehrfach versucht ein Tänzer auf Englisch Buzzwords aus der internationalen Zusammenarbeit ans Publikum zu bringen („Democray, peace, reconciliation“), wird aber dann brüsk wieder in den Bewegungsstrudel integriert. Dabei liegt hier natürlich eine Kernfrage, denn was ist dieser globale Austausch eigentlich und in welchen Richtungen funktioniert er? Die Haltung bleibt ambivalent und vielleicht gibt es auch zwischen den Kreator*innen keine eindeutige Antwort außer ihre Kunst und die liefert an diesem Abend mit ihrer Synthese der verschiedensten Ausdrucksformen einen überzeugenden Eindruck.

Aus dem Reich des Zweifels kommt das Solo „Fear & Greed“ des kanadischen Tänzers, Choreografen und Musikers Frédérick Gravel aus Montreal. Er lädt in den Sophiensälen zur kollektiven Therapiestunde mit Musik, denn es geht ihm schlecht. Auf den Tipp des Therapeuten, er solle drei seiner Probleme aufschreiben, um es sich einfacher zu machen, nennt er Kapitalismus, Patriarchat und die Sinnlosigkeit von Kunst. Entsprechend antriebslos schiebt er sich in seiner Fransenjeansjacke über die Bühne, holt eine Gitarre, einen Bierkasten zum Sitzen, ein Mikrofon. Alles äußerst umständlich und maximal entschleunigt, aber sobald es ans Musikmachen geht, ist er voll dabei.

Wie bei Becketts „Das letzte Band“ spielt er sich dann von einem Diktiergerät eine alte Klavieraufnahme ab, um wenigstens etwas Energie zu gewinnen, ins Tanzen zu kommen. Dies geht über in ein Rockkonzert, veranstaltet von der dreiköpfigen Band hinter dem Vorhang, die er erst nach der Hälfte des Stücks aus dem Hut zaubert. Doch sie ist nicht die Rettung, denn nach der Angst kommt die Gier und beides sind eigentlich nur zwei Gesichter der gleichen Medaille. Gravel erschafft hier einen ironischen, bisweilen zynischen Abgesang auf den alten weißen Mann, der er ja selber auch ist. Zwischen Selbst- und Weltekel schwankend, ist es dann doch wieder die Kunst, die den Unterschied macht, und dann, wenn auch nicht die Welt, doch immerhin ihn rettet. Das Publikum lässt er an dieser inszenierten Nabelschau teilhaben, und auch wenn die Musik es am Ende überdecken mag, ein richtig wohliger Abend ist es nicht. Eher ein Stachel im Fleisch, was aber ja auch nicht immer das Schlechteste ist.

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