„Set of Sets“ von Guy Nader und Maria Campos. Tanz: Ensemble.

Der Weg ist ein steter Kreis

Tanztage. „Set of Sets“ des libanesisch-spanischen Choreograf*innenpaars Guy Nader und Maria Campos ist ein faszinierendes Tanzerlebnis

Das Tanzstück von GN | MC scheint die Gesetze von Zeit und Schwerkraft in Frage zu stellen.

Regensburg, 17/11/2022

Erst einem, dann zwei, drei, am Ende schaut man im Theater Regensburg sieben Menschen beim Gehen zu. In einem Kreisbogen laufen sie über die weiße Bühne und beginnen kleinere und größere Kreise zu ziehen. Dieser Fluss an Bewegungen soll, bis auf wenige Momente, ohne Unterbrechung bis zum Ende von „Set of Sets“ des im spanischen Barcelona beheimateten Ensembles GN | MC weiterlaufen. 

Mit dem Tanzstück haben die beiden Choreograf*innen, Tänzer*innen und Namensgebende des Ensembles Guy Nader und Maria Campos eine Choreografie geschaffen, welche die Gesetze von Zeit und Schwerkraft infrage zu stellen scheint. Erstmals gastiert das libanesisch-spanische Künstlerpaar damit bei den Regensburger Tanztagen. Das mehrfach ausgezeichnete GN | MC Ensemble zählt nach Meinung von Kritiker*innen zu den „aufregendsten Tanzprojekten unserer Zeit“. Dem lauten Jubel und stehenden Applaus im Theater am Bismarckplatz nach zu urteilen, haben sich die mehr als 500 Besucher*innen diesem Urteil voll und ganz angeschlossen.

Im kaum durchdringbaren Dämmerlicht und völliger Stille beginnt „Set of Sets“. Nach knapp eineinhalb Stunden sinken zwei Tänzer*innen, die sich mit jeweils zwei weiteren Gruppenmitgliedern um den Hals wie wild im Kreis drehen, wieder zurück ins Dunkel. In der Zeit dazwischen scheinen die normal getaktete Zeit in einem Sog von Permanenz aufgehoben zu sein. Anders lässt sich das durch die Musik und die stetigen, sich wiederholenden Bewegungen hervorgerufene Gefühl kaum beschreiben. Knisternde Geräusche gingen in perlende elektronische Klänge über. Darüber legt der live agierende Schlagwerker Miguel Marin eindringliche Rhythmen, die sich in einem endlosen Spannungsbogen bis zum Crescendo steigern. Gleichzeitig beginnen sich die Kreise der Gehenden zu verengen, berühren sich und rufen Gruppenabläufe, Sprünge, ein tänzerisch-kämpferisches Miteinander hervor, die sich wieder auflösen und später erneut einsetzen. 

Die musikalisch-elektronischen Formen erinnern an die repetitiven Dauerschleifen der Minimal Music mit ihren geringen kaum wahrnehmbaren Veränderungen und verstärken damit den Eindruck der zeitlosen Stetigkeit und Wiederholung. Die rhythmische Präsenz und Komplexität des Schlagzeugers verdichtet den Klangraum zunehmend und ballt ihn in dynamischer Spannung. Währenddessen drehen die Tänzer und Tänzerinnen unaufhörlich weiter ihre Runden. Angetrieben von der Musik, treffen sie immer wieder aufeinander und reagieren wie Zündfunken in einer Kombination aus Breakdance, Akrobatik, zeitgenössischem Tanz und Kampfkunst. Dabei agieren sie scheinbar völlig mühelos an den Grenzen des körperlich Möglichen und setzen sich fliegend, kippend und stürzend über die Schwerkraft hinweg.

Alles geschieht aus einer kreisförmigen, rollenden Bewegung heraus, die den Kreislauf des Lebens, der Uhr oder des Kosmos mit seinem unerbittlichen Fortgang nachzubilden scheint. Eingebettet in diese repetierenden Bewegungen und musikalischen – zeitlichen – Abläufe scheren einzelne Tänzer gelegentlich aus, präsentieren sich in einem kurzen Solo und gliedern sich wieder in den steten Bewegungsfluss ein. Vereinzelt stockt dieser Fluss und das Ensemble verknäult sich in einem komischen Bild abstehender Gliedmaßen und auf dem Kopf stehender Körperteile. Es ist, als sei wie bei Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ ein falsches Werkzeug oder ein fehlerhafter Arbeitsschritt zwischen die Tänzer geraten und hätte für einen Moment alles durcheinandergebracht.

Endlos viele Hebungen und Sprünge über und in die Arme von Mittänzer*innen scheinen bereits jedes Maß an physischem Aufwand zu übersteigen. Welch mentaler und körperlicher Kraftaufwand hinter dieser Präzision steckt, lässt sich an den komplett verschwitzten Bodysuits bei der Schlussverbeugung ablesen. In einem faszinierendem Raum relativierter Zeit war das Ensemble bis zur Verausgabung ständig in Bewegung und forderte die gewohnten Wahrnehmungsmuster von uns Zuschauenden nachhaltig heraus. Umwerfend!

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