"Béton Brut" von Hungry Sharks

Kantige Körperformen

Hungry Sharks mit "Béton Brut" in Salzburg

Performatives Breaking, Livesounds und Baustellenmaterial: Beton und der menschliche Körper

Salzburg, 20/06/2022

Von Miriam Ljubijankic

Am zweiten Wochenende der Sommerszene 2022 lockt die Kompanie der Hungry Sharks in den Bühnenraum der SZENE Salzburg. Die konzeptionelle, dramaturgische und choreographische Leitung des Stücks lag bei Valentin Alfery und Marco Payer. Auf der Bühne waren Elena Bartosch, Timo Bouter, Alexander Tesch und Maëva Abdelhafid zu sehen, die über eine volle Stunde ohne Unterbrechung performten.

Ein gemischtes Publikum in Altersgruppen, Erscheinung und Erfahrung mit performativen Aufführungen sammelte sich neugierig, bevor sich die Türen öffneten. Das Betreten des Publikumsraums ermöglichte dann auch den Blick auf die offene Bühne und eröffnete die ersten Fragen im Kopf: Links steht auf einer kleinen Unterlage ein Betonmischer, ein Eimer und generell scheint es, als wäre alles zum Anmischen des Materials vorhanden. Rechts liegt eine große Plane, die Falten wirft. Die Spots beleuchten diese beiden Orte, die zu Teilelementen der sonst leeren Bühne werden. Die Idee wird untermauert, als die ersten beiden Tänzerinnen die Bühne betreten und sich an die Arbeit machen, um links mit dem Mischen von Beton zu beginnen. Ein dritter Tänzer kommt aus dem Off in den Bühnenraum und entfernt die Plane auf der rechten Seite: Darunter liegt Tänzer Nummer vier und versinnbildlicht den links gerade angemischten Beton. Es beginnt die Arbeit mit dem Material, sowohl dem Beton, als auch dem Körper, der im Laufe der Performance zunehmend versucht, brutalistische Geschichten zu erzählen – als individuelle architektonische, monumentale, materielle Erzählungen und Biografien.

Welche künstlerischen Elemente finden in der Performance zusammen? Das live umgesetzte Sounddesign von Manuel Riegler wirkt mit elektrischen Klängen, aber auch Einsturzgeräuschen, sowie schwere und plötzliche Widerstandsgeräusche auf steinigem, knirschendem Boden, wie sie etwa Schritte verursachen würden, mit den Bewegungen der vier physisch Performenden zusammen. Dabei entsteht der Eindruck, dass der Klang auf die physischen Ereignisse reagiert. Das Bühnenlicht lenkt den Fokus der Publikumsaufmerksamkeit auf die Soli, Duette und Gruppenchoreografien, die über eine Stunde ohne Pause fließend ineinander übergehen.

Apropos fließend: Entsprechend der Inspiration aus brutalistischer Architektur werden als fließende, oder weich zu charakterisierende Formen in den tanzenden Körpern vermieden. Einzig in den Bewegungen der Hände, die Elemente einer Gebärdensprache und Finger-Tattings erkennen lassen, werden weiche Züge sichtbar, die mimisch wirken und den Eindruck erwecken, die Funktion einer Textebene einzunehmen. Aus dem Kontrast von „brutalistisch“ kantigen Körperformen, die sich aus den individuellen Einzelkörpern, als auch in Zusammenwirkung der Gruppe oder im Duett ergeben und den sanfteren Formen, die aus den Bewegungen der Hände und Finger hervorgehen, ergibt sich eine scheinbar irrationale, ungreifbare Emotionalität.

Im anschließenden Artist Talk wird der Affekt entschlüsselt: Während sich Körper in Form und auch Richtung der Bewegung am Stil des Brutalismus orientieren, versuchen die Hände und Finger den dargestellten Elementen eine Stimme zu geben und individuelle, man möchte fast sagen, persönliche Geschichten zu erzählen.

Es wird aber nicht nur mit abstrahierter Stimme gesprochen, sondern auch an markanten Punkten die Erzählstimme von Dušana Baltić eingespielt. Aus einer Ich-Perspektive stellt sie sich immer wieder als etwas anderes vor – als Bewegungsmuster, Bewegungsmaterial, Gebäude und Baumaterial. Die Stimme wirkt im Laufe des Stücks mit den Soli der Performenden zusammen, die sich auch in ihren physischen Paradigmen stark voneinander unterscheiden: tief angelegte physische Schwerpunkte, die sich aus weit gespreizten, stark gebeugten Beinen entlang der Breitenachse des Körpers ergeben, plötzliche Energiewechsel in den Bewegungen, Schuhe aus dem zu Beginn angemischten Beton, ein Tanz mit der Betonmischmaschine, die zur Tanzpartnerin und zugleich zum luftakrobatischen Medium wird.

Die Nähe urbaner Tanzformen, wie dem Breaking, die in ihrem Ursprung auf der Straße, also asphaltierten oder betonierten Untergründen praktiziert wurden und werden, geht weit über die ursprüngliche Bausubstanz von Beton hinaus, wie in den Prozessen und den körperlichen Manifestationen dieses Stücks sichtbar wird. Noch mehr Klarheit hat dahingehend jedoch der Artist Talk vermittelt und weitere Ebenen entschlüsselt, die dem Publikum während der Performance verborgen blieben. Am Ende der Aufführung fanden sich die Akteur*innen des Abends nach einer Stunde kontinuierlicher Tanz-, Licht- und Soundperformance einem applaudierenden, jubelnden Publikum und Standing Ovations gegenüber wieder und die Neugier auf die Vision eines weiterführenden „brutalistischen Körpertheaters“ ist geweckt.

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