„Das Stück mit dem Schiff“

„Das Stück mit dem Schiff“

Auf Sand gelaufen?

Kommentar einer Studierenden aus einer anderen Generation

Fast 30 Jahre nach der Uraufführung ist Pina Bauschs „Das Stück mit dem Schiff“ noch brandaktuell. Gleichzeitig wirft die Neuinszenierung Fragen auf, wie es am Tanztheater Wuppertal Pina Bausch weitergehen soll.

Wuppertal, 09/02/2022

von Pauline Michel

Aufgelaufen aufs Trockene steht das Schiff des Stückes auf der Bühne – wie in der Uraufführung von 1993. Mit dem Schiff stranden die Tänzer*innen, festgehalten in einer Sandlandschaft und tanzen (zumindest die weiten Teile der ersten Stückhälfte) vor allem allein. Die Situation des festgesetzten Schiffes wirkt nicht nur ausweglos, sondern auch voll von Einsamkeit. Die vielen Soli erscheinen als Collage, oft melancholisch und immer größer wird der Wunsch beim Zuschauen, Beziehungen untereinander sehen zu können und nach Einsamkeit überkommenden Interaktionen. Ein Tänzer breitet seine Decke im Sand aus, legt sich und sein Kopfkissen hin und rollt sich anschließend in der Decke ein, um dann wieder aufzustehen. Eine Tänzerin (Ophelia Young) erzählt von den Gute-Nacht-Küssen ihres Vaters und während sie beispielhaft die Platte eines Tisches küsst, beschleicht einen selbst die Angst, dass es sich auch um Missbrauch hätte handeln können. In einem anderen Moment tritt eine andere Tänzerin (Nayoung Kim) nur im Rock und hohen Schuhen auf und beginnt, die Sanddüne zu wischen. Ist es ein aussichtsloser Versuch, die desolate Situation durch Putzen in Ordnung zu bringen? Und eine Karikatur von weiblicher Care-Arbeit? Dazwischen folgen immer wieder Soli von Tänzerinnen, geleitet durch wunderschöne Armbewegungen, die anmutig und gleichzeitig sehr traurig wirken. Daneben gibt es fortwährende Wiederholungen und Tänzer*innen, die sich verzweifelt oder apathisch, aber sehr gekonnt auf die Arme springen. Es ist unverkennbar ein Stück von Pina Bausch.

Auch wenn sich im zweiten Teil die Dynamik ändert – das Stück nimmt Geschwindigkeit auf und Szenen wirken beinahe freudvoll – und zu Ende, als alle das Schiff besteigen, fast so als würden sie auf einem Ausflugsdampfer an Deck stehen, bleibt ein Eindruck von Vereinzelung und hoffnungslosem Realismus hängen.

Bei all den Debatten darum, wie mit dem Erbe von Pina Bausch umzugehen ist und wie das Tanztheater Wuppertal weiterarbeiten wird, drängt sich sehr schnell die Frage auf, was es heute bedeutet, „Das Stück mit dem Schiff“ zu zeigen.

Das Bild eines Schiffes ohne Wasser und aufgelaufen auf Sand, bekam Pina Bausch vom Aralsee. Ein einst beeindruckendes Binnenmeer und eine der größten menschengemachten Umweltkatastrophen des letzten Jahrhunderts: der Aralsee trocknete aus und versalzte, da man das Wasser seiner Zuflüsse zur Bewässerung von Baumwollplantagen nutzte.

Der Gedanke an die Klimakatastrophe prägte damals vielleicht vorrangig nur das Bühnenbild, lässt sich aber heute doch in vielen Situationen des Stückes sehen und allen voran in der Ausgangsposition: darin, etwas in den Sand gesetzt zu haben, in einer verkehrten Lage festzustecken, keinen einfachen Ausweg mehr zu sehen und zurückgeworfen zu sein auf sich selbst. Und in dem hoffnungslosen Realismus, der es begleitet. Gleichzeitig fragt man sich aber, inwiefern die dargestellten, heteronormen und klischeebehafteten Geschlechterbilder und auch die Tänzerinnensoli mit den anmutigen Armen dazugehören, oder ob sie in der Vergangenheit stecken geblieben sind.

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