„from here until“ von Ramon John

„from here until“ von Ramon Jo

Kachelwelt

Choreografien von Tänzer*innen des Hessischen Staatsballetts

Mit „Startbahn“ zeigt das Ensemble vielfältige Einblicke in die großen und kleinen Dinge des Lebens. Erneut arbeitete die Kompanie mit De-Da-Productions zusammen.

Darmstadt, 03/05/2021

Unter dem Titel „Startbahn“ gibt das Hessische Staatsballett den Tänzer*innen des Ensembles die Möglichkeit eigene Kurzchoreografien zu zeigen. Im zweiten Corona-Jahr sind es zehn Produktionen von elf Choreograf*innen, wobei die zehnte bei der Premiere aus urheberrechtlichen Gründen nicht dabei war (Ah, vita bella!). Ort ist die Große Bühne des Staatstheaters Darmstadt, auf der die Beteiligten sich mit einer überdimensionalen Bühneninstallation aus 21 Kammern konfrontiert sehen. Die meisten gehen damit um, tanzen in den Kammern, die auch mal als Cages (Käfige) bezeichnet werden, aus denen sie auszubrechen versuchen.

Der Bühnenaufbau stammt aus einer anderen Produktion (Atem/Soufle, Sept. 2020), wirkt aber auf dem Bildschirm wie die allgegenwärtigen Kachelbilder der aktuellen Zoom-meetings. Bei der Streaming-Premiere am Freitag erhielten Besucher*innen die Möglichkeit, sich nach eigenem Gusto durch die Kachelbilder zu klicken. Man könnte es auch mit einem digitalen Adventskalender bezeichnen: hinter jedem Türchen eine Überraschung. Denn vielfältig war es in Kostümen und Musiken, vor allem atmosphärisch.

Erneut haben die Darmstädter mit De-Da-Productions zusammengearbeitet, die sich beim Filmen den Choreografien unterschiedlich annäherten. Einige Filme sind fast traditionell, zeigen die ruhige Totale vom Zuschauerraum aus, abwechselnd mit diagonalen Nahansichten. Bei anderen gibt es schnelle Schnitte, Durchblicke vom Bühnenhinterraum auf die Tänzer*innen, bei denen leere Sesselreihen im Zuschauerraum erkennbar sind. Einmal folgt die Kamera der im Liedtext und im Tanz ausgedrückten Suche nach Nähe, kriecht quasi mit in den Zimmerkäfig.

Es sind bekannte Themen der Bühne, die durch den Corona-Lockdown eine neue Brisanz erhalten haben: Nähe und Distanz, Traum und Wirklichkeit und der „Wunsch, sich durch Tanz die Welt wieder anzueignen“. Ludmila Komkova (Muse) spürt im weißen Spitzenkleid dem Moment der Inspiration nach, Aurélie Patriarca bewegt sich zwischen Traum und Wirklichkeit, symbolkräftig unterstützt durch Luftballone.

Das Bühnenbild wird zweimal wie ein Hochhaus genutzt, bei dem man Einblick in zwei Zimmer auf verschiedenen Etagen erhält. Francesc Nello Deakin und Matthias Vaucher hängen Wäsche auf, lesen etwas, versuchen sich frei zu bewegen (Shade of a Day). Sie tun dies einzeln, versetzt oder auch parallel. Erzählt diese Version eher vom Gefühl des Eingesperrtseins, so halten die beiden Tänzerinnen (Manon Andral, Greta Dato) in „Minha Prece“ von Marcos Novais den Kontakt mittels einer Gegensprechanlage aufrecht und beim gemeinsamen Hören von schwungvoller portugiesischer Musik tanzen sie kräftig ab.

Manon Andral geht mit ihrer Choreografie „Common Ground“ hinaus in die Natur, lässt die Schönheit nackter Körper in Ausschnitten neben Baumrinde erscheinen. Der Tanz von Nicolas R. Frau und Jiyoung Lee auf der Bühne wird dann filmisch gemixt mit den Naturaufnahmen. Die kunstvolle Mischung aus Tanz und Videokunst gleicht dem Traum von der Naturverbundenheit und Hierarchielosigkeit der Menschen.

Nach Nähe sehnen sich die beiden Tänzer in „from here until“, das Ramon John kreiert hat und mit Masayoshi Katori tanzt. Mit Regenschirm nähert er sich der Wohnung des anderen, auf engem Raum tanzen sie eine Mischung zwischen Robot-Dance und Ballett, was immer wieder auch witzig wirkt. Genau das gegenteilige Gefühl vermittelt „Cliff Edges“ von Daniel Myers. Es ist eine schier unendliche Folge des Fallens. Hinfallen und Wiederaufstehen, von brutal laut bis zum elegant tänzerischen Ablegen. Auf die Frage ‚Wie machen wir weiter?‛ gibt das Stück nicht wirklich eine Antwort, es wirkt wie mechanische Wiederholungen und stimmt eher traurig.

Masayoshi Katori kreierte mit „Harry Truman“ ein Stück für Zwei, die durch die kleinen Dinge des Alltags zusammengeschmiedet sind. Ein fulminantes Solo tanzt Nicolas R. Frau zum Chanson-Klassiker „Eh maintenant“ von Gilbert Bécaud. Warum er sein Stück „La mauvaise interprétation“ nennt, erschließt sich nicht. Es ist eine wunderbare Interpretation, die die schnellen Filmschnitte nicht benötigt, um Wirkung zu entfalten. 


Weitere Termine werden zeitnah bekannt gegeben auf www.staatstheater-darmstadt.de

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