Auf der Suche nach der zyklischen Zeit
Umjubelte Uraufführung von James Sutherlands „Zyklus“ in Kaiserslautern
"Human, 8 words" am Pfalztheater Kaiserslautern
Hände waschen, Maske tragen, Abstand halten – alles dreht sich um Corona, einen Winzling von Virus, der die Welt erobert hat, obwohl die Menschheit gerne darauf verzichtet hätte, unter anderem, weil er und seine Mutanten unberechenbar sind. Apropos „Mutanten“, mit der Pandemie ist auch ein völlig neuer Wortschatz entstanden: Hätten früher bei „Maskenpflicht" viele noch an die Kleidungsordnung für eine Karnevalsparty gedacht, ist es inzwischen fast ein ganz normales Wort. Genauso wie das „Abstandsgebot", der „Immunitätsnachweis", der „Lockdown", der „Inzidenzwert“ oder das "Super Spreading Event". Die Pandemie macht Angst, raubt uns den Atem, legt die Kultur lahm: „Fear“, „Angst“ ist auch das erste der acht Wörter, die im neuen Stück des Tanzabends „Human, 8 words“ von James Sutherland (Idee, Konzept, Inszenierung und Choreografie) und Huy Tien Tran (Inszenierung und Choreografie 2. Akt) den assoziativen Hintergrund bilden.
„Am Anfang stand der Wunsch als Ensemble in Kontakt zu bleiben und gemeinsam kreativ zu bleiben“, sagt Tanzdirektor James Sutherland, der das pandemische Begriffsfeld abgesteckt hat: Fear, Panic, Reflection, Isolation, Boredom, Acceptance, (Loss of) Balance), New Consciousness, und ihre Übersetzung Angst, Überdruss, Betrachtung, Verständnis, (Un-)Gleichgewicht etc. hat er den Tänzerinnen und Tänzern zur Auseinandersetzung aufgetragen. Trotz Abstandsregeln gemeinsam kreativ bleiben – so zieht sich jedes der elf Ensemblemitglieder ins Private zurück. Manche im Freien, andere Zuhause, versenken sie sich, sacken zwischen den Möbeln zusammen, hangeln sich hoch, schleudern den Frust von sich, tauchen tiefer ein in Emotionen, bis sich ein körperlicher Kern von Bewegung herausschält.
Die Bühne ist in unsichtbare Felder geteilt. Meist sind nur ein, zwei, selten drei Akteure auf der Bühne in „ihrem Revier“. Verstärkt durch raffiniertes Lichtdesign suggeriert eine Soundcollage (Francis Dhomont, John Debney, Davidson Jaconello Loscil, Pan Sonic) klaustrophobische Zustände. Sutherland verwebt im 1. Akt das eingebrachte Bewegungsmaterial aus Assoziationen existenziellen Geworfenseins mit Licht und Sound, tariert aus, kombiniert und verfeinert die Strukturen.
Aus alltäglichen Situationen, beispielsweise der Langeweile, ergeben sich (mit Sofa oder Stuhl) spannende Mensch-Ding-Dialoge - streckenweise fühlt sich der Betrachtende an Choreografien der 1970er Jahre wie Susanne Linkes „Im Bade wannen“ oder Reinhild Hoffmanns „Solo mit Sofa“ erinnert. Raumgreifende Bewegungen in der Fläche sind tabu, stattdessen spielt die Vertikale, das Bottom up und Top down, eine dominante Rolle. Im Dunkeln wischt – mehr zu ahnen als zu sehen – nach jeder Szene ein Putztrupp den Tanzboden.
Umwerfend, was selbstbestimmte Tänzerinnen (Daniela Castro Hechavarria, Anna Gorokhova, Camilla Marcati, Saskya Pauzé-Bégin, Emelie Anna Söderström, Carlotta Squeri) und Tänzer (Davide Benigni, Yan Jun Chin, Salvatore Nicolosi, Goh Shibata, Hong Hoang Anh Ta) mit Vollgas und bei angezogener Handbremse aus sich rausholen. Auch im 2. Akt werden Zwischenräume ständig neu konfiguriert. Allerdings weniger abstrakt und metaphorisch als im 1. Akt, hat Huy Tien Tran eine Mittellinie gezogen, an der sich die Akteure zu Musik von Bach (Eingangschor der Johannes Passion, zwei Sätze des Brandenburgischen Konzerts und Philip Glass‘ Klavier Etüde Nr. 5) abarbeiten. Hin und wieder versuchen die Akteure sprachlich die Distanzen zu überbrücken, was allerdings zu nicht nachvollziehbaren Brüchen führt.
„Ich hatte das Gefühl, wir – und das Publikum – brauchen noch eine weitere künstlerische Komponente“ erklärt Huy Tien Tran. Bevor der eigentliche Tanz beginnt bekommt jeweils ein Musiker ein Solo, auf leerer Bühne nah am Publikum – übrigens sind 100 Besucher*innen erlaubt, wo sonst über 600 Platz fanden. Den 1. Akt eröffnet die Viola da Gamba (Matthias Bergmann) mit dem „Präludium“ aus der Es-dur Suite Nr.4, (BWV 1010) die Szene, den 2. Akt die Violine (Ivan Knezevic) mit der berühmten Chaconne aus der Partita Nr.2 d-Moll (BWV 1004). Beides spröde erscheinende Werke, in denen Bach spieltechnisch einen Musterkatalog an Phrasierungs- und Grifftechniken entrollt, doch von virtuoser Tiefgründigkeit! Wie auch der gesamte Abend!
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