„Vanitas“ von Antoine Jully. Tanz: Ensemble

„Vanitas“ von Antoine Jully. Tanz: Ensemble

Memento Mori

„Vanitas“ von Antoine Jully am Oldenburgischen Staatstheater

Eine großartige tänzerische Leistung des Ensembles, das sich mit vitaler Energie durch den gesamten Abend bewegt. Doch hätte man dem Choreografen Mut gewünscht, den stillen Momenten der Musik mehr Raum zu geben.

Oldenburg, 28/01/2020

Vanitas, alles irdische Leben ist eitel und umsonst. So sehr sich der Mensch auch anstrengt in seinem Leben, der Tod wird ihn letztendlich erwarten. Dieses Memento Mori der jüdisch-christlichen Glaubenstradition, eine Mahnung an die Vergänglichkeit allen Seins ist das Thema der gleichnamigen Komposition des zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino und der Choreografie von Antoine Jully.

Die Komposition von Sciarrino für eine Stimme, Cello und Klavier verfolgt in den fünf Sätzen: „Rose / Rosenflut / Echo / Der zerbrochene Spiegel / Letzte Rosen“ eine systematische Zersplitterung der ursprünglich zu Grunde liegenden Melodien, in dem sie die „Maschen der Zeit“ bis ins Unendliche ausdehnt. Gleichzeitig findet eine Reduktion, Konzentration auf das Wesentliche des Klanges statt: Musik, die auftaucht aus der Stille, in den Klang hinein sich entwickelt und wieder zurück geht in die Stille. Die so entstehenden manchmal ewig anmutenden Kantilenen werden von der Gastsolistin Rebecca Jo Loeb eindrucksvoll vorgetragen und zusammen mit ihren beiden Musikpartnern Piotr Fidelus am Klavier und André Saad am Cello in aller Dichte musiziert.

Keine leichte Kost für die Theaterbesucher*innen, die auch dieser Premiere des Chefchoreografen am Oldenburgischen Staatstheater mit Interesse entgegensehen. Zu Anfang in Anlehnung an die Vanitas-Stillleben der Barockzeit ein stilles Bild: alle Tänzer*innen sitzen in einer Reihe auf kleinen schwarzen Würfeln und erwarten den ersten Klang. Was dann folgt, ist eine elaborierte, dynamische und sehr temporeiche Übersetzung des Themas in Bewegung, die schnell fasziniert und die schwierige Musik in viele interessante Körperbilder übersetzt. Aus der anfänglich zusammenhängenden Gruppe, die sich in reizvollen Kettenreaktionen in Bewegung setzt, kristallisieren sich mehr und mehr Individuen mit ihren ganz eigenen Themen heraus: in schneller Folge wechseln sich Soli und Duette ab, gefolgt von kleinen Gruppenformationen. Flüchtige Einblicke in das Seelenleben der Einzelnen. Hier ein äußerst elegant springender Tänzer, der nur so vor Lebenskraft strotzt, da ein Paar, das sich in panikartiger Manier aneinander klammert, um etwas festzuhalten. Die Liebe? Das Leben?

Zwischendurch ein skurriler Auftritt des gesamten Männerensembles, die in Spitzenschuhen laut klappernd über die Bühne jagen, ein groteskes Bild für das manchmal unnütze Streben und Handeln des Menschen. Die Rose, ein zentrales Vanitas-Motiv, das für Liebe und Sexualität steht, taucht als Motiv auf den Trikots der Tänzer*innen auf: eine welkende Blüten - und Blätterbatik ist mit dem Kostüm gleichsam in die Körper eingebrannt. Die Lust, in der Choreografie immer wieder angedeutet durch impulshafte Beckenbewegungen, kann sich aber nie wirklich Bahn brechen und zur Erfüllung kommen, denn: alle Lust ist eitel...

In einem langen Duett kämpft ein Paar (stark hier: Teele Ude und Herick Moreira) miteinander, oder auch mit dem Schicksal. Sie tanzen gegen die Unausweichlichkeit des Lebensgesetzes an, dies in einer stilistischen Verbindung von Ballett und zeitgenössischem Tanz, deren Kombination in ihrem Nebeneinander nicht immer gelungen wirkt.

Insgesamt ist es aber eine großartige tänzerische Leistung des Ensembles, das sich mit vitaler Energie durch den gesamten Abend bewegt. Ihr Tanz hat etwas rastloses, atemloses, als ob sie durch die permanente Aktivität dem Leben und seinem sicher nahenden Ende davon laufen könnten. Sie verstricken sich im übertragenen Sinne in dem hoch über ihren Köpfen aufgespannten Netz der Verflechtungen, das je nach Stimmung düster oder durchscheinend wirkt (eindrucksvoll wieder die Bühnenraumgestaltung von Georgios Kollos) und finden keinen Mut, innezuhalten. Diesen Mut, den stillen Momenten der Musik mehr Raum zu geben, hätte man dem Choreografen gewünscht.

Ein magischer Moment am Ende: ein nicht enden wollender letzter Ton Richtung Ewigkeit, die Bewegungen der Tänzer*innen werden weicher, aber die Zuckungen des Individuums hören nicht auf - ein beabsichtigter Effekt? Mehr Leere, mehr Stille wagen und der meditativen Kraft der Musik Sciarrinos vertrauen, das wäre schön gewesen. Stattdessen kommt über Band noch ein französisches Chanson: „Avec le temps“, das allerdings atmosphärisch eine gewisse Erleichterung und Rückführung ins Heute mit sich bringt. Alle Tänzer*innen kommen zurück auf die Bühne und begeben sich nach und nach wieder auf ihre Sitzwürfel. Zurück zum Anfang, der Kreislauf von Werden und Vergehen rundet sich. Doch dann kommt nach dem wohlverdienten Applaus noch eine Zugabe: eine Tänzerin ist aus dem Kreislauf ausgestiegen und zelebriert fröhlich ihr eigenes, kleines Leben zu dem Song „My second hand life“. Ein fast musicalartiger, doch gar nicht nötiger Nachschlag, der sich zwar auf eine Notiz in Sciarrinos Partitur zurückführen lässt, die Stringenz des Abends aber im allerletzten Moment konterkariert.

Eine ansonsten elegante, hochkarätige Choreografie, in der Antoine Jully einmal mehr die tänzerischen Qualitäten des gesamten Ensembles klug in Szene setzt.
 

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