„Transparência“ von Wallace Jones und Kolja Schallenberg. Tanz: Brix Schaumburg, Beck Heiberg, Aline de Oliveira

„Transparência“ von Wallace Jones und Kolja Schallenberg. Tanz: Brix Schaumburg, Beck Heiberg, Aline de Oliveira

Aus dem Tabu befreit

Die Transgenderperformance „Transparência“ im T.NT in Lüneburg

Transgendertänzer*innen leben in der Tanzszene weitgehend inkognito. Dieses Stück gibt ihnen ihre Würde zurück und thematisiert das Tabu.

Lüneburg, 19/06/2019

Die Idee, ein Stück über das Problem ‚Transgender und Tanz’ zu machen, entstand bei einer nächtlichen Diskussion am Küchentisch: Der Lüneburger Tänzer Wallace Jones hatte Besuch von dem Regisseur Kolja Schallenberg, später kam noch Jones’ Kollegin Aline de Oliveira dazu. Wie er stammt sie aus Brasilien, bis vor fünf Jahren war sie ebenfalls in der Tanzszene zuhause und in vielen Engagements erfolgreich. Bis sie sich 2014 für eine Geschlechtsumwandlung entschied – sie wollte endlich ihre wahre Identität nicht mehr verheimlichen. Wie leidvoll die Konsequenzen sein würden, ahnte sie damals nicht: Choreografen und Ballettdirektoren, die sie als Tänzer kennen- und schätzen gelernt hatten, waren an ihr als Tänzerin nicht mehr interessiert. Sie verlor ihren Job und erhielt auch später keine Anstellung als Tänzerin mehr. Wo sie sich auch vorstellte, ging sofort die Schranke herunter: Transgender – das passt nicht ins Konzept. Als Aline ihre Lebensgeschichte und ihren Leidensweg erzählte, war rasch erkennbar: Das ist ein großes Thema. Und alle drei waren sich einig: Daraus machen wir ein Stück!

Es dauerte dann aber doch noch drei weitere Jahre, bis „Transparência“ am 14. Juni 2019 uraufgeführt werden konnte – wiederum in Lüneburg. „Wir haben unzählige Häuser kontaktiert, aber überall Absagen oder gar nicht erst eine Antwort bekommen“, erzählt Kolja Schallenberg. „2018 stellten wir unser Konzept dem Intendanten des Theaters Lüneburg, Hajo Fouquet, und dessen Ballettdirektor Olaf Schmidt vor, und beide sagten schon nach fünf Minuten: Das machen wir!“ Vereinbart wurde eine Aufführung im Rahmen eines mehrtägigen Gastspiels. Das Theater stellte die Studiobühne T.NT zur Verfügung und unterstützte bei Technik, Sound, Kostümen und Bühnenbild. Für ihre Gagen mussten die Künstler*innen selbst Gelder einwerben. Wallace Jones sollte eine Choreografie erarbeiten, Kolja Schallenberg Regie führen.

Von vornherein stand fest: Als Tänzer*innen kommen nur die Betroffenen selbst in Frage. Ein Casting zeigte, dass es erstaunlich viele Transgendertänzer*innen gibt – es weiß nur kaum jemand etwas davon. Weil erhoffte Sponsorengelder ausblieben, musste das ursprünglich größer gedachte Ensemble auf vier Tänzer*innen reduziert werden: Aline de Oliveira aus Hamburg, die unter anderem an der Staatsoper Hamburg und an der Königlichen Oper in London engagiert war; Beck Heiberg aus Dänemark, der in Kopenhagen und New York ausgebildet wurde und weltweit auf verschiedenen Bühnen gestanden hat; Josefine Sagawe, Elevin am Theater Lüneburg und Stipendiatin der John Neumeier Ballett Akademie Hamburg; Brix Schaumburg, ausgebildet an der Hamburger Stage School und der KSA Academy of Performing Arts, London, er spielte u.a. mit bei der „Don Giovanni“-Produktion am Thalia Theater Hamburg, bei der Deutschland-Tour „Die drei ???“ und in London beim Musical „Just so“, und er ist der Einzige in Deutschland, der sich bisher offen zu seiner Transgenderidentität bekannt hat. Alle vier bilden zusammen mit der künstlerischen Leitung das Transparence Theatre.

Man muss diese Vorgeschichte kennen, um die Bedeutung von „Transparência“ richtig einschätzen zu können. Es ist das erste Mal, dass sich vier Tänzer*innen offen auf der Bühne zu diesem Thema bekennen, das ihr Leben auf vielfältige Weise geprägt hat. Das Stück erzählt, wie es Transgendermenschen geht, wenn sie sich zu ihrer Identität bekennen. Die Unsicherheit in der Kindheit. Die Reaktionen der Eltern, wenn ein Junge Mädchenkleider tragen und mit Puppen spielen will. Die quälende Frage: Wer bin ich? Das Hin- und Hergerissensein. Nicht zu wissen, wohin man gehört und wer man ist. Vor allem in der ersten Hälfte finden die Tänzer*innen dafür eine teilweise verstörend eindringliche Bewegungssprache – sie zucken und zittern, verrenken sich und quälen sich über den Boden. Das ist choreografisch noch nicht alles ausgereift, und doch ist die Verzweiflung mit Händen zu greifen, die Orientierungslosigkeit, die Verwirrung, die Heimatlosigkeit. Und dann die verschiedenen Versuche, einen Weg zu finden durch dieses Gestrüpp der Gefühle, der Reaktionen und Zwänge der Umwelt. Tief berührend der Moment, wenn Brix sein Lied singt, das die Frau beschreibt, die keine sein will und kann. Und nicht minder bewegend der Schluss, wenn es heißt: „Ich weiß, wer ich bin. Ich mag mich. Ich weiß, was ich will. Ich habe mich gefunden.“

Es ist ein Abend, der nicht nur aus Tanz besteht, sondern auch aus Performance, gesprochenem Text und Gesang und auch in dieser Hinsicht im positiven Sinne grenzüberschreitend wirkt. Bleibt dem Ensemble zu wünschen, dass sich auch andere Bühnen dem Vorhaben öffnen und das Tabu des Verleugnens aufheben.

 

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