„Prince“ von Martin Harriague. Tanz: Robert Bruist, Carl van Godtsenhoven, Yan Leiva, Lou Thabart, Samantha Vottari

„Prince“ von Martin Harriague. Tanz: Robert Bruist, Carl van Godtsenhoven, Yan Leiva, Lou Thabart, Samantha Vottari

Ein Prinz, ein Gott und Donald Trump

Der dreiteilige Tanzabend „If you were God“ in Leipzig

Der dreiteilige Abend von Martin Harriague mit dem Leipziger Ballett in einer Kooperation mit dem Schauspiel der Stadt zeigt die Choreografien „Prince“, „America“ und „If you were God“.

Leipzig, 24/03/2019

Eigentlich steht Leipzig an diesem Wochenende ganz im Zeichen der Literatur, der Bücher. Es ist Buchmesse. Im Leipziger Schauspielhaus aber wird getanzt. Und die Tanzfans sind da, fast volles Haus. Wie eigentlich immer, wenn das Leipziger Ballett mit seinem künstlerischen Direktor und Chefchoreografen Mario Schröder zu Premieren und Aufführungen einlädt. Meistens im Opernhaus, aber nicht immer, so wie jetzt zur Leipziger Erstaufführung des dreiteiligen Tanzabends „If you were God“ von Martin Harriague, der in dieser Kooperation des Balletts mit dem Schauspiel Leipzig erstmals hier arbeitet. So viel vorweg: Es sollte hoffentlich nicht das letzte Mal gewesen sein.

Der Abend beginnt mit „Prince“ zu Musik von Peter Tschaikowski. Darauf folgt die titelgebende Kreation „If you were God“. Zum Abschluss dann eine Uraufführung, kreiert mit 24 Tänzerinnen und Tänzern des Leipziger Balletts. Eine Zeitansage, „America“, da tanzt der Trump und der Saal tobt.

Tschaikowski liebte die Prinzen. Der 1986 in Bayonne, in Frankreich geborene Choreograf Martin Harriague liebt Tschaikowski. Wenn er zu seiner Musik tanzen lässt, dann treibt er es schon mal auf die Spitze, ohne dass auf der Spitze getanzt wird. In seinem Ausschnitt aus der Choreografie „Prince“, mit der er 2016 gleich in mehreren Kategorien beim Internationalen Choreografiewettbewerb in Biarritz gewann, verbindet er Bewegungsmaterial klassischer Traditionen mit dem zeitgenössischen Tanz.

Und wie man dann auch in den anderen Kreationen sehen wird, ohne Augenzwinkern, ohne Humor, ohne eine gewisse Ironie, auch mal sehr bitter und gallig, wie im abschließenden „America“ geht bei Martin Harriague gar nichts. So klingt die Tschaikowskimusik aus verschiedenen Werken als käme sie aus dem Lautsprecher eines alten Plattenspielers und da kann eine Platte auch mal einen Sprung haben. Und schon beginnt die Prinzenverwirrung der drei Tänzer und der drei Tänzerinnen. Einer schläft. Unter seinem Kopf, man wird es gleich sehen, das Kleid einer Prinzessin Er probiert es an, Kleider müssen nicht unbedingt eine Verkleidung sein. Der Prinz trägt eine Hose unterm Rock, das tun ja Prinzessinnen auch, und mehr noch, als skurrile Prinzenpuppenfigur mit ausgestopftem Body hat der witzboldige Tänzer Lou Thabart oben Brüste und unten das schlenkernde Merkmal des anderen Geschlechts. Wird abgerissen. Braucht er nicht. Es stimmt nicht alles, was man am Menschen sieht, man müsste schon hineinsehen. Der Tanz mache das möglich.

Und so springen und stürzen die Tänzerinnen und Tänzer durch ihre Prinzenrollen, mal alle zusammen, dann wieder einzeln oder zu zweit, auch in einem schon beinahe klassisch anmutenden Pas de trois für zwei Tänzer und eine Tänzerin und am Ende finden sie das alles so richtig zum Kreischen. Das Publikum auch.

Es geht weiter. „If you were God“ fragt der Tänzer Bjarte Emil Wedervang Bruland ins Publikum, was würdest du als erstes erschaffen? Saubere Luft sagt eine Zuschauerin, die gleiche Rente für alle, sagt ein Zuschauer. Alles nicht göttlich genug für den Tänzer. Erst die Ansage, dass er Kekse schaffen würde, einen Bäcker und Kekse eben, die überzeugt. Also ist der liebe Gott das legendäre Krümelmonster? Nein, ist er nicht, es ist der Schauspieler Yves Hinrichs. Er spielt jetzt mal Gott, ob er göttlich spielt, na ja, zumeist liest er ab, aus einem leuchtenden Buch, auf das ihn der Tänzer verweist. Mitunter könnte auch er der eigentliche Gott sein, denn Tanz ist ja immer Schöpfung, in jedem Augenblick, Werden und Vergehen. Und um die Schöpfung geht es auch in dem Text des amerikanischen Beat-Lyrikers Derrick C. Brown, die sich zwar an die biblische Vorgabe der sieben Tage hält aber leider auch so wirkt, als wäre sie mindestens sieben mal länger als der hebräische Text des Originals. Eigentlich geht es um die Schöpfung der Zweisamkeit des Menschen. Und ganz zeitgemäß wird jetzt zuerst mal die Frau erschaffen.

Es geht um Gemeinschaft, die nicht ohne Einsamkeit zu haben ist, um Licht, dessen Wert erst erkennbar ist, wenn die Dunkelheit ertragen wurde, um Schmerzen, die nicht immer nur weh tun. Es geht um Kraft und Chaos, um Dynamit und Eintopf. Ist der Himmel eine Dekoration oder tragen wir die Lichter in uns und können auf den Diskokugelquatsch verzichten. Reicht nicht ein Licht allein aus um eine Bühne zu erhellen, für das getanzte Welttheater auf den Brettern, die ja eben die Welt bedeuten, die hier aus Inseln besteht. Nicht immer die des Glücks. Aber über den Inseln, da ist der Himmel, der ist nicht unerreichbar, wenn wir ihn im anderen zu entdecken vermögen. Und den oder die andere gilt es zu lieben, auch wenn sie oder er sich auf Schlittschuhen bewegt, bis alle Holzböden dieser Welt Zahnstocher sind. Denn diese, wer will das leugnen, können schon mal lebenswichtig sein, vor peinlichem Mundgeruch schützen.

Es ist gut, dass in der Choreografie von Martin Harriague nichts vordergründig bebildert wird, als achte er das biblische Bilderverbot, denn eine gewisse, Gott sei Dank, angenehm unaufdringliche Spiritualität, die auch der Beat-Poesie eigen ist, lässt sich nachempfinden. Die Kraft der Poesie aber geht letztlich in dieser performativen Choreografie vom Tanz aus, von der wunderbaren Urania Lobo Garcia und ihrem grandiosen Partner Bjarte Emil Wedervang Bruland. Hier blitzen sie auf, diese göttlichen Momente der vergänglichen Schöpfung, die dem Tanz eigen sind. In den solistischen Passagen, im Tanz zu zweit, in der einsamen Entfernung und der einander aufhelfenden Nähe, setzt sich die Kraft der Poesie durch. Sie bedarf keiner Worte. Fast möchte man meinen, angesichts einer solchen Intensität der Unaufdringlichkeit des Tanzes, bedarf es auch keiner Musik, jedenfalls nicht solcher, wie die hier zugespielten, unverbindlichen Passagen von Nils Frahm oder Richard Swift.

Und dann kracht es. In wahrscheinlich knapper Zeit hat Martin Harriague mit zwölf Tänzerinnen und zwölf Tänzern der Leipziger Kompanie seine Kreation „America“ regelrecht herausgeschleudert. Das spürt man. Als müsse er nach Luft schnappen, als schnüre es ihm den Hals zu, so aufgeladen lässt er die Tänzerinnen und Tänzer zum dröhnenden Song „America“ der Band The Shoes voller Energie einer Show so kraftvoll tanzen, als wären es nicht nur 24 sondern mindestens dreimal so viele. Nein das ist weder eine Verherrlichung des Amerikanischen Traumes noch die unterhaltsame Revue vom Broadway, das ist zum Finale dieses Abends apoklayptischer Widerstand. Die Show und ihre willigen Akteure werden entlarvt. In mehrfacher Hinsicht. Und dies nicht ohne galligen, bitteren Humor.

Nach dem Prinzen auf der Suche nach sich selbst, dem Schauspieler als Gott, dessen Schöpfungsakte die Tänzerin und der Tänzer ganz menschlich übernehmen, jetzt das bittere Satyrspiel. Trump tanzt. Und auf einmal sind alle Trumps, 24 an der Zahl, unter unverkennbaren Maskierungen. Dazu Schnipsel aus Reden, Collagen der Tönfälle, eines Mannes, der immer wieder aus der Rolle fällt, weil er längst der Meinung zu sein scheint, wenn überhaupt, dann käme ihm die Rolle Gottes zu. Das ist mit voller Wut choreografiert und wird mit voller Wucht in irrem Tempo getanzt. Man möchte gerne lachen, geht aber nicht, wenn diese 24 Trumps tanzen. Schon werden die Masken heruntergerissen. Es sind Menschen darunter, ganz normale Tänzerinnen und Tänzer. Es sind Menschen, die zu Werkzeugen werden, der Tanz macht es möglich, ein Mensch wird zur mordenden Waffe, Menschen sind formbar und der oder die Nächste werden zum Ziel. Menschen werden zu Wegwerfware.

Wenn auf der einen Seite der Bühne das Sternenbanner in bedenkliche Schieflage gerät, so steht auf der anderen Seite schon die Mauer. Noch wird zu mexikanischen Rhythmen dagegen angetanzt, und schon steht ein Trump aber ganz oben auf der Mauer. Ja, das ist alles ganz schön direkt. Aber Wut ist konkret wie die Wahrheit. Und welch Bild der Ironie mit einem Funken der Hoffnung: Es ist das Sicherheitsseil aus dem Bühnenhimmel, welches den Typen da oben auf der Mauer wie eine Marionette hält. Verbindung nach ganz oben hat er scheinbar nicht. Oder besser, noch nicht?

Und dann wird ein Herz auf die Mauer mit Kreide gezeichnet, ein Luftballon, der könnte höher aufsteigen, über den Bühnenhimmel dieses getanzten Welttheaters hinaus. Unten, auf den Brettern, die ja die Welt bedeuten sollen, fällt ein Schuss. Ein Mensch fällt. Ausschuss? Licht aus. Und da steht sie wieder im Raum, die Frage des Tänzers, „If you were God - what would you create first?“ Tanzen! Tanzen gegen Trump? Immerhin, eine Möglichkeit. Für das Leipziger Premierenpublikum keine Frage, großer Jubel.
 

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