„On the Town“ von John Neumeier, Tanz: Sasha Trush und Mädchen der Theaterklassen VII und VIII

Eine Gala für zwei Legenden

Nijinsky-Gala in Hamburg

Die 44. Nijinsky-Gala 2018 widmete John Neumeier Marius Petipa und Leonard Bernstein – zwei legendäre Künstlerpersönlichkeiten, die auch das Werk des Hamburger Ballettintendanten stark beeinflussten.

Hamburg, 11/07/2018

Die Nijinsky-Gala bildet alljährlich den Höhepunkt und Abschluss der zweiwöchigen Ballett-Tage sowie der gesamten Spielzeit in der Hamburgischen Staatsoper. Hamburgs Ballettintendant John Neumeier hatte ein opulentes fünfeinhalbstündiges Programm mit illustren Gästen zusammengestellt, das dieses Jahr zwei großen Künstlerpersönlichkeiten gewidmet war: Marius Petipa und Leonard Bernstein. Denn 2018 war für beide gleichermaßen ein Gedenkjahr: Petipa, der ‚Vater‘ des klassischen Balletts, war am 11. März 1818 geboren worden, Bernstein 100 Jahre später, am 25. August 1918.

Klassiker von Petipa und Neumeier-Kreationen zu Bernsteins Musik wechselten sich den ganzen Abend über in schöner Regelmäßigkeit ab. Los ging’s mit einem schmissig-schwungvollen Ausschnitt aus „On the Town“ von Neumeier zu Bernsteins Musik – mit einem fantastisch-dynamischen Sasha Trusch und den jugendlich-frischen Theaterklassen VII und VIII der Ballettschule. Der Kontrast folgte gleich hinterher: der klassische Pas de quatre „Le Reveil de Flore“, ein Spätwerk Petipas aus dem Jahr 1894, choreografiert anlässlich der Hochzeit der Zarentochter. Vier frischgebackene Absolventinnen der Waganowa-Ballettakademie in Sankt Petersburg zelebrierten das Erwachen der Blumen auf lupenreine Art und Weise. Ein Augenschmaus!

Natürlich durfte der Klassiker schlechthin nicht fehlen: der Grand Pas de deux aus „Dornröschen“, hier in zwei Versionen: einmal die Rekonstruktion von Alexej Ratmansky für das American Ballet Theatre aus dem Jahr 2015 mit Tiler Peck vom New York City Ballet und Herman Cornejo vom ABT und einmal die Nurejew-Version mit Jillian Vanstone und Francesco Gabriele Frola vom National Ballet of Canada. Letztere hatten eindeutig das bessere Los gezogen, denn Ratmanskys Rekonstruktion mutete doch etwas sehr antiquiert an, auch wenn sich die beiden erstklassigen Solisten alle Mühe gaben. Dass sie von der Statur her leider nicht wirklich zueinanderpassten, kam noch erschwerend hinzu.

Danach dann wieder Bernstein mit einem Ausschnitt aus Neumeiers „Songfest“, einem Liederzyklus auf amerikanische Gedichte. Hier brillierten die Hamburger Solisten Xue Lin und Konstantin Tselikov sowie die Ersten Solisten Carsten Jung und Ivan Urban zusammen mit dem Ensemble. Es folgte zweimal Klassik pur: Olga Smirnova und Artem Ovcharenko vom Bolshoi Ballett tanzten bestechend schön den selten gezeigten Grand Pas de deux aus Petipas „Die Tochter des Pharao“, das 2000 von Pierre Lacotte für das Bolshoi Ballett rekonstruiert wurde. Anna Laudere und Edvin Revazov zeigten ebenso tadellos den Pas de deux aus dem 2. Akt von „Schwanensee“, gefolgt von Heather Ogden und Guillaume Côté vom National Ballet of Canada, die den Pas de deux „Lonely Town“ aus Neumeiers „Bernstein Dances“ mit großer Hingabe auf die Bühne brachten. Zum Abschluss des ersten Teils dann ein Ausschnitt aus „Birthday Dances“, das Neumeier 1990 anlässlich des 50. Geburtstages der dänischen Königin Margrethe II. kreierte. Hier fielen bei den Tänzerinnen vor allem Patricia Friza, Mayo Arii und Carolina Aguero ins Auge.

Teil zwei des Abends war dann ganz Bernstein gewidmet: mit Neumeiers „Bernstein Serenade“, die 1993 anlässlich der damaligen Nijinsky-Gala mit unvergesslichen Solisten (Bettina Beckmann, Gigi Hyatt, Heather Jurgensen, Janusz Mazon, Ivan Liska, Patrick Becker) aus der Taufe gehoben wurde und zu Beginn der nächsten Spielzeit als Bestandteil von „Bernstein Dances“ wiederaufgenommen werden wird. Das Stück basiert auf Bernsteins 1954 uraufgeführter „Serenade after Plato’s Symposium“ für Solo-Violine (meisterhaft gespielt von Vadim Gluzman als Gast), Streichorchester, Harfe und Schlagzeug und zeigt drei Paare in ihrer Beziehung zu Eros: Hélène Bouchet und Christopher Evans (der an diesem Abend zum Ersten Solisten befördert wurde!) setzen eine kompliziert ineinander verstrickte Paarbeziehung bravourös in Bewegung um, Madoka Sugai und Karen Azatyan zeigten fulminant eine Amour fou, und Emilie Mazon und Jacopo Bellussi eine symbiotisch-anhängliche Zweierkonstellation, souverän beobachtet und mit Verve begleitet von Sasha Trusch als Gott der Liebe.

Teil drei dann wieder eine bunte Mischung: Zuerst das Rosen-Adagio aus „Dornröschen“ mit einer atemberaubend brillanten Alina Cojocaru, die dem Hamburg Ballett als ständige Gastsolistin verbunden ist, als Prinzessin Aurora. Danach das Bundesjugendballett mit „John’s Dream – And What We Call Growing Up“, einem Potpourri verschiedener Einzelkreationen, das vom Publikum sehr bejubelt wurde. Das scheint umso bedeutsamer, als John Neumeier am 10. Juli einen wichtigen Termin mit Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, in Berlin hatte, bei dem es um die weitere Existenz dieser jungen Kompanie ging. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.

Den Höhepunkt des Abends bildete jedoch ein Ausschnitt aus „Don Juan“ zu Musik von Christoph Willibald Gluck und des Renaissance-Komponisten Tomás Luis de Victoria. Es ist ein Werk, das John Neumeier 1972 für das Frankfurter Ballett choreografiert und 1973 für Rudolf Nurejew und das National Ballet of Canada noch einmal umgearbeitet hat. Es ist der Dialog zwischen einer mysteriösen Frauengestalt, die ebenso ein Liebes- wie auch ein Todesengel ist, denn ihre Liebe zu Don Juan kann sich nur erfüllen, indem sie ihn in den Tod führt. Silvia Azzoni als Todesengel und Alexandre Riabko als Don Juan bringen das auf ebenso leise wie verstörend bezwingende Art auf die Bühne und stellen damit einmal mehr ihre absolute Sonderklasse unter Beweis.

Danach noch einmal Klassik at her best: der Pas de deux „Auroras Erwachen“, wiederum mit einer brillant-liebenswerten Alina Cojocaru und einem ganz und gar lebendig-dynamischen Sasha Trusch als Prinz. Und natürlich durfte auch der, wie Neumeier in seiner Anmoderation sagte, „legitime Nachfolger von Marius Petipa“ nicht fehlen: George Balanchine. An diesem Abend vertreten mit dem Tschaikowsky Pas de deux, technisch perfekt zelebriert von Tiler Peck und Herman Cornejo, und dem Brillanten-Pas de deux aus „Jewels“ mit Olga Smirnova und Semyon Chudin vom Bolshoi Ballett. Für den schwungvollen Rausschmiss sorgten dann Lloyd Riggins und die gesamte Kompanie des Hamburg Ballett mit dem Finale „Candide“ aus „Bernstein Dances“. Der opulente Abend endete mit dem obligatorischen Konfettiregen und Standing Ovations für alle Mitwirkenden, wobei auch das Philharmonische Staatsorchester unter Simon Hewett mit viel Beifall bedacht wurde. Und nach einem Gastspiel in Spoleto darf dann auch das Hamburg Ballett in die verdiente Sommerpause gehen.

 

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