„Globe“ von Jacek Przybyłowicz

Abenteuerlust und Entdeckerdrang

Der zweiteilige Tanzabend „Globetrotter“ am Stadttheater Gießen

Die erste Tanzpremiere der Spielzeit 2018/19 wartet mit Überraschendem auf. Mit dabei: meditatives Naturerleben, Großstadtdschungel und Fantasy World.

Gießen, 01/10/2018

Am Anfang war das Thema Globetrotter von Ballettdirektor Tarek Assam und Dramaturg Johannes Bergmann durchaus mit aktuellem, politischem Bezug gedacht. Die Suche nach passender Musik führte zu Kompositionen von Alberto Ginastera und Darius Milhaud. Letzterer hat sogar ein Stück mit dem Titel „Globetrotter-Suite“ geschrieben. Die Gastchoreograf*innen mussten damit umgehen. Für Rosana Hribar bedeutete das den Umgang mit dominanter Musik (Milhaud), und für Jacek Przybyłowicz war es ein angenehmer Background-Sound (Ginastera). Allein daher besteht das Ergebnis aus höchsten Kontrasten. Der politische Aspekt kommt bei beiden nicht mehr vor, Entdeckerdrang und Lebenslust stehen im Fokus.

Für die Tanzcompagnie Gießen (TCG) war es eine große Herausforderung, parallel mit so unterschiedlichen Choreograf*innen zu arbeiten und sich deren Tanzstile anzueignen. Zudem war die neue Zusammensetzung der Gruppe zu bewältigen. Sie haben es grandios gemeistert. Tänzerinnen und Tänzer der westlichen Welt sind international aufgestellt; wenn jemand berufsmäßiger Globetrotter ist, dann wohl diese Gruppe.

Jacek Przybyłowicz war von 2009 bis 2014 stellvertretender Leiter des Balletts am Theater Wielki Poznan/Polen. Als Tänzer arbeitete er ab 1991 in Deutschland und war dann zehn Jahre Mitglied der Kibbutz Contemporary Dance Company. Eine prägende Zeit, wie man seinem weich fließenden, aus der Körpermitte heraus pulsierenden Tanzstil entnehmen kann. In der Spielzeit 2016/2017 choreografierte er mit der TCG ein Stück des dreigeteilten Tanzabends „All we see“, das von den Werken Edgar Allen Poes inspiriert war. Er holte die polnische Videokünstlerin Ewa Krasucka dazu. Auch sie musste mit engen Vorgaben arbeiten und wählte dafür die Stop-Motion-Filmtechnik. Sie drehte mit TCG-Mitgliedern im Foyer des Jugendstil-Stadttheaters Gießen. Selten wurden die historische Architektur und ihre zwischen geometrischer und floraler Ornamentik pendelnde Ausgestaltung so wunderbar in Szene gesetzt.

Rosana Hribar ist die wohl bekannteste Choreografin Sloweniens; seit 20 Jahren arbeitet sie freischaffend, hat als Tänzerin und Choreografin diverse Tanzpreise gewonnen. Ihr erstes Stück mit der Tanzcompagnie Gießen, „Glaub an mich“ (2015/2016), war für den Faust-Kultur-Preis nominiert. Ihr Stil ist neoklassisch, sie setzt sogar gezielt Spitzentanz ein, was für die TCG wirklich unüblich ist. Und noch eine Kulturtradition ihrer Heimat wird deutlich: Pantomime und Volkstanz. Und vor allem die Lust am Verkleiden bis zur Unkenntlichkeit. Dafür hat sie in Imme Kachel eine kongeniale Bühnen- und Kostümbildnerin gefunden. Was die beiden an schwarz-weißer Bühnenpracht entfalten, das sucht seinesgleichen. Kachel hat schon mehrfach für die TCG gearbeitet, das erste Mal 2012/2013 für das beliebte „Siddharta“-Tanzstück.

Przybyłowicz nennt sein Tanzstück „Globe“, seine musikalische Grundlage ist das Orchesterwerk „Panambi“ (1937) des argentinischen Komponisten Alberto Ginastera, der darin die mythische Geschichte eines Liebespaares beschreibt. Die Musik ist abwechslungsreich, reicht von dramatisch-expressiv bis lyrisch-ruhig. Für den Choreografen war vor allem die quasi hörbare Natur inspirierend, wie er in einem Interview vorab erzählte. Seine Interpretation lässt viele Assoziationen zu: Da werden Wege durch den Dschungel gebahnt, im plätschernden Wasser gebadet oder zwitschernde Vögel beobachtet. Ein Unfall mit Todesfolge wird in einer berührenden Szene von den sechs männlichen Tänzern der Kompanie dargestellt. Die Bühne ist denkbar zurückhaltend, schwarzer Raum und die Menschen im Safari-Look, nur die Riesenformate der zwei Videoeinspielungen fallen heraus. Vor dem schlichten Hintergrund konzentriert man sich auf die Tanzkörper. Diverse Gruppenreihen erscheinen wie naturhaft sich bewegende Gebilde, Bewegungsimpulse setzen sich organisch-geschmeidig fort. Selten war ein Tanzstück so still, konnten sich Zuschauende in meditative Stimmung versetzen lassen.

Die nach der Pause erklingende Musik markiert deutlich den harten Kontrast. Darius Milhauds „Globetrotter-Suite“ (1956) und sein „Le bœuf sur le toit“ (Der Bulle auf dem Dach), als Filmmusik gedacht und 1920 in Paris uraufgeführt, sind lebhaft-dynamisch, mal scharf und schrill, mal eingängig und seltsam vertraut. Hribar nennt ihr Stück „Swift Steps, Ready Courage“. Sie interpretiert den ersten Teil als Großstadt New York, in der Sven Krautwurst als mutig-naiver Entdecker elegante Figur macht. Er klettert leichtfüßig wie einst King-Kong an einem fiktiven Hochhaus empor, hat aber Probleme ein „Weibchen“ zu finden, das er heldenhaft retten könnte. Der überbordende Witz in Hribars Stück wird im zweiten, fantastischen Teil noch gesteigert. Pflanzen entwickeln ein Eigenleben, und der vom brasilianischen Karneval bekannte Samba-Trippelschritt (perfekt von Laura Avila) wird zur Endlosschleife. Gleidson Vigne mutiert zum schnaubenden Bullen, und ein Kaktus versucht sich in Tanzbewegungen (umwerfend komisch: Maria Adriana Dornio). Das Publikum war hingerissen und applaudierte am Ende mit stehenden Ovationen.

 

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