„EVERYNESS“ von Wang Ramirez

„EVERYNESS“ von Wang Ramirez

Das Schweizer Tanzfestival „Steps“ 2018

Die künstlerische Leiterin Isabella Spirig im Gespräch mit Natalie Broschat

Seit 1998 ist Isabella Spirig die künstlerische Leiterin des biennalen Tanzfestivals „Steps“, das in der gesamten Schweiz stattfindet. Was vom diesjährigen Programm zu erwarten ist, fragt tanznetz.de.

Zürich, 26/02/2018

Isabella Spirig ist seit 1998 die künstlerische Leiterin des biennalen und landesweiten Migros-Kulturprozent Tanzfestivals „Steps“. tanznetz.de erfragte, was vom diesjährigen Programm zu erwarten ist, warum viel Mut dahinter steckt und was sich in den vergangenen 20 Jahren in der Schweiz bezüglich des Tanzes alles getan hat.

Gibt es eine Produktion, die Ihnen dieses Jahr besonders am Herzen liegt?
Ich bin wie eine Mama mit zwölf Kindern, es gibt keinen Liebling; ich mag alle zwölf eingeladenen Produktionen.

Wie kommt die Auswahl zustande?
Eine Auswahl zu treffen, ist eine Mischung von Vielem. Man muss einen Überblick über die Szene haben, sein gesamtes Wissen einbringen und Plattformen und andere Festivals besuchen. Ich reise viel in Europa umher, manchmal nach Übersee und ich war freilich überall dort, von wo die eingeladenen Kompanien herkommen. Bei einer Festivalprogrammierung muss mit etlichen Informationen jongliert werden; der Logistik zum Beispiel. Die Kompanien gehen alle selbst auf Tournee und deren Terminkalender mit denen unserer Spielstätten in der Schweiz in Einklang zu bringen, braucht genaue Abklärungen. Gerade weil das „Steps“-Festival in der gesamten Schweiz stattfindet, müssen die Kompanien in gewisser Weise auch zum Aufführungsort und den kleinen und großen Bühnen des Landes passen. So entsteht wiederum ein Mix zwischen Neuentdeckungen und großen Namen.

Das Thema des diesjährigen „Steps“-Festivals lautet „Mut“. Wie kam es dazu?
Im Dezember 2016 wurde die Programmierung abgeschlossen und die Stimmung währenddessen war eine unruhige und beunruhigende, voller Fragen bezüglich der Zukunft unserer Welt. Wir wussten nicht, wer die Präsidentschaftswahlen in Amerika und in Frankreich gewinnen würde, es gab viele Anschläge und immer mehr politische Probleme traten zutage. Generell lag sehr viel Angst vor dem Fremden in der Luft. Es hat sich seither nicht wirklich viel verändert, außer, dass wir um viele Fakten reicher sind. Einmal mehr wurde mir bewusst, wie ermutigend Tanz ist und wie er neue Wege aufzeigen kann. Deswegen ist „Mut“ das Motto der diesjährigen Ausgabe von „Steps“ geworden. All das spiegelt sich in den ausgewählten Stücken wider und Vielfalt ist Programm.

Können Sie einige konkrete Beispiele für mutige, künstlerische Auseinandersetzungen aus dieser Vielfalt nennen?
Zuerst glaube ich, dass grundsätzlich jeder Künstler Mut braucht, sich überhaupt auf einer Bühne zu präsentieren. Dann haben einige Stücke des Programms Mut zur Verletzlichkeit. Sie bearbeiten Tabuthemen wie Tod und Verlust. Beispielsweise zeigt die kanadische Kompanie Kidd Pivot in „Betroffenheit“ den Weg von eben jener zurück ins Leben. Es ist eine gemeinsame Arbeit der Choreografin Crystal Pite mit dem Schauspieler Jonathon Young. Letzterer hat seine Tochter in einem Feuerunfall verloren und ist daraufhin in eine Depression gestürzt. Er bat Crystal Pite, gemeinsam mit ihm diesen Schock zu überwinden. Das Resultat ist ein eindrückliches Gesamtkunstwerk.

Die GöteborgsOperans Danskompani/Eastman bearbeitet hingegen eine kulturpolitische Komponente: Die freie und die etablierte Szene kommen zusammen. Der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui hat einerseits mit „Noetic“ ein Auftragswerk für die Kompanie aus Göteborg geschaffen und anderseits mit „Icon“ eine Koproduktion seines eigenen Ensembles in Zusammenarbeit mit ihnen. Es werden hier nicht nur neue (Arbeits-)Schritte gegangen, sondern auch mutig mit neuen Materialien gespielt; schließlich befinden sich 3,5 Tonnen Lehm auf der Bühne.

Die Stopgap Dance Company aus England verhandelt ebenfalls das Thema Tod. „The Enormous Room“ ist zugleich Tanztheater und Kammerspiel, das mit vielen Geistern und typisch britischem Humor den Verlust des Ehepartners thematisiert. Hier ist es die Tochter, die ihren Vater zurück ins Leben führen möchte. In diesem integrativen Tanzstück wird zugleich mutig ein Statement zur gelebten Diversität gemacht. Dafür steht auch „Steps“, dass nämlich neue Formen und TänzerInnen mit verschiedensten Möglichkeiten auf die Bühne finden.

Der Choreograf und Tänzer Serge Aimé Coulibaly vom Faso Danse Théâtre will den zeitgenössischen Tanz in seiner Heimat Westafrika fördern und gründete deswegen 2015 einen Tanzwettbewerb. Bei „Steps“ werden „Simply The Best West Africa“ zu sehen sein, die drei besten Soli dieses Wettbewerbs. Fatoumata Bagayogo macht in ihrem Soli beispielsweise mutig und mit einer klaren Botschaft die Beschneidung der Frau zum Thema.

Doch sind bei „Steps“ auch Arbeiten zu sehen, die den Mut haben the pure entertainment zu pflegen. Außerdem haben wir von den zwölf eingeladenen Arbeiten sechs koproduziert. Das wiederum bedeutet, dass das Resultat zum Zeitpunkt des Programmschlusses noch nicht feststand. Also braucht es Mut zum Risiko, diese Koproduktionen einzugehen. Doch ich vertraue den Künstlern.

Wo sind Schnittstellen zu den anderen darstellenden Künsten auszumachen?
Die offensichtlichsten Schnittstellen gibt es zum Theater. Dieses Jahr sind auch viele Kompanien zu Gast, die mit Live-Musik arbeiten. Die Kompanie Wang Ramirez vereint in „EVERYNESS“ zum Beispiel modernen Hip-Hop-Tanz und Kampfkunst. In den Stücken des Programms sind ferner Anleihen und Verweise zur bildenden Kunst, Mode, Pop und Lifestyle zu finden.

Wie sieht das Rahmenprogramm von „Steps“ aus?
Unsere Partnertheater veranstalten die „Steps“-Vorstellungen in Eigenregie. Die Formen ihrer Vermittlungsangebote, wie Einführungen oder Nachbesprechungen, sind so vielfältig wie die Theater selbst. Das Festival ist ein Treffpunkt für die nationale und internationale Tanzszene. Deswegen bieten wir Workshops für professionelle Tanzschaffende an, in denen sich die Teilnehmenden untereinander austauschen können. Bei jeder Festivalausgabe findet außerdem ein Symposium für Tanzfachexperten statt. Vor allem aber gibt es ein großes Vermittlungsprogramm für Kinder und Jugendliche. Tanzpädagogen bringen dem Nachwuchs – fast 3000 SchülerInnen und Jugendlichen pro Festival – den zeitgenössischen Tanz nahe. Die jungen Menschen lernen Auszüge der Tanzstücke und erfahren somit den Tanz am eigenen Körper. Die erlernten Choreografien sehen sie später bei Schulvorstellungen von den Profis auf der Bühne getanzt. Auf den Wiedererkennungseffekt reagieren sie meist mit großer Begeisterung.

Was ist das Besondere an „Steps“ und wie würden Sie das Publikum beschreiben?
Der zeitgenössische Tanz hat in der Schweiz wenig Tradition. Unser Auftrag ist, die breite Vielfalt der Tanzstile auf höchstem Niveau zum Publikum zu bringen. Und das ist ziemlich konkret gemeint, denn das Festival tourt durch die gesamte Schweiz. Die Kompanien spielen nicht nur in urbanen Zentren, sondern machen auch in Randregionen – was auch immer das heißen mag – Halt. Wir haben vier verschiedene Sprachregionen und somit auch viele verschiedene kulturelle Hintergründe in der Schweiz. Wir wollen ein breites Publikum neugierig auf Tanz und die Bewegungskunst machen. Mit der Hoffnung, dass diese später vielleicht die Dampfzentrale Bern oder die Gessnerallee Zürich besuchen. Kurz gesagt: So vielfältig wie das Programm, so vielfältig ist auch das Publikum.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren im zeitgenössischen Tanz in der Schweiz geändert?
Es sind zwei große Veränderungen auszumachen. Der Tanz hat sich in der Schweiz professionalisiert. Vor 20 Jahren kannten sich weniger KollegInnen in den Theaterhäusern mit Tanz aus; das hat sich stark verändert. Zweitens ist der Beruf des Tänzers und der Tänzerin erst seit wenigen Jahren anerkannt. Heutzutage können Tanzausbildungen als Berufslehre, als Bachelor und ab Sommer 2018 auch als Master abgeschlossen werden. Das Veranstalternetzwerk RESO wurde gegründet und die Subventionslandschaft hat sich verändert. Diese Veränderungen in der Kulturpolitik sowie das gestiegene Interesse der Schweizer stimmt unglaublich hoffnungsfroh und zeugt von einer dynamischen Entwicklung. Also ganz im Sinne des Tanzes.

Programm unter www.steps.ch

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