„Basmal - Freund oder Feind“ von Neco Çelik

„Basmal - Freund oder Feind“ von Neco Çelik

Wird Bremen doch wieder eine Tanzstadt?

Pick bloggt über ein tanzreiches Wochenende in Bremen

Samir Akika, Neco Çelik und Simon Mayer mit drei außergewöhnlichen Vorstellungen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können.

Bremen, 24/11/2016

Es war ein langes Wochenende mit drei außergewöhnlichen Vorstellungen von drei Tanztheater-Choreografen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Und mit Themen, die vielen unter den Nägeln brennen. Lösungen können die Stücke sicher nicht anbieten, aber Nachdenken hilft manchmal. Übrigens ist keiner dieser Herren so provokativ und plakativ wie der Erfinder dieser Theaterart – und natürlich in Bremen unvergessen – Hans Kresnik!

Richtig zeitgemäß ist das Stück von Neco Çelik „Basmal – Freund oder Feind“, das sich mit dem Islam bzw. den quasi Entwurzelten beschäftigt, die in Europa Schutz suchen und hier ein neues Leben beginnen wollen. Leider hat der Erfinder des Stücks, der von Haus aus eher Regisseur von Sprechtheater ist, nicht bedacht, wie begrenzt Tanztheater ist, denn die Probleme, die die Religionen mit sich bringen, sind ja selbst im Sprechtheater nur schwer auf den Punkt zu bringen. Er erklärte in einem anschließenden Publikumsgespräch, dass er zuerst ein Sprechstück mit fünf Schauspielerinnen darüber inszeniert hätte, mit dem einige Zuschauer aber auch ihre Probleme gehabt hätten. Mich hat sein Stück bis auf diese eine Schwierigkeit fasziniert. Aber keinem Menschen steht auf der Stirn geschrieben: Ich glaube an Allah und seinen Propheten und schon gar nicht, in welcher Richtung. So wie man den Christen nicht ansehen kann, ob sie katholisch oder evangelisch getauft wurden oder nur die Kirchensteuer zahlen, ohne jemals in die Kirche zu gehen.

Fünf Männer in Unterhemden und Alltagshosen stehen anfangs vor der Rückwand und kommen im Halbdunkel der Bühne verschieden schnell oder besser sehr langsam auf die Zuschauer zu, bis sie wieder eine Reihe bilden. Immer den Blick auf die Menschen im Dunkel gerichtet. Mich hat es an Situationen auf Bahnhöfen erinnert, seit wir „Fremde“ bei uns haben, die hierher „eingeladen“ wurden, um in der Industrie oder im Bergbau zu arbeiten, die sich sonntags hier treffen, weil man sich im Zentrum leicht verabreden kann. Niemand hätte erkennen können, ob sie aus Sizilien, Korsika oder Portugal kommen und sie hatten dieselben Probleme wie heutige Migranten. Erst viel später kamen Muslime aus der Türkei. Aber mit den Türken hatten wir hier nur sehr unterschwellig Probleme aus Gründen der Religion. Sie bilden eine fremde, manchem unangenehme Gemeinschaft, weil man sprachlich nichts versteht: ob sie über Fußball oder ihren Arbeitsvertrag oder die Situation zu Hause diskutieren? Wir haben uns auch nie bemüht ihre Sprache zu lernen, obwohl wir selbst zu Millionen Ferien in Antalya machten.

In unserem Stück bleiben diese fünf Männer und das Publikum während sechzig Minuten unter Hochspannung und das ist das Kunststück des Erfinders und seiner Tänzer. Ja, sie tanzen auch, und bedienen sich zeitgenössischer Techniken, recht individuell bis zu unaufdringlichem Hip-Hop, die immer unter Aufbietung innerer Kraft, manchmal fast krampfartig, zustande kommen. Die Bewegungsregie bleibt in der Schwebe, zurückhaltend, aber auf Aggression wartend. Zum Lachen haben die Kraftprotze nichts. Auch nicht, wenn alle fünf mit einem Wetttanzen beschäftigt sind und danach einer mit einem anrührenden Solo vor einer Nebelwand übrig bleibt.

Es gibt zwei verfremdete Filmeinspielungen von Kriegssituationen, auf die ich hätte verzichten können. Aber vielleicht helfen diese dem ein oder anderen, zu verstehen, welche Vergangenheit die Männer zu verarbeiten haben. Hinter besagter Nebelwand erscheinen nun vier ganz verschleierte Gestalten, die diesen Solisten einkreisen, verdecken und eine Mauer aus Burkas bilden, so nenne ich das mal, und nur noch Hände, die nach oben streben, zu sehen sind. Anschließend fallen die Burka-Tücher und alle fünf Männer fallen diagonal auf die Knie, die Stirn am Boden. Hier, schon fast am Ende, zeigt sich ein typisches Zeichen des Glaubens, den sie leben. Wesentliches passiert nicht mehr und es gibt kein erlösendes Ende, aber vor den Tänzern habe ich größten Respekt: Ibrahima Biaye, Sela Edrik, Said Gamal, Freddy Houndekindo und Milad Samim. Mit welcher Intensität sie diesen Abend bis zur letzten Sekunde zu einem Ereignis machen, ist bewundernswert.

Ähnlich individuell choreografiert ist das neueste Stück von Samir Akika, dem Chef der Tanzsparte vom Theater am Goetheplatz, das sich bescheiden den Titel „Akika X“ gibt. Ob es die Nr. 10 ist oder der Buchstabe, bleibt dem Zugereisten rätselhaft. Ich habe es als ein zeitgemäßes Traumspiel erlebt, bei dem es wenig zu erklären gibt, denn alles ist möglich und Zusammenhänge kann sich jeder so aussuchen, wie er es will oder sein Traum es ihm erlaubt. Ein ziemlich aufwendiges Bühnenbild von Nanako Oizumi bietet alle möglichen Überraschungen: da gibt es Türen, wo man sie nicht vermutet, einen Spiegel, der transparent wird, ein Bett, das aus der Wand rollt und auch die Versenkung tritt in Aktion. Am Ende suggeriert das überfüllte Bett, es war nur ein Traum, sucht nicht nach Logik! Außerdem kiffen wir und machen, was uns gerade einfällt, werden mit Masken alle gleich. Das wird vom Ensemble und den Interpreten manchmal bis zur Selbstaufgabe durchgezogen, selbst, wenn es „Bahnhof Zoo“ in dieser durch den Film bekannten Version nicht mehr gibt.

Auch nach der Wiedervereinigung hat Berlin, aber nicht nur Berlin, diese Art zu leben nicht verloren und das ist u.a. der Reiz des Stückes. Da werden Kostüme gezaubert, wie man sie zwar in der Art auch auf der Straße sehen kann, aber eben nicht so traumhaft. Und das freut das Auge des Betrachters, der oft moniert, dass er Tanz in so etwas wie Jogging-Outfits nicht besonders reizvoll findet. Es wird viel getanzt und allen möglichen Techniken Tribut gezollt und die, die es machen, beherrschen es glücklicherweise bestens. Ich denke, dass Samir ein Meister ist, in dem, was er seinen Tänzern auf den Leib choreografiert, ihre Stärken zu nutzen versteht, und sich nicht im stillen Kämmerlein etwas ausdenkt, was den Tänzern nicht liegt. Und wenn ich mich irre, sind sie umso begabter, denn da war niemand, bei dem ich mich gefragt hätte: wie hätte das denn wohl aussehen sollen, wenn es besser gewesen wäre? Im Sommernachtstraum von dem berühmten Dichter gibt es allerlei Ungereimtheiten, mit denen jeder Regisseur seine liebe Not hat. Das Problem hat Akika nicht, er sucht nicht nach Klarheiten und das gibt er uns – glaube ich – gleich mit. So dürfen die Zuschauer sich in einer starken Stunde freuen und wer will kann sich natürlich auch fragen, ob das wahre Leben auch so sein sollte. Aber eine Verpflichtung deutet nicht mal das Programm an, und das ist gut so. Wir müssen nicht nach Untertönen suchen. Der Sound dieses Abends ist fetzig und es macht offensichtlich Spaß zu tanzen, auch beim Zusehen. Das Publikum war sehr aufmerksam – und wenn der Saal voll gewesen wäre, wäre auch beim Applaus mehr Stimmung aufgekommen, aber der Abend lief ja schon „X“ mal.

Das dritte Stück an diesem Wochenende mit dem Titel „The Sons of Sissy“ von Simon Mayer in der Schwankhalle war restlos ausverkauft und ein durchschlagender Erfolg, was sicher nicht nur den aus Wien angereisten Tänzer-Musikern, sondern auch dem Budget von „Steptext“ guttut. Über die Querelen, die es seit der Neubesetzung der Leitung der Schwankhalle gibt, hatte ich aus gegebenem Anlass berichtet, und ich fürchte, die Schwierigkeiten sind bisher erst einmal unter den Teppich gekehrt worden. Ich möchte nach diesen Erfolgen den Stadtverordneten gern zurufen: Sie würden gut daran tun, dem Tanztheater mehr Raum zu geben, andere Städte haben gute Erfahrungen damit gemacht. Die Wahl der Gastspiele für dieses kleine Festival vom Steptext-Chef Helge Letonja vor ausverkauften Sälen spricht jedenfalls eine deutliche Sprache – künstlerisch wie kommerziell.

Düsseldorf beispielsweise, wo nicht die Spur von zeitgenössischem Tanz war, ist mit seinem Tanzhaus ein Paradebeispiel, wie man es machen muss. Bremen hat in seinen Mauern das einzigartige Deutsche Tanzfilmarchiv, das unsere und Bremens Vergangenheit im bewegten Bild vorhält! Unschätzbare „Reliquien“ des Tanzes stehen hier zur Verfügung und helfen unsere Vergangenheit des 20. Jahrhunderts lebendig zu erhalten. Leider sind die finanziellen Mittel so eng, dass ich jedes Mal, wenn ich da bin, fürchte, Heide-Marie Härtel, die Gründerin und Wächterin über dieses Vermächtnis wird irgendwann hinschmeißen und das Ganze mit ins Saarland nehmen. Denn sie ist bereits im Rentenalter! Es ist höchste Zeit, etwas zu tun. Vielleicht aus den Mitteln, die der Bundestag gerade bereitgestellt hat! Nachwuchspflege ist wichtig, aber ohne Tradition ist alles null. Das gilt nicht nur für Pina!

Aber ich war ja eigentlich beim Stück des Buben vom Land, der an der Wiener Staatsoper Ballett lernte und dem Ensemble einige Jahre angehörte, aber dies nun weit hinter sich gelassen hat. Ich habe noch nie einen Balletttänzer gesehen, bei dem diese Kunst bis in die letzte Haarspitze nicht mal mehr auch nur zu erahnen wäre. Er bewegt sich wie jeder andere der drei Mitspieler mit zwei Violinen, einem Bass und einer – wie man auch sagt – Quetschkommode. Sie sind heutig, in ländlicher Alltagskleidung angezogen, wenn sie den Bretterboden, der die Welt bedeutet, betreten und zuerst a cappella zu Singen anfangen, das es einem warm ums Herz wird, auch wenn man eigentlich nichts für „Stubn-Musi“ übrighat.

Dann nehmen sie die Instrumente und spielen uns einen auf, dass die Bögen bald Haare lassen. Und singan nomoi. Und spielen, dass man denkt, die Performance würde zu einem Konzert. Und wenn sie das Publikum schon in der Tasche haben, machen sie den ersten Anfang vom Ende, indem sie die Musik zersägen, am liebsten die Instrumente gleich mit, und innerlich a Gaudi dabei haben. Auch am Land ham die Burschen lange Haare bis zu den Schulterblättern und der längste von ihnen trägt einen Rock vom Dirndl und schämt sich kein Stück. Aber drehen tut er, was das Zeug hält, immer im Kreis herum, und wenn man denkt, glei fallt er um, dann kommt oana, nimmt seinen Zeigefinger übern Kopf und lasst ihn no a boh Rundn drahn, aber immer schneller. Dann kommen die vier in der Mitte zusammen, plattln, ohne dass einer eine Krachlederne anhätte. Es geht auch so. Der mit Rock und der mit den langen Haaren setzen sich auf die gefassten Arme der anderen und lassen sich in besagtem Kreis in verschiedenen Variationen tragen, bis sie, auch das ist authentisch, schön ins Schwitzen kommen und der Rock wegmuss, denn wenn alle plattln, stört das Kleidungsstück.

Aber wenn man denkt, das war‘s, nimmt er ihn wieder auf und dreht ihn im Kreis, diesmal mit allen andern, dass der Rock sich nur so bauscht. Aber wir wissen ja schon, dass da nix zum Segn is, denn er hat ja eine Kniehose drunter. Wenn ihnen dann allen schwindelig geworden ist und sie zu Boden gehen, kommt der Teil, wo die Naturburschen ihre Haut zu Markte tragen und nicht einmal einen Gürtel brauchen, um wiederum Musik zu machen und dem Zuschauer Zeit geben, sie vom Scheitel bis zur Sohle zu begutachten. Aber es gibt keinen Aufreger dabei, wir sind das heute alle gewöhnt, so sehn sie halt aus, die Buam vom Land. Wenn sie dann plattln und auf alle möglichen Körperteile in verschiedenen Tonhöhen klatschen, wird es a weng grenzwertig. Dann kommt der nächste Teil, in dem sie ihre Instrumente zum Teufel geben und nun völlig durchdrehen, wie die Kerle nach dem Fußball in der Innenstadt. Wer denkt, dass dem Mayer nun nix mehr einfällt, hat Pech gehabt. Es gibt noch eine ganz stille Szene zwischen zwoa Buam, die so eindeutig zweideutig ist, ohne dass es auch nur zu einer Berührung käme. Überhaupt geht das ja alles gar nicht. Man muss jetzt möglichst viel lärmen, dann ist die Welt wieder in Ordnung, und der Simon, der Mayer, hat es faustdick hinter den Ohren. Aber es zu sehen, gelingt nicht, da können sie sich ausziehen, so viel sie wollen oder sollen. Mia Buam, mia san hoid so! – wie überhaupt alle Jungs.

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