SYNÆSTHESIA3

Von Christian Keller

Am Samstag den 12. März öffneten die Tore der großen Halle E des Museumsquartiers Wien für eine Veranstaltung besonderer Art: ein synästhetisches Wahrnehmungserlebnis. Mit einem Raumkonzept, auf vier alternierend bespielten Bühnen, und einer Kooperation mit dem sound:frame Festival lud das Tanzquartier Wien seine Besucher ein die Musikalität der Geste, die Farben des Klanges und die Bewegungen des Lichtes in ihren simultanen Verhaltensmustern wahrzunehmen.

Eröffnet wurde der Abend mit einer Performance von Noé Soulier. Er verwendete hierzu Elemente seines abendfüllenden Programmes „Removing“, inklusive des Verzichtes auf musikalische Unterlegung (siehe tanznetz vom 10.12.2015), jedoch mit einer lokal besetzten Tänzerformation (u.a. Alix Eynaudi). Inmitten des Raumsettings und der Besucher begannen die Tänzer ihre abstrahierten Bewegungsintentionen- und annäherungen von den aus „Removing“ bekannten JiuJitsu Kampfgesten bis hin zu alltäglichen Handlungsabläufen auszuführen. Diese neue Raumorientierung der Choreografie Souliers versuchte mithilfe zweier Kameras das Spiel um die abstrahierte Geste in ein Verhältnis ihres alltäglichen Aufscheinens aus und in der Masse zu bringen. So erschienen und verschwanden die Tänzer abwechselnd aus dem sie umrandenden Publikum und die auf alle vier Wände projizierten Kameraaufnahmen umsäumten wiederum das Publikum. So kam es zwar, auch gerade im Kamerahandling des sich synchron zu den Tänzern bewegenden Soulier, zu einem Betrachter-Werk-Verhältnis, das seine isolierte Bühnenform und die Instanznahmen von Innen und Außen auflöste, doch die einstudierte Choreografie verlor dabei leider eindeutig an ihrer bewussten Intensität und besonderen Präzision der Abläufe. Es schien so mehr ein wirkliches Abmühen als eine defragmentierte Neuperspektivierung von bekannten Bewegungsabläufen.

Interview mit Noé Soulier:

Andere und ganz besondere Bemerkung durften jedoch die japanischen Künstler Hiroaki Umeda und Ryoji Ikeda erfahren. Umeda stellte mit seiner Performance „Holistic Strata“ seinen Tänzerkörper in die Lichtflut eines audiovisuellen Atomuniversums. Als Annahme für die kleinste vorhandene Einheit stand der Lichtpunkt und dieser en masse als Spielfläche, auf der sich die Silhouette des Tänzers abzeichnete, um einen Augenblick später wieder zu verschwinden. Geschickt spielte Umeda mit der Mannigfaltigkeit und Beugung des Begriffes Bewegung: die ‚holistic strata’ schien als Projektion von der individuellen Vorstellungskraft bewegt, dann wieder löste sich der singuläre Tänzerkörper als Produkt der Lichtpunkteanordnung in dieser Herkunft auf. Ob organische oder technokrate Bewegungsorganisation, Umedas Performance sog wortwörtlich den Betrachter in einen abstrakten Assoziationssturm.

Interview mit Hiroaki Umeda:

Ryoji Ikeda, der wohl derzeit bekannteste japanische Innovator der elektronischen Tanzmusik, blieb dabei mit „Test Pattern“ viel mehr bei der analogen Audiovision des Flimmerkasten-Klangbildes. An der Nahtstelle der minimalisierten und konzentrierten Barcodekonzeption des Bildes synchronisierte Ikeda den menschlichen Drang nach einer beatfolgenden Sequenz. So zerrten sich die Bilder und Klänge von künstlerischer Hand bewegt durch den künstlichen Analograum der computergenerierten Erschütterungen von binären Abfolgen all der Nullen und Einsen, des Schwarz und Weiß des Bildschirmes.

Klassisch in ihrem Sinne traten Liquid Loft mit einem Auszug aus ihrer derzeitigen Produktionsserie „Imploding Portraits Inevitable“ auf. Mit dem Sampling von popkulturellen Referenzen zu Warhol, cineastischen Verweisen auf den Film Noir und dem verfremdeten Klangbild eines Springsteen Songs brachen sie in die Duplizität von realen und projizierten Körpern auf. Die drei Performerinnen stülpten sich dabei durch Playbackreden und Selfieaufnahmen vorgeformte Rollenschemata über und brachen diese wieder mit der körperlichen Überzeichnung und Verformung ihrer sich provokativ weigernden und stotternden Eigenleben.

Interview mit Chris Haring:

Jefta van Dinthers und Thiago Granatos Performanceauszug aus „This is Concrete“ schloss an diese in Klang und Widerhall versetzten Körper an. Die zwei Performer gerieten im gedrückten Licht und im andrängenden Schwall der Bässe an die Anziehungskräfte des vibrierenden Gegenüber wie die des schallenden Lautsprechers. So rieben und schwellten die Körper sich in der erotisierenden Anderweltigkeit des heterotopischen Clubraumes, in dem die Entzeitlichung durch das ineinander Eingehen ein ständiges Bestreben ist.

Interview mit Jefta van Dinther und Thaigo Granato:

Jam Rostron aka Planningtorock trat mit der ihr üblichen Leichtigkeit und Begeisterungsfähigkeit auf. Auch bei „SYNÆSTHESIA3“ hämmerten die beatgetragenen Slogans wie „Patriarchy Over & Out“ oder „Misogyny Drop Dead“ nicht mit Bedrängnis auf den Zuhörer ein, sondern benahmen sich in ihrer rhythmischen Konsumptionsbereitstellung als eingehende Tanzaufforderung. So hielt sie auch diesmal das Versprechen einen Raum der Teilnahme und des „Let's Talk About Gender Baby“ zu schaffen, ohne die diesen Inhalten und ihren Diskussionen üblicherweise inhärenten langen und ernsten Gesichter hervorzurufen. (Hier zum Interview mit Jam Rostron)

Die Konzeption dieser erstmaligen Fusion der Organisationskräfte des Tanzquartier Wien und des sound:frame Festivals kann somit als gelungen belobt werden. Es kam zu einem Ausblick auf eine den Besucher einbindende Wahrnehmungsebene durch die simultane Anordnung ansonsten isolierter Kunstprozesse. Gerade das volle und mitwippende wie –tanzende Haus bis Mitternacht zeugt von dieser erfolgreichen Erschütterung der Wahrnehmungsstruktur. Einziges Manko blieb die zuletzt ärmlich ausgefallene Atmosphäre eines Clubbings bis in die Morgenstunden.