„BASMALA – Freund oder Feind“ von Neco Celik
„BASMALA – Freund oder Feind“ von Neco Celik

Traditionelle arabische Anrufungsformel an Allah

„BASMALA – Freund oder Feind“, ein Tanzstück von Neco Celik mit Renegade

Premiere in Zeche 1 in Bochum mit (Street)Dancern unterschiedlicher Herkunft

Bochum, 15/03/2016

Dass die deutsche Tanzszene international ist, ist allen Beteiligten klar. Aber dass dies mehr oder weniger zum Thema gemacht wird, ist nicht selbstverständlich, wenn es um das Thema Islam geht. Herangewagt hat sich der Regisseur und Choreograf Neco Celik aus Berlin in Zusammenarbeit mit dem Orgateam und fünf Tänzern von Renegade. Die 2003 in Herne gegründete freie Tanzcrew um Zekai Fenerci ist mehrfach für ihre Tanzproduktionen ausgezeichnet worden.

Die Produktion wird mit wechselnden (inter)nationalen Tänzern und Choreografen umgesetzt, typisch ist die gleichberechtigte Verwendung von unterschiedlichen Tanzstilen. Zekai Fenerci kooperiert mit diversen Kulturinstitutionen, organisiert Gastspiele und Festivalauftritte. Ab 2010/11 residiert Renegade am Schauspielhaus Bochum, pro Spielzeit entsteht eine abendfüllende Produktion, die im Repertoire des Schauspielhauses zu sehen ist. Preisgekrönt war „Irgendwo“ von Mailou Airaudo und vielbeachtet die Wiedereinstudierung des Klassikers „Ruhr-Ort“ von Susanne Linke.

Das neue Tanzstück „BASMALA – Freund oder Feind“ wurde allerdings in Zeche 1 aufgeführt, das ist Teil des „Zentrums für urbane Kunst“ in Bochum. Die ehemalige Waschkaue der Zeche Prinz Regent ist durchaus tanzerprobt, hat doch Reinhild Hoffmann schon Anfang der 90er in dem roh belassenen Funktionsraum zwei Stücke produziert, die auch den Namen des Ortes trugen: „Zeche 1“ und „Zeche 2“. Seitdem scheinen einige der weißen Kacheln mehr von den Wänden heruntergefallen zu sein, ansonsten wirkt er unverändert.

Basmala ist die traditionelle arabische Anrufungsformel an Allah, leitet also das Gebet ein. Warum wählt ein lockerer Verbund wie Renegade, der Name bedeutet immerhin Abtrünniger eines Glaubens- oder Wertsystems, ausgerechnet diesen Titel? Aus aktuellem Anlass vermutlich, da Religion auch in Deutschland plötzlich wieder eine so große Rolle für das Leben einiger Menschen zu haben scheint. Und wie ist das in der Streetdance-Szene, für die Hiphop oft gleichgesetzt wird mit Islam. Stimmt das so? Dieser Frage stellten sich der Choreograf und die fünf Tänzer.

Diese könnten Muslime sein, doch wird dies bewusst offen gehalten. Ebenso unklar bleibt ihre Herkunft, da muss man als interessierter Besucher die im Programmflyer genannten Namen schon googeln. Zwei von ihnen sind in Deutschland geboren, die Eltern waren Gastarbeiter aus der Türkei, das sind Choreograf Neco Celik und Tänzer Sefa Erdik, der vom Breakdance kommt. Ebenfalls in zweiter Generation Europäer ist Freddy Houndekindo aus Paris, dessen Eltern aus dem Benin nach Frankreich emigrierten. Er startete mit Hiphop, studierte dann Musik und Tanz in Lyon sowie am Folkwang-Institut Essen; bei Renegade hat er bereits mitgemacht.

Milad Samim ist im Iran geboren, er kam als kleines Kind nach Deutschland und begann früh seine Tanzkarriere in der Hiphop- und Breakdance-Szene, er zählt heute zu den Besten im Krumping, ist dort bekannt unter dem Namen „Rowdy Eyez“. Ibrahim Biaye stammt aus dem Senegal, tanzte in diversen Ballettcompagnien Afrikas und freien Produktionen, Susanne Linke holte ihn 2013 für ihre „Ruhr-Ort“-Einstudierung. Said Gamal kommt aus Kairo, er studierte Informatik, ist als Tänzer Autodidakt, wurde entdeckt und 2007 nach Madrid geholt, landete 2010 in Hameln und war schon mehrfach an Renegade-Stücken beteiligt.

Lauter Individualisten also, deren Biografien denkbar unterschiedlich sind. Gemeinsam ist ihnen der Tanz in seiner frei ausgeübten Form. Und wer glaubte, bei diesem Stück von Hiphop- und Breakdance-Rhythmen durchgeschüttelt zu werden, der sah sich getäuscht. Auch die typischen Bewegungen werden in kleinen Soli lediglich angedeutet. Der Sound evoziert diverse Stimmungen, von leise und traurig bis lautstark dröhnend und beängstigend. Am lautesten ist das Eingangsvideo, das von brutalen Straßenkämpfen der Hiphop- und Drogenszene erzählt.

Der reale Tanz hingegen ist fast behutsam, drückt Ängste und Unsicherheiten aus, zeigt Einsamkeit, Verletzlichkeit und den Versuch einander zu helfen. Also nicht aggressiv und im Machogehabe. Hin und wieder scheinen die Zuschauer ganz direkt aufgefordert zu werden, die Jungs in ihrem Kampf gegen Traditionalisten und die neuen religiösen Verführer (Video am Ende) zu unterstützen. Neben Bewegungselementen des zeitgenössischen Tanzes ist viel Alltagsbewegung dabei, die auch mal synchron daherkommt.

Im letzten Drittel setzen Nebelschwaden ein, aus dem Krachen von Silvesterböllern werden Detonationen des Krieges, vier am ganzen Körper schwarz verhüllte Gestalten scheinen den konservativen Islam zu symbolisieren. Sich aus den dehnbaren Verhüllungen herauszukämpfen, das wird als zäher und kräftezehrender Kampf gezeigt. Spannung ist über die ganzen 60 Minuten garantiert, vor allem das Gefühl des Respekts bleibt bestehen. Bleibt zu wünschen, dass irgendwann auch der Kampf der Frauen mittels Bühnentanz zum Thema gemacht werden kann.

Weitere Aufführungen in Zeche 1, im Tanzhaus NRW Düsseldorf und im Gorki Theater Berlin stehen bereits fest.
 

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