„Séance de travail“ von Trajal Harrell. Tanz: William Bartley Cooper, Dominik Dos-Reis, Owen Ridley-DeMonick, Vânia Doutel Vaz, Rob Fordeyn, Perle Palombe, Max Krause, Ann Göbel & Lukas von der Lühe

„Séance de travail“ von Trajal Harrell. Tanz: William Bartley Cooper, Dominik Dos-Reis, Owen Ridley-DeMonick, Vânia Doutel Vaz, Rob Fordeyn, Perle Palombe, Max Krause, Ann Göbel & Lukas von der Lühe

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„Séance de travail“ von Trajal Harrell im Foyer des Schauspielhaus Bochum

Fashion Show, barockes Kuriositätentheater und Butoh - vielfältig sind die Referenzen in Trajal Harrells neuer Laufsteg-Choreografie. Im halbrunden Foyer, das von westdeutschem 50er Jahre Schick erzählt, baut er einen Laufsteg, silbern glänzend.

Bochum, 08/04/2019

Dass sich im Foyer eines Theaters oft die wirklich interessanten Geschichten abspielen, dass im Modus des Sehens und Gesehen-Werdens das Foyer zur eigentlichen Bühne wird, ist ein fester Topos der Kulturgeschichte des Theaters und gehört sicherlich auch zu den persönlichen Erfahrungen vieler TheaterbesucherInnen. Trajal Harrell, Tänzer und Choreograf aus New York und mittlerweile weitläufig bekannt für seine Adaptionen tanz- und theaterhistorischer Themen wie des Postmodern Dance oder antiker Dramen in den Modus des Voguing, machte nun im Schauspielhaus Bochum das Foyer tatsächlich zu seiner Bühne. In den halbrunden Raum, der von westdeutschem 1950er Jahre Schick erzählt, baut er einen Laufsteg, silbern glänzend und mit aufgedruckten Kirschen (Bühne Jean Stephen Kiss). Von außen strahlen große Scheinwerfer in den Raum, das Publikum bewegt sich frei, wirft mal einen Blick in die in den Laufsteg eingelassenen Wasserbassins, in denen Geldscheine schwimmen, und ist sich nicht ganz sicher, wie nah es der Bühne kommen soll. Und dann beginnt auch schon der ca. 30-minütige Schaulauf, den Harrell mit Mitgliedern des Bochumer Schauspielensembles und internationalen Gästen erarbeitet hat.

Von links nach rechts, von rechts nach links gehen die PerformerInnen in auf den ersten Blick absurd erscheinenden Kostümen (Kostüme Stephen Galloway), die aus einer Kinder-Verkleidungskiste stammen könnten, die auf den zweiten Blick jedoch äußerst raffiniert auf Genderklischees, Schönheitsideale, die Exotik vergangener Jahrhunderte und verschiedene Tanztraditionen verweisen. Einzelne Posen werden eingenommen, minimalste Verschiebungen bringen die Körper in Bewegungen, die dennoch in Starrheit verharren. Irgendwann finden sich erste Gruppen zusammen, ordnen sich wie antike Skulpturen, berühren sich, ohne wirklich in Kontakt miteinander zu treten. Und dazu der leere Blick, der manchmal einen Hauch von vorwurfsvoller Aggressivität enthält. Dieser typische gleichzeitig ins Unendliche und ins Nichts gehende Blick, der uns tagtäglich auf Werbeplakaten begegnet, gaukelt einem kurz vor, man wäre sein Adressat, um einen dann doch auf die reine Betrachterposition zurückzuwerfen. Denn hier schaut nur einer - das Publikum. Immer exaltierter werden die Bewegungen, Gesichter werden verzogen, Körperspannung fast krampfartig ins Extrem gebracht. Fließend wechselt die Präsentation von Laufsteg-Models und an Butoh angelehnten in unserem einheitlichen Schönheitsdiskurs marginalisierten Körpern.

Trajal Harrell entdeckt die Ausdrucksweite der kleinen Geste wieder. Ausgehend von der Welt der Mode und ihren Präsentationsmodi stellt er mit seinen Referenzen an Butoh bestehende Schönheitsideale in Frage. So weit so gut. Was diese Performance jedoch wirklich auszeichnet, ist ihre Inkorporation einer jahrhundertelangen Tradition der Zurschaustellung von Menschen. Die Posen idealisierter antiker Statuen, das Groteske barocker Kuriositätenkabinetts, die Exotik ethnografischer Menschenschauen im 19. Jahrhundert haben eines gemeinsam: der Mensch wird zum Schau-Objekt. Trotz der räumlichen Nähe bleiben die PerformerInnen distanziert. Ihr leerer Blick, ihre Weigerung einer echten Kontaktaufnahme zwingt die Zuschauenden in die Rolle der neugierigen, faszinierten und manchmal verunsicherten Schauenden. Und so läuft es einem trotz aller Buntheit und Verspieltheit der Kostüme und der angenehm unterhaltenden Hintergrundmusik doch manchmal kalt den Rücken herunter, ob dieser menschlichen Objektkultur.
 

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