„Ruhr-Ort“ von Susanne Linke

„Ruhr-Ort“ von Susanne Linke

„Ruhr-Ort“ in Bochum

Susanne Linke rekonstruiert ihr legendäres Männer-Tanzstück „Ruhr-Ort“

Susanne Linke setzt mit ihrem dynamischen Männer-Tanzstück gleichermaßen der Maloche des Ruhrpotts wie auch der Knochenarbeit im Ballettsaal ein bleibendes Denkmal.

Bochum, 27/01/2014

Susanne Linkes Neueinstudierung ihres Männer-Tanzstücks „Ruhr-Ort“ von 1991 ist eine der ungewöhnlichsten und gelungensten Rekonstruktionen historisch markanter Choreografien, die der Tanzfonds „Erbe“ der Kulturstiftung des Bundes in letzter Zeit gefördert hat. Eigentlich ist es eher eine denkbar authentisch ins Jetzt geholte „Revision“ dank ästhetisch veränderter Besetzung und der Verwendung von Videos (wohl auch, um den minimalen Bühnenraum zu weiten) wie die Fahrt in den Schacht, die qualmenden Schlote, das Zusammenbrechen der Industrie.

Herausragende Besonderheit dieser Neueinstudierung ist die acht-köpfige Besetzung. Agierten damals drei Folkwang-Tänzer und drei Pantomimen, so stehen heute neben Essener Tänzern Breakdancer des Kollektivs Renegade aus Herne auf der kleinen Bühne. Durch sie gewinnt das Stück enorm an authentischer Aktualität. Heutige Streetart aus dem Revier trifft auf zeitgenössisches Tanztheater in der Folkwang-Tradition - grandios! Die Bundesförderung dieses Projekts bedeutet besondere Anerkennung der Herner Privatinitiative Pottporus zum 10. Geburtstag von Renegade, das nach dreijähriger Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Bochum im Sommer eine feste Spielstätte in der „Zeche 1“ bekommt, wo Reinhild Hoffmann einst den Tanz in der Schauspielstadt heimisch machen sollte.

Wer vor Beginn der Premiere in den Kammerspielen des Schauspielhauses Bochum die putzigen grünen Ohrstöpsel noch belächelt hatte, sah sich gleich eines Besseren belehrt und stopfte sie schleunigst in die Ohren. Als brächen Vesuv und Ätna gleichzeitig aus und der Teufel kegelte dazu mit gigantischer Metallkugel alle Neune um - so gewaltig breiteten sich Lärm und Nebel in dem kleinen Theatersaal aus. Die elektronische Klangkomposition von Ludger Brümmer wie auch Licht- und Videodesign (Wilfried Kresiment, Denny Klein und fettFilm) begleiten das nur reichlich einstündige Tanzstück von Susanne Linke als authentische Komponenten dieses Kunstwerks über maskuline Energie und Dynamik in der Kulisse einstiger Schwerindustrie des Ruhrpotts.

Wie eine Fata Morgana scheint für Momente eine weibliche Silhouette in den Nebelschwaden auf. Hinten fährt eine Ballettstange hoch. Vorn gleiten Haken mit Arbeitsklamotten und Helmen vorüber. Greller Feuerschein züngelt um eine Metallplatte, die im nächsten Moment krachend vornüber stürzt.

Auf sechs hohen Leitern werden schemenhaft Männer sichtbar, die hinab steigen in die kräftezehrende Welt eines Stahlwerks. 4 kg schwere Hämmer schwingen sie, dreschen - mal unisono, mal abwechselnd wie dialogisierend, mal synkopisch - auf die zwei übereinander geschichteten Platten ein, hocken sich atemlos auf ihre Arbeitsgeräte, um zu rasten - drehen sie spielerisch, tänzelnd, schwingen sie kreiselnd wie Diskusscheiben. Wenig später werden die Männer auf der Stelle rennen in ihren Stiefeln - nebeneinander an der Rampe, dann über die stählerne Doppelplatte wie auf einem Fließband. Oder sie robben wie Militärs, hechten aus dem Stand auf den harten Boden und rollen sich weiter wie durch einen Schützengraben. Rücklings stürzt sich Janis Heldmann von der Leiter in den Raum. Wie er ist auch Lin Verleger - unglaublich seine lang gehaltenen Körperskulpturen! - ein Meister des Breakdance. Immer wieder macht sich der hochgewachsene Tänzer Paul Hess steif wie ein Brett und lässt sich wie ein Stück Material aus dem Weg schaffen. Dann wieder formieren sich die acht Männer in geometrischen Mustern und spulen ihre minutiös akkuraten Bewegungen wie in einem Balanchine-Ballett ab. „Hand in Hand“ funktioniert der Arbeitsablauf hier wie dort, in Industrie und Kunst.

Qualvoll ist diese physische Verausgabung bis zur völligen Erschöpfung neben den eleganten so „leicht“ scheinenden Tanzsequenzen. Immer wieder blitzt die Lust an Sport und Spiel auf, vor allem, wenn die Kumpel rasten. Zu immer fulminanteren Breakdance-Einlagen fordern sich Alexis Fernandez Ferrera und Julio Cesar Iglesias Ungo heraus. Die Schönheit maskuliner Muskelpakete auf schweißglänzenden Leibern zeigt der dunkelhäutige Ibrahim Biaye, wenn er sein nassgeschwitztes Hemd auszieht, und am Ende der Schicht die Männer splitternackt unter der Dusche der Waschkaue stehen.

Fließend sind die Übergänge zwischen Hütte und Bergwerk, zwischen Maloche und Tanz. Linkes Tanzstück ist alles andere als eine Dokumentation. Dennoch setzt sie mit ihrem dynamischen Männer-Ballett der Maloche des Ruhrpotts ein bleibendes Denkmal. Ähnlich wie in ihrem früheren „Frauenballett“ solidarisiert sich die Körperkünstlerin mit der Arbeitswelt und macht gleichzeitig auf die ganz und gar unromantische, keineswegs „leicht schwebende“ Knochenarbeit im Ballettsaal aufmerksam.

www.susanne-linke.com
 

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