Festival tanz nrw: Reut Shemesh' „The boy who cries wolf“

Festival tanz nrw: Reut Shemesh' „The boy who cries wolf“

Ein ganz eigenes Ambiente

Pick bloggt: Über das Festival tanz nrw

Reut Shemesh beglückt mit einer Geschichte über den Wolf. Bei „Aurea“ wühlt sich Emanuele Soavi unter Mithilfe von Susanne Linke aus einem schwarzen Haufen. Und Marion Dieterles „Moving Home“ ist wohl etwas für Kunstliebhaber.

Bonn, 29/04/2015

Das Positive zuerst: Das Theater im Ballsaal in Bonn hat fast immer – nämlich immer dann, wenn der Raum mit seiner ursprünglichen Architektur und dem kleinen Orchester-Balkon zur Geltung kommt – ein ganz eigenes Ambiente, auch für das Märchen vom Hütejungen, der mehrfach um Hilfe ruft: „Der Wolf, der Wolf“. Die Leute kommen ihm zu Hilfe, obwohl gar kein Wolf da ist. Und wenn tatsächlich der Wolf dann da ist, kommt dem schreienden Jungen niemand mehr zu Hilfe und die Schafe werden gerissen ... Da mir dieses sehr vernünftige Märchen unbekannt war, konnte ich es auch nicht wieder erkennen im Stück der in Köln lebenden Israelin Reut Shemesh. Dennoch hat sie für mich einen Theaterabend inszeniert und choreografiert, der bis zum Schluss voller Spannung blieb.

Das Verdienst der beiden Darsteller Tim Behren und Florian Patschovsky, die hochprofessionell in einer Grauzone zwischen Akrobatik, Tanz und animalischer Darstellung Rollen wechseln, kann gar nicht hoch genug angerechnet werden. Die Choreografin macht bei „The boy who cries wolf“ gar keinen Versuch der zugrundeliegenden Story gerecht zu werden, sondern überlässt es dem Zuschauer, sich seinen eigenen Reim auf das Gesehene zu machen. Am Ende, das eigentlich gar keines ist, kommen die beiden Darsteller langsam nach vorne auf das Publikum zu, schauen uns ganz privat an, bis das Licht erlöscht und sie sich im wiederaufscheinenden Licht über die Ovationen freuen.

Am vorhergehenden Abend gab es ein Stück, diesmal in der Brotfabrik in Bonn, mit dem Titel „Aurea“ von Emanuele Soavi, unter Mitwirkung von Susanne Linke. Welche Teile oder Ideen von wem stammen, wird weiter nicht angegeben, so dass man das Beste an dem Stück dem jeweils anderen zuordnen oder umgekehrt anlasten kann. Eine Leuchtröhre gibt einer schwarzen Masse auf der linken Seite der Bühne Licht, es könnte ein Kohlehaufen oder auch Schiefersteine sein, zunächst kommt man jedoch nicht dahinter, was es ist und was sich dahinter eventuell verbirgt. Auf der rechten Seite der Bühne steht im Halbdunkel ein Flügel mit einem Pianisten, wie ich vermutete, der allerdings ziemlich lange arbeitslos bleibt – bis er, nachdem er den Leuchtstab in die Höhe gezogen hat, auch seines wahren Amtes als Musiker walten darf.

Es handelt sich um Thomas Wansing. Was er spielt, wird nicht verraten. Es dauert eine ziemliche Ewigkeit, bis der Haufen links lebendig zu werden scheint. Dem Klang nach handelt es sich um steifes Papier und nachdem sich das Etwas darunter frei gekämpft hat, sehen wir eine komplett schwarze Gestalt mit Glatze, die sich als der wirklich begabte Tänzer Emanuele Soavi entpuppt. Was er nun tanzt oder performed habe ich schon vergessen, aber er beeindruckte mich durch ein gutes Bewegungsidiom und, während die schwindende schwarze Schminke sein wahres Ich zum Vorschein brachte, auch durch ein ausdrucksvolles Gesicht. Später begibt er sich vor das Gegenlicht einer Scheibe, legt eine Halskrause an und zeigt in Anlehnung an expressionistische Vorbilder, welche edlen Linien und ausdrucksvollen Gesten er mit seinem Körper erzeugen kann. Sollte das der Beitrag von Susanne Linke gewesen sein?

Ebenfalls in der Brotfabrik gab es an diesem Wochenende das Solo von Marion Dieterle mit dem Titel „Moving Home“. Und tatsächlich moved sie zu Beginn des Stückes in einer wandernden zweigeteilten „Hundehütte“ von einer Bühnenseite zur anderen. Das von ihr stammende, aus Kartons gebaute Dekor, hat mich eingangs erfreut – besonders, wenn witzige Film-Projektionen von der eingekastelten Erfinderin auf einer Kartonwand zu sehen waren. Aber im Laufe dieser Stunde wurde mir klar, dass es sich in diesem Fall um etwas handelt, was man in der bildenden Kunst Naive Malerei nennt. Da ist jemand, der eine überbordende Phantasie hat, und manches davon ist durchaus nicht so naiv, wie man uns glauben machen will: das fängt bei den Schlabbershorts an, die interessante Perspektiven erlaubt, über den Glitzerpullover, mit dem sie den untrainierten Körper einer gut gewachsenen Frau verhüllt, und später mit einem Goldhöschen noch richtig betont. Den peinlichen Ausrutscher zu DSDS sollte ich eigentlich ganz verschweigen. Wie gesagt, sie hat Phantasie, Chuzpe, und ist in vieler Weise begabt, aber nichts davon sieht für mich aus, als ob es auf eine Bühne gehören würde, sondern in einen Salon für Kunstliebhaber. Aber mehr waren wir 15 bis 20 Zuschauer ja auch nicht, das Ambiente war wohl schuld.

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