Tanzen und lächeln gegen den Tod

Der neue Tanzabend „Der Tod und das Mädchen“ von Carlos Matos an den Landesbühnen Sachsen

Die Musiker sind hoch über dem Tanzgeschehen platziert, zu ihnen führt eine Treppe. Als Aufwärtsbewegung lässt sich auch die Choreografie sehen.

Radebeul, 08/02/2014

Auf der Bühne liegt eine Frau. Ihre Haltungen, ihre Bewegungen lassen vermuten, dass sie von einem Alptraum verfolgt wird. Sie erwacht. Sie befreit sich, sie beginnt zu sprechen: „Ich lerne sehen“. Bald wird sie lächeln und lächelnd sehen, dass der Alptraum längst nicht vorbei ist. Aus einer grauen Wand lösen sich graue Gestalten, gesichtslose Wesen, das sind „Die Anonymen“. Das sind die Gestalten eines nicht definierten Schicksals, das sind Gegner, Verführer, Weggefährten, nicht zu greifen, zu begreifen schon gar nicht. Sicher ist nur, dass sie immer wieder auf die Frau zukommen, dass sie sich mit ihnen und immer wieder gegen sie bewegen muss. Gänzlich zurückdrängen ins Grau der Wand lassen sich diese kafkaesken Gestalten nicht.

Die Frau ist Wencke Kriemer de Matos, die anonymen Wesen sind Clémentine Herveux, Annika Wagner, Michele Pastorini und Thomas Hart. Da bei ihnen die Gesichter verborgen sind, geht alle Kraft von ihren Körpern aus, von den intensiven Bewegungen einer mal mehr und mal weniger abstrakten, immer aber assoziationsreichen Tanzsprache. Dazu gehören auch Körperdiktaturen für Roboter, die der Choreograf Carlos Matos für sie kreiert hat.

Optische Verstärkung bekommen diese Szenen auf der Bühne von Annett Hunger durch Abbilder des geisternden Geschehens in einem großen dunklen Spiegel, hinter dem man zurecht - wie sich später erweisen wird - noch eine ganz andere Welt vermutet. Immerhin, der Abend heißt „Der Tod und das Mädchen“, da ist eine solch biblisch ableitbare Assoziation nicht fern.

Jetzt zu unaufdringlicher, dennoch nicht überhörbarer, von fern zugespielter Musik aus Morton Feldmans „Piano and StringQuartett“ von 1985, die dunklen Bilder im dunklen Spiegel, die grauen Gestalten, einsam die Frau, deren Lächeln den Lichtblick bringt, eine Vorwegnahme dessen was wir sehen werden, wenn die Bühne hell ist, und die anderen Menschen dazu kommen.

Zuvor aber erfahren wir anhand von Textzitaten, original übernommen oder in Anlehnung variiert, aus Werken des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa, der von 1888 bis 1935 lebte, was diese Frau antreibt, ihren Weg zwischen den Welten, hin zu den Menschen, unbeirrt und lächelnd zu tanzen. Was sie bewegt wenn sie die Fremden und das Fremde erkunden will, bis sie so stark ist, dass sie fühlen kann, wie Pessoa schreibt in „Die Rückkehr der Götter“: „Stark sein bedeutet fühlen können.“

So wie sie bei den Gesichtslosen beständig zu erkennen suchte, welche Gesichter hinter den Einheitsmasken verborgen sein müssen, so wird sich dann in den offenen Gesichtern der anderen ihr Lächeln spiegeln. Diese „anderen Menschen“ sind Malwina Stepien, Till Geier, Marc Wandsleb, Judith Speckmaier, Luan Donato, Anna Paunok und Aya Sone. Mit ihnen sehen wir getanzte Annäherungen, Dialoge, spielerische Dynamik der Gruppe, kleinere Soli. Und mittendrin bewegt sich jene Frau, deren Fremdheit sich für Momente verflüchtigt. Momente des Glücks, die im Augenblick des Entstehens schon verfliegen, um sofort wieder neu zu entstehen.

Jetzt vernehmen wir ganz andere Klänge. Jetzt erklingt das Streichquartett Nr. 14 in d-moll von Franz Schubert, nach dem im zweiten Satz, dem Andante, verwendeten Thema eines früheren Liedes, posthum „Der Tod und das Mädchen“ genannt. Die Musiker sind hoch über dem Tanzgeschehen platziert, zu ihnen führt eine Treppe. Als Aufwärtsbewegung lässt sich auch die Choreografie sehen. Carlos Matos deutet den ersten Satz mit der wuchtigen Einleitung als Ausdruck von Lebenskraft. Zu den dunklen Tod-Harmonien des zweiten Satzes variieren die Begegnungen der Tänzerinnen und Tänzer mit der Frau in der Rolle des „Mädchens“. Zu den punktierten Motiven des Scherzo vermeint man rebellierendes Aufbegehren in der Konfrontation mit dem Tod zu sehen und im drängenden Presto des Schlusssatzes die Vision der Überwindung dieses seltsamen „Freundes“. Im Bild bedeutet dies, dass sich die Tänzer nach übermütigem Aufstieg zu den Musikern auf dem musikalischen Höhepunkt in lebensbejahender Sicherheit fallen lassen, um in zärtlicher Geborgenheit aufgefangen zu werden. Das Publikum wird mit der Frage entlassen, ob letztlich nicht doch die schönste Feier des Lebens in den Armen des Todes erst Erfüllung findet. Denn davon war mehrfach die Rede, ganz im Sinne des Dichters Pessoa, dass nur der Tod die wahre menschliche Existenz zu beglaubigen vermag.

Große Themen werden in dieser choreografischen Uraufführung von Carlos Matos mit der Tanzkompanie der Landesbühnen Sachsen auf dem arg begrenzten Raum der Studiobühne verhandelt. Die fehlende Distanz der großen Bühne und des weiten Raumes im Hauptgebäude des Theaters, wo das Stück ab März zu sehen sein wird, steht der Wirkung des so intensiven wie bewegenden Abends entgegen. Zu nah auch, zu wenig distanziert, das lächelnd grundierte Minenspiel der Tänzerin, für deren sprachliche Präsenz ganz sicher noch Reserven zu erschließen sein dürften.

Erfreulich aber, wie sich die Kompanie zusammenfindet, wie hier mit Vehemenz neue Schritte gewagt werden und man dem produktiven Risiko der Verunsicherung, ganz im Sinne der gewählten Thematik, große Chancen gibt.

Weitere Aufführungen auf der großen Bühne: 09.03., 05. und 11.04.

 

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