„Bamboo Blues“ von Pina Bausch

„Bamboo Blues“ von Pina Bausch

PINA40 in Düsseldorf

Ein Hauch von Kardamom und gewaltiges „Sacre“-Solo

Pina Bauschs beide Indien-Stücke „Bamboo Blues“ (2007) und „Sweet Mambo“ (2008) am selben Tag auf derselben Bühne gab's bisher noch nie. Ein wundervolles Erlebnis war's jetzt bei der Feier von PINA40 im Opernhaus Düsseldorf. Dazwischen konnte, wer wollte, im „tanzhaus-nrw“ die Deutsche Erstaufführung von Meryl Tankards „Sacre“-Interpretation als Solo „The Oracle“ erleben.

Düsseldorf, 18/11/2013

Vier Tage lang feiert die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt als Mitveranstalter der Jubiläumssaison des Tanztheater Wuppertal PINA40. Während im Opernhaus Bauschs Indien-Stücke „Bamboo Blues“ und „Sweet Mambo“ über die Bühne gingen, feierte das Publikum im tanzhaus nrw die Deutsche Erstaufführung von Meryl Tankards stupendem Solo „The Oracle“ mit minutenlangem Applaus. Bauschs Film „Die Klage der Kaiserin“ sowie neue Stücke von ehemaligen Bausch-Tänzern, Begegnungen und Workshops runden das Programm ab.

Nur ein einziges Mal hat Pina Bausch den Versuch unternommen „zu sehen, wie mit unterschiedlichen Tänzern, aber der gleichen Ausgangssituation zwei verschiedene Stücke entstehen können“. Zum ersten Mal wurden die durch die Indien-Reise inspirierten Choreografien jetzt im Opernhaus Düsseldorf hintereinander am selben Tag aufgeführt. Eine sichtbare Brücke bilden Peter Pabsts sparsame Dekorationen und Videoprojektionen: weiße Vorhänge wehen und plustern sich hinten, zwischendurch fallen Stoffbündel vom Schnürboden und geben dem Raum das Flair der Tanzhalle eines Tempels. Der Kulissenwind erfasst auch die offenen langen Haare der Tänzerinnen und ihre malerischen Glockenrock-Roben von Marion Cito. Später wird die üppige Vegetation auf die Stoffbahnen projiziert - oder ein Bollywood-Filmplakat und Szenen aus dem deutschen Klassiker „Der Blaufuchs“ mit Zarah Leander und Willy Birgel von 1938. Durch die vorwiegend sanften Tanzmusik- und Jazz-Collagen zieht sich in „Sweet Mambo“ Leanders „verruchte“ Frage „Kann denn Liebe Sünde sein?“

Die Düfte Indiens dürfen Zuschauer in „Bamboo Blues“ in der ersten Reihe von einem Kardamom-parfümierten Band schnuppern. Brutalität von Männern gegen Frauen schockieren, wiederkäuende Kühe amüsieren. Die oft wiederholten Mahnungen „Nicht vergessen!“ berühren heute noch unmittelbarer als bei der Uraufführung von „Sweet Mambo“. Selten ist die Farbenpracht Indiens zu sehen. Selbst der Sari, den sich Shantala Shivalingappa mit routinierter Koketterie umlegt, ist weiß - wie auch die Dohti, die sich die Männer um Hüften und Beine schlingen und knoten. Indisches wird in „Bamboo Blues“ greifbar - vor allem in den Solos von Kenji Takagi und Shivalingappa mit Andeutungen von fernöstlichem Kampfsport und Bharatanatyam. „Sweet Mambo“ dagegen mutet wie eine einzige große Orgie sieben schöner Diven an (wobei Nazareth Panadero sich mit absichtsvoller Selbstironie ins Abseits manövriert). Zwar gehören die Indien-Stücke zu Pina Bauschs letzten, dennoch genoss man freudig die kompletten Originalbesetzungen.

Choreografierende Bausch-Tänzer hatten neue Arbeiten schon im Frühjahr auf Pact Zollverein vorgestellt. Jetzt präsentierten sich vier andere im Tanzhaus. Während der gut etablierte Fabien Prioville mit seinem „Smartphone Project“ via App einen sehr fortschrittlichen Dialog mit dem Publikum führte, ließen Raphaëlle Delaunay in „Debout!“ und Morena Nascimento in „Rêverie“ ihrer Lust zu tanzen freien Lauf. Delaunay verleiht ihrer autobiografischen Studie einen nostalgischen Touch durch Erinnerungen in Wort und Bewegung an frühere Stationen ihrer Karriere als Ballerina in Paris, signalisiert gleichzeitig durch das saloppe Outfit mit Sneakers und ihre Körpersprache zwischen Klassik und HipHop ihre Veränderung. Nascimento dagegen beruft sich auf psychologische Theorien Gertrude Steins und ließ in ziemlich blaustrümpfiger Stein-Kostümierung immer wieder sehr köstlichen Humor aufblitzen. Davon sähe man gern mehr.

Meryl Tankard, die unvergessene Bausch-Tänzerin frühester Jahre, hat es als Choreografin längst zu Weltruhm gebracht. Die Deutsche Erstaufführung ihrer „Sacre“-Interpretation „The Oracle“ war eine Sternstunde zeitgenössischer Tanzkunst. Wie ein Orkan fegen und peitschen Klang und Bewegung durch den Raum. Aber auch atemlose Stille herrscht im Saal, wenn auf einer Leinwand Bilder kaleidoskopartig zu Gestalten mutieren, Gesichter sich vervielfältigen, wachsen und schrumpfen. Assoziationen an sakrale Rituale und Chiffren werden geweckt. Erst nach dieser rund zehn-minütigen Video-Ouvertüre setzt Strawinskys Musik ein, betritt Paul White die halbdunkle Bühne. Eine Kutte verhüllt ihn. Schnell wird sie zum Gegenüber, zum einengenden Feind, zur Säule - zum kreisrunden Bogen, wenn der Tänzer Rad schlägt. Der muskulöse Körper schraubt sich um die eigene Achse, schwebt, krümmt sich. Mal ist er entfesseltes Naturelement, dann Leidender, Geschundener. Immer wieder sieht man eine ganze Galerie animierter antiker Helden- und Sportlerstatuen. Mit brutaler Gewalt klatscht der nackte Körper auf den harten Boden, müht sich - gekrümmt vorwärtsstrebend wie eine Raupe - aus einem weißen Kreidekreis zu entkommen, dessen Konturen schließlich verschwimmen und sich auflösen. Nie wirkte „Le Sacre du Printemps“ so gewaltig.
 

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