Ich fühle mich hier sehr wohl

Christian Spuck über seine Arbeit als Ballettdirektor des Balletts Zürich

Ein Rückblick auf die vergangene und die kommende Spielzeit am Zürcher Opernhaus

Zürich, 08/06/2013

Auf dem Sechseläutenplatz vor dem Zürcher Opernhaus stehen die Bagger und warten auf ihren nächsten Einsatz. Der Platz soll offener und freier werden für die Stadtbevölkerung, hört man. Auch Christian Spuck ist noch kräftig am Umbauen. Das Ballett Zürich erfährt unter seiner Leitung seit Beginn der Spielzeit eine Neuausrichtung. Am Herzen liegt dem ehemaligen Hauschoreografen des Stuttgarter Ballett das zeitgenössische Balletttheater. Alexandra Karabelas traf den Zögling von Reid Anderson auf ein Gespräch in seinem Büro.

Christian Spuck, in wenigen Wochen endet Ihre erste Spielzeit als Direktor des Balletts Zürich. Mit was sind Sie aktuell beschäftigt?

Wir probieren noch viel aus. Die dritte Besetzung meines Balletts „Leonce und Lena“ ist gerade herausgekommen, ebenso die dritte Besetzung des Ballettabends mit Werken von William Forsythe, Edward Clug, Paul Lightfoot und Sól Leon. Damit kommen andere Tänzer in der Compagnie zum Zug, und das Publikum lernt viele neue Künstler kennen. Das ist toll. Außerdem choreografieren gerade – man beachte – zwölf Compagniemitglieder an eigenen kurzen Stücken für die Vorstellungsreihe „Junge Choreografen“-, die wir nach vielen Jahren , in denen es diesen hier nicht gab, wieder aufleben lassen. Die haben sich alle freiwllig gemeldet.

Wie schaffen Sie die drei Besetzungen?

Das Ballett Zürich hat 36 Tänzer; die 14 Tänzer des Junior Balletts dazugerechnet macht 50 plus ein Stipendiat ergeben 51 Tänzer - eine Compagnie von guter Größe. Eng wird es nur bei Balletten wie „Schwanensee“ oder „Romeo und Julia“.

Wo liegt aktuell die Auslastung?

Sie beträgt über 90 Prozent bis Ende April in dieser Spielzeit.

Sie hatten anderthalb Jahre Zeit, sich auf den Job als Direktor des Balletts Zürich vorzubereiten. Wie haben Sie ihren Spielplan konzipiert?

Naja, es gibt ja keine Ausbildungsstätte für Ballettdirektoren. Da ist einfach learning by doing angesagt. Ich habe also zuerst versucht herauszukriegen, was denn das Zürcher Ballett ist, indem ich mir viele Vorstellungen, die Tänzer, das Publikum und die Arbeit von Herrn Spoerli angesehen habe. Danach habe ich geschaut, wie es andere Compagnien machen und mir ein Netzwerk aufgebaut. Irgendwann kam dann der Instinkt dafür, was ich selbst machen möchte und was in Zürich funktionieren könnte. Ich begann das Programm zusammenzubauen. Fast achtzig Prozent des Ensembles habe ich behalten. Dass Katja Wünsche und William Moore vom Stuttgarter Ballett zu mir gewechselt sind, gab mir Stabilität. Die neue Compagnie konnte an ihnen sehen, wie ich gerne arbeite.

Welchen Arbeitsstil etablieren Sie denn hier?

Ich arbeite teamorientiert. Ich setze auf Austausch, offene Arbeitsprozesse und Vernetzung. Das mag sich von der früheren Arbeitsweise hier unterscheiden. Wir sind in engem Kontakt zu den anderen Schweizer Ballettdirektoren und hatten jetzt die Schweizer Ballettdirektorenkonferenz bei uns im Haus. Anderes Beispiel: Mit unserer dritten Premiere in der kommenden Spielzeit wird STEPS bei uns im Opernhaus eröffnet, das größte Tanzfestival der Schweiz. Man sieht: Ich suche den Schulterschluss zur freien Szene. Wie werden im Rahmen von STEPS Gastspiele absolvieren und eines bei uns im Haus haben. Auch innerhalb von Zürich integrieren wir uns. Wir schließen uns mit anderen Kulturinsitutionen zusammen und veranstalten anlässlich des 200. Geburtstages von Georg Büchner ein kleines Festival. Wir werden „Leonce und Lena“ und eine Neubearbeitung von meinem „Woyzeck“ zeigen – welche andere Ballettcompagnie bitteschön feiert einen Schriftsteller und das noch in der Stadt, in der er seine letzte Ruhe gefunden hat?

Was erhoffen Sie sich vom Schulterschluss mit der freien Szene und anderen Kultureinrichtungen?

Debatte und Dialog. Wir wollen uns nicht abgrenzen und und nur unseren eigenen Kram machen. Nein, wir wollen aktiv sein, uns öffnen. Damit schaffen wir für uns auch neue Denk- und Diskussionsräume im Bezug auf ästhetische oder tanzpolitische Themen. Ich denke, ich setze hier mit Marco Goecke, Douglas Lee und Wayne McGregor, den Gastchoreografen in der nächsten Spielzeit, die ja auch alle drei frei schaffend tätig sind, ein gutes Signal. Sie bringen eine andere Bewegung in die Tanzszene. Goecke, Lee und McGregor zählen alle zu den europäischen Meisterchoreografen und wurden allesamt von Reid Anderson entdeckt. Meine Vision ist hier, dass die wichtigsten Choreografen, die gerade aufregende Ballette in der Welt kreieren, gerne und länger als die üblichen sechs Wochen nach Zürich kommen. Ich fände es schön, wenn wir hier eine Art Laboratorium für neue Entwicklungen im Ballett und Tanz werden würden. Das Publikum und die Compagnie sind bereit dafür.

Wie hat das Publikum Sie als Choreografen aufgenommen?

Wir starteten mit „Romeo und Julia“, was für mich eine doppelte Premiere war: zum einen die Eröffnung des Hauses und für mich zum ersten Mal eine Arbeit nach einer fertigen Partitur mit einer vorgegebenen Geschichte. Wir waren nach drei Tagen ausverkauft, die Zusatzvorstellung nach zwei Stunden. Wir fühlten uns wie eine Rockband. Bei „Leonce und Lena“ hatte ich mir Sorgen gemacht, weil das Stück sehr aus dem Schauspiel kommt und in Konstrast zu der Ästhetik von früher her steht. Aber im Gegenteil. Das Publikum hat gebrüllt vor Begeisterung und die Comapgnie war sichtlich gerührt. Das Tanzgedächtnis des Opernhaus Zürich besitzt mit Heinz Spoerlis Oevre ein umfassendes, prägendes Ballettwerk. Sie bringen nun ihre eigene Arbeit mit und setzen Sie darüberhinaus in den Kontext aktueller Meisterchoreografen wie McGregor, Goecke, aber auch Edward Clug oder William Forsythe.

Betreiben Sie, wie Reid Anderson, eine Repertoirepolitik auf mehreren Säulen?

Ich würde eher von Schwerpunkten sprechen. Mir ist, neben meinem eigenen Werk wichtig, dass hier Uraufführungen zeitgenössischer Choreografen stattfinden. Außerdem will ich, wie aktuell mit „New Sleep“ von Forsythe, das niemand in Europa außer uns im Repertoire hat, wichtige zeitgenössische Ballettproduktionen präsentieren, beispielsweise Martin Schläpfers „Forellenquintett“ oder Jirí Kyliáns „Wings of Wax“. Die Tradition des „Ballettklassikers“ soll alle zwei Jahre Thema sein. Hier hatten wir nun Spoerlis „Schwanensee“ im Programm. Einen weiteren Schwerpunkt bildet schließlich das Junior Ballett mit einem eigenen Programm, das sich alle zwei Jahre aus neuen Uraufführungen aktueller Choreografen zusammensetzt.

Sie setzen die Tradition des erzählenden Abendfüllers am Opernhaus Zürich fort. Was interessiert Sie daran? Sie hätten auch ein anderes Konzept entwerfen können.

Es heißt ja immer, das erzählende Ballett sei am Aussterben. In Wahrheit erleben wir aber doch eine permanente Renaissance des Formats. Nur wird heute weniger traditionell erzählt. Man sieht eher einen Brückenschlag zwischen Abstraktion und Narration, eigensinnige Zwischenformen, die abstrahiert vorgehen und dennoch eine Geschichte transportieren wollen. Das interessiert mich auch persönlich weiterhin sehr: Das erzählende Ballett weiter und anders zu denken. Ich habe das auch bei „Das Fräulein von Scuderi“, meiner letzten Arbeit für das Stuttgarter Ballett ausprobiert. Dort haben wir Handlung über das Bild und nicht über Bewegung vermittelt und auf diese Weise dem Tanz Freiräume geschaffen, ohne konkret etwas zum Ausdruck bringen zu müssen.

Erzählt Tanz nicht immer anders, als man behauptet, er würde es tun?

Das mit Sicherheit.

An was arbeiten Sie für die nächste Spielzeit?

Neben der Neubearbeitung von „Woyzeck“ an einem eher abstrakten Einakter, in dem ich das Verhältnis von Tanz und Erzählen weiterhin ausloten will.

Die Schweizer mögen die Deutschen nicht so gern. Schon mal Probleme gehabt?

Nur beim Bäcker.

Was war das los?

Der hat gemerkt dass ich hochdeutsch rede und hat einfach nicht geantwortet. Zu Recht. Was wir arroganten Deutschen oft vergessen: Für die Schweizer ist Deutsch eine Fremdsprache, und wir tun so, als sei es selbstverständlich, dass wir verstanden werden. Sonst war nichts. Im Gegenteil. Ich komme mit den zahlreichen Einladungen von der Zürcher Gesellschaft kaum nach. Ich erschrecke manchmal wenn ich merke, wie sehr ich mich hier wohl fühle. Der Umgang der Schweizer untereinander, der Respekt, die Vorsicht, die Zurückhaltung, diese starke Betonung von Etikette, das sagt mir persönlich sehr zu.

Letzte Frage: Als Ballettdirektor müssen Sie heutzutage auch Sponsorengelder einwerben. Wie gut gelingt Ihnen das bis jetzt?

Meine Erfahrungswerte sind hier noch sehr gering. Die Tänzer des Ballett Zürich gehören zu den bestbezahlten in Europa. Andererseits ist das Leben hier sehr teuer. Die Freunde des Ballett Zürich unterstützen uns sehr, insbesondere das weniger verdienende Junior Ballett. Sie zahlen beispielsweise die Krankenversicherung für die Mitglieder des Junior Balletts, sind fast immer in den Vorstellungen, einfach präsent. Wir haben sehr gute Sponsoren, beispielsweise die UBS. Ich habe auch erfahren, dass es hier zum guten Ton gehört Kultur zu unterstützen und ich erhalte sehr positive Signale. Darauf baue ich.
 

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