Wenn die Orange wie ein Uhrwerk tanzt

Die Kompanie am Nordharzer Städtebund Theater tanzt „Clockwork Orange“

Halberstadt, 22/09/2012

Halberstadt im Juni vor fünf Jahren. Mit großem Erfolg wurde die Premiere der „Rocky Horror Show“ gefeiert. In der Nacht noch erleben Mitglieder des Halberstädter Ensembles den ganz realen Horror. Ihr Auftreten, ihr Aussehen, z.B. eine Punkfrisur, passen nicht in die Auffassungen einer Schlägertruppe aus der rechten Szene. Die Theaterleute werden brutal zusammengeschlagen, der Vorfall sorgte für großes Erschrecken.
Jetzt brachte des Ballett des Theaters Halberstadt in der Quedlinburger Studiobühne seine Version von „Clockwork Orange“, nach dem Roman von Anthony Burgess. Bekannter ist wahrscheinlich der Titel des gleichnamigen Films von Stanley Kubrick, der wegen seiner Gewaltexzesse für die Einen Kult, für die Anderen ein gewaltverherrlichendes Übel ist. Im Mittelpunkt des Romans steht Alex, ein intelligenter Teenager. Alex und seine Gang empfinden nur dann den ultimativen Kick, wenn sie auf wehrlose Opfer willkürlich einschlagen. Nun mag man bei einer solchen Thematik im Hinblick auf eine Bühnenversion nicht sofort an Tanz oder Ballett denken.

Jaroslaw Jurasz aber erzählt mit dem Ballett des Nordharzer Städtebundtheaters in rasch wechselnden Szenen die Geschichte des jungen Mannes Alex, zunächst zusammen mit seinen drei Kumpels − eigentlich sympathische Typen. Aus dem Überdruss geregelter Vorgaben, in diesem Falle strenge Tanzvorgaben, brechen sie aus. Es folgen Stationen der Gewalt, die in einem Mord kulminieren. Alex ist der Mörder, er kommt in den Knast, wird einer Gehirnwäsche unterzogen, zieht nach erfolgreicher Therapie als Zeichen der Angepasstheit einen Anzug an und ist fortan ein Fremdling in der Freiheit, verfolgt von den Erscheinungen seiner Opfer, reizbar, eine tickende Zeitbombe. Der Roman kam 1962 heraus, der Film 1971, beiden Werken eigen ist der Gedanke, es ginge um eine fiktive Handlung − die jeweils von 1962 oder von 1971 aus gerechnet − in naher und nächster Zukunft spielt. Die Frage, ob wir jetzt in dieser Zukunft angekommen sind beantwortet die Inszenierung nicht direkt. Zumindest aber einmal, wenn Alex im Rahmen der fragwürdigen Therapie, die Gewalt mit Gewalt abschaffen will, Bilder realistischer Gewalthandlungen zur Abschreckung regelrecht ins Gehirn projiziert und injiziert werden, dann bricht die Gegenwart herein. Was Alex injiziert wird, sehen wir in knappen Videosequenzen: Tierquälerei, Straßen- und Jugendgewalt, Folter und Krieg.

Sonst gibt es keine vordergründige Aktualisierung, auch keine Anspielungen auf die Ereignisse in Halberstadt vor fünf Jahren. Es bleibt bei der fiktiven Handlung anhand der Szenen aus dem Roman, die schräge Absurdität des Films wird eigentlich nicht einbezogen. Die Nähe, und damit eine Art indirekter Aktualität, stellen sich über die Präsenz der Tänzerinnen und Tänzer, dazu kommt die räumliche Nähe auf der Studiobühne. Musikalisch hält man sich mit Beethoven an die Vorlage, Passagen der 9. Sinfonie, Alex´ Lieblingsmusik, das bekannte Motiv vom Beginn aus Beethovens „Schicksalssinfonie“, mitunter alles in elektronischer Verfremdung. Zum Spitzentanz der Diva, Masami Fukushima, singt Maria Callas „Casta Diva“. Musik von Rossini illustriert den mechanischen Ablauf eines aufgezogenen Uhrwerks. Passend die Titel der „Toten Hosen“: „Hier kommt Alex“, zu einem brutalen Pas de deux „Ich will mehr“ und natürlich „Ein Schritt zu viel“. Die eingespielte Musik thematisiert in einer Art Schnitttechnik, nicht immer tontechnisch wünschenswert exakt, einmal uhrwerkartige Unaufhaltsamkeit, setzt auch absurde Akzente wenn Showelemente einfließen. Die Mischung musikalischer Themen betont den inneren Widerspruch der Hauptperson.

Jaume Bonnin, ein Tänzer aus Andorra, gestaltet sie mit jugendlicher Kraft und nötigem Maß an Sensibilität. Bonnin bleibt Opfer seiner nicht regulierbaren Mechanismen und fragwürdiger Therapiemethoden, mitleidheischend ist er nie. Der Choreograf Jaroslaw Jurasz hat viel klassisches und neoklassisches Material verwendet. Da gibt es keine Schongänge für die Mitglieder der so sympathischen wie engagierten Kompanie. Zudem müssen Tänzerinnen und Tänzer oftmals die Rollen wechseln, nicht immer sind die knappen Anrisse der Figuren von gleicher Konsequenz. Zunächst könnte aber im Zusammenhang mit dem Thema das reichlich verwendete klassische, besser neoklassische Material befremden. Zunehmend aber erschließt sich dessen „Uhrwerkcharakter“ als künstlerisches Mittel. Nach vorsichtigem Beginn nimmt der Abend zu an Spannung: Der Tanz wird freier, kleine Unsicherheiten lassen sich nicht verbergen, Wackler oder etwas unsanfte Landungen mögen dem Tanzboden und räumlicher Enge geschuldet sein. Das alles kann die Kompanie gemeinsam mit der Tanzstatisterie nicht daran hindern sich voll und vehement ins Geschehen zu begeben. Das Premierenpublikum bedankt sich überaus herzlich.

 

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